Rechtspopulismus in Frankreich: Risiken einer Banalisierung
Die Medien in Frankreich haben das Phänomen „Front National“ lange unterschätzt. Das ist heute anders – und Marine Le Pen geriert sich als Opfer.
![eine Frau und ein Mann singen mit weit aufgerissenem Mund eine Frau und ein Mann singen mit weit aufgerissenem Mund](https://taz.de/picture/2468831/14/le_pen.jpeg)
Für die französischen Medien ist die Geschichte des rechtsextremen Front National (FN) eine Familiensaga mit endlosen Fortsetzungen. Einfach abschalten kann das Publikum nicht – und auch die JournalistInnen können dieses Phänomen nicht ignorieren.
Ganz zu Beginn des Aufstiegs von Jean-Marie Le Pen war das noch möglich. Damals versuchte der alte Le Pen die politischen Fossile der bis dahin völlig zersplitterten Fraktionen der extremen Rechten im Front National zu vereinen: Alt- und Neofaschisten, Nostalgiker der Algérie française, Monarchisten und katholische Fundamentalisten. Die ersten Wahlergebnisse des FN waren so unbedeutend, dass die Medien sich nicht verpflichtet fühlten, über diese Entwicklungen am Rande der Politik zu berichten.
Die Partei wurde in ihren Anfangsjahren, den frühen 1970ern, von vielen unterschätzt: Die Studentenrevolten der 68er hatten das Land politisch umgekrempelt. Für die meisten Franzosen waren es unvorstellbar, dass eine politische Strömung, die die Kollaboration mit den Nazis verherrlicht es schaffen würde, Wähler zu gewinnen.
Das änderte sich in den 1980er Jahren, als die Fremdenfeindlichkeit im Land wuchs. Bei den Parlamentswahlen 1986 zog der FN mit Le Pen an der Spitze dank des Verhältniswahlrechts mit 35 Abgeordneten in die Nationalversammlung ein. Das war ein Schock und eine Herausforderung für die Medien, denen nun plötzlich bewusst wurde, wen sie da ignoriert hatten.
Unverhohlen rassistisch und antisemitisch
Mit geschmacklosen und zum Teil unverhohlen rassistischen und antisemitischen Äußerungen lieferte Jean-Marie Le Pen ihnen regelmäßig einen Anlass zu berichten, selbst wenn gerade keine Wahlen anstanden. Seine Absicht war es mit solchen Provokationen Tabus zu brechen und seinen ultrarechten Gesinnungsfreunden zu signalisieren, er könne die Grenzen des Sagbaren in die Richtung reaktionärer Ideologien und Vorurteile verschieben.
Die Medien blieben oft sachlich und zitierten Le Pen wahrheitsgemäß. Noch gingen viele Kommentatoren davon aus, dass Le Pen sich mit seinen verunglimpfenden und hetzerischen Aussagen selbst schaden würde. Heute ist klar: Die Medien haben die zunehmende „Banalisierung“ der rechten Ressentiments damals unterschätzt.
Das führte zu einer Strategieänderung. Dem alten Le Pen ließ die Presse schließlich keine verbale Entgleisung mehr durchgehen. Seine Tochter, die ehemalige Präsidentsschaftskandidatin Marine, sieht sich heute viel kritischeren Journalisten gegenüber. Damit haben die französischen Medien auch dazu beigetragen, dass der FN bis heute kein akzeptabler Bündnispartner ist.
Als Rechtspopulismus verniedlicht
Es gibt aber auch Stimmen, die französischen JournalistInnen vorwerfen, sie hätten das Phänomen FN überhaupt erst fabriziert, indem sie selbst mit kritischen Berichten dieser Randpartei eine öffentliche Bühne geboten hätten. Dieser Vorwurf übersieht allerdings, dass gerade die heute als Rechtspopulismus verniedlichte extreme Rechte ihre eigentliche Kraft nicht aus dem Medienüberbau schöpft, sondern aus den sozialen und wirtschaftlichen Problemen der französischen Gesellschaft.
In einer kleinen Serie schaut die taz auf europäische Medien und ihren Umgang mit den erstarkenden rechtspopulistischen Bewegungen und Parteien. Die Beiträge erscheinen Ende Dezember 2017 und finden sich nach Veröffentlichung unter www.taz.de/!t5473220/
Der FN profitiert mehr von der Machtlosigkeit der Politik als vom Medienecho. Dem Argument mancher Le-Pen-SympathisantInnen, dass der FN, der nie die Regierungsverantwortung hatte, die einzig wahre Opposition zum „System“ sei, hatten die Parteien und Medien oft wenig entgegenzusetzen.
Das gilt erst recht für die Linie von Marine Le Pen, seit dem sie ihren Vater entmachtet hat und selbst Parteivorsitzende wurde. Mit einigem Geschick versucht sie immer wieder, den FN als Opfer einer systematischen Verteufelung durch die Medien darzustellen. Sie profitiert dabei auch von Teilen der konservativen Wählerschaft, die mittlerweile viele extreme Ansichten der FN-Parteipropaganda teilt. Für JournalistInnen ist es dadurch schwieriger geworden, die rechtsextreme Demagogie zu entlarven.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Erpressungs-Diplomatie
Wenn der Golf von Mexiko von der Landkarte verschwindet
80 Jahre nach der Bombardierung
Neonazidemo läuft durch Dresden
Zwei Todesopfer nach Anschlag in München
Schwer verletzte Mutter und Kind gestorben