■ Rechtsradikales Potential bei Jungwählern dramatisch gestiegen: Rechts ist cool
Nach 16 Jahren hat die Kohl-Regierung doch noch einen Erfolg zu vermelden: Die deutsche Jugend rückt nach rechts. In Ost und in West. Jeder vierte 14- bis 25jährige ist inzwischen der Meinung, daß Ausländer jederzeit aus Deutschland abgeschoben werden sollten. Mit diesem Rechtstrend könnten die Unionsparteien eigentlich ganz zufrieden sein. Schließlich klagen die Jugendlichen damit nur ein, was Helmut Kohl im Wende-Wahlkampf 1982/1983 in Aussicht stellte. Er versprach: „Wir werden die Arbeitslosigkeit und die Zahl der in Deutschland lebenden Ausländer um die Hälfte reduzieren.“
Nur dumm, daß die Bonner Koalition ihr Versprechen aus den Achtzigern nicht gehalten hat. In den 16 Jahren ihrer Regentschaft erhöhte sich in den alten Bundesländern die Zahl der Arbeitslosen rapide, die Zahl der in Deutschland lebenden Ausländer um drei Millionen. Kein Wunder also, daß Jugendliche, die das auch in den neunziger Jahren wiederholt gemachte Versprechen eines ökonomischen Krisenmanagements entlang rassistischer Grenzziehungen ernst genommen haben, den Unionsparteien nichts mehr zutrauen. Ihre Bereitschaft, gleich rechtsextremistische Parteien zu wählen, hat sich in den letzen drei Jahren verdoppelt. Es sind Stimmen, die der CDU zukünftig auf Länder- und Bundesebene fehlen werden. Das Fischen der Unionsparteien am rechten Rand fällt nun auf diese selbst zurück. Linksliberale, die diese These schon immer vertreten haben, sollten allerdings nicht in Selbstgefälligkeit verfallen. Die steigende Popularität der rechtsradikalen Parteien ist die Kehrseite ihres eigenen Bedeutungsverlustes in den letzten fünfzehn Jahren. In den frühen Achtzigern verfing die Kohlsche Arbeitsmarkt-Ausländer- Rhetorik bei den Jungwählern unter anderem deshalb weniger als heute, weil die neuen sozialen Bewegungen mit ihren solidarischen Perspektiven den jugendlichen Diskurs bestimmten. Bekennende Rechtsradikale – das waren Problemjugendliche aus bildungsfernen Schichten. Wer sich für einigermaßen intelligent hielt, der verstand sich selbstverständlich als links oder alternativ.
Das hat sich geändert. Auch für Realschüler und Gymnasiasten gewinnen Ungleichheitsideologien an Attraktivität. Den rechtsradikalen Parteien fällt somit ein intellektuelles Potential zu, über das sie bislang nicht verfügen konnten. Die eigentliche Auseinandersetzung mit einem argumentierenden und strategisch denkenden Rechtsradikalismus hat erst begonnen. Eberhard Seidel-Pielen
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