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Rechtsmediziner über Rosa-Luxemburg-Leiche"Eine Haarlocke wär's"

Michael Tsokos hat eine Leiche entdeckt, von der er glaubt, es könnte Rosa Luxemburg sein. Ein Gespräch mit dem Rechtsmediziner über seine Spurensuche.

Rechtsmediziner Michael Tsokos: "Ich bin mir sicher: Die 1919 obduzierte und begrabene Tote war nicht Rosa Luxemburg." Bild: ap
Interview von Plutonia Plarre

taz: Professor Tsokos, wer ist die Wasserleiche in der Berliner Charité?

Michael Tsokos

geboren 1967 in Kiel, Sohn deutsch-griechischer Eltern, ist seit 2007 Direktor des Instituts für Rechtsmedizin an der Charité und des Landesinstituts für Gerichtsmedizin. In Bosnien und Kosovo 1998 und nach dem Tsunami in Südasien 2004 half er bei der Massenidentifizierung von Opfern.

Michael Tsokos: Das kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Sie könnte Rosa Luxemburg sein. Sie könnte es aber auch nicht sein.

Es gibt Leute, die nennen Sie einen Wichtigtuer. Für die These, dass es Luxemburg sei, gebe es nicht den geringsten Beweis.

Mir war klar, dass die Geschichte Neid hervorrufen würde. Ich kann dazu nur sagen: Bisher gibt es kein einziges Indiz, dass sie es nicht ist. In den zweieinhalb Jahren, die ich mich damit beschäftige, habe ich immer nach Ausschlusskriterien gesucht, bin aber stets auf das Gegenteil gestoßen. Mir ist überhaupt nicht wohl. Immer noch denke ich, du hast was übersehen.

Klarheit könnte nur ein DNA-Test bringen. Wie ist der Stand?

Bekanntlich ist es uns gelungen, aus der Leber der Leiche Erbgut zu isolieren. DNA-Vergleichsmaterial von Rosa Luxemburg zu bekommen, ist dagegen weitaus schwieriger. An den Briefmarken von den Briefen, die wir vom Bundesarchiv bekommen haben, befand sich kein DNA-Material. Deshalb habe ich mich im April entschlossen, an die Öffentlichkeit zu gehen, um andere Dinge aus dem Nachlass ausfindig machen zu können.

Inzwischen sind hunderte von Hinweisen eingegangen. Ist eine heiße Spur darunter?

Im Moment verfolge ich sogar zwei heiße Spuren. Zum einen handelt sich um die Alben mit einer Pflanzensammlung von Rosa Luxemburg in einem Archiv in Warschau. Über die zweite Sache möchte ich noch nicht sprechen.

Wann wissen Sie Genaueres?

Die Untersuchung wird in sechs bis acht Wochen abgeschlossen sein. Dann haben wir entweder ein Match, also Übereinstimmung mit unserem Profil. Das wäre der Beweis, dass sie es ist. Oder man hat von den Spurenträgern kein Material isolieren können, das DNA-haltig ist. Die dritte Variante wäre, wir stoßen auf eine von unserem Profil abweichende DNA. Aber auch dann könnte man immer noch nicht sagen, die Leiche ist definitiv nicht Rosa Luxemburg. Dafür ist ihr Nachlass durch viel zu viele Hände gegangen, die Spuren hinterlassen haben können.

Das heißt, nur bei einem Match gibt es Gewissheit?

So ist es. Das ist ein Riesenproblem. Am besten wären direkte Nachfahren. Aber Rosa Luxemburg hatte keine Kinder.

In den Medien war vielfach von einer Haarlocke die Rede.

Die Locke hätte es gebracht. Alle Historiker haben gesagt, im Nachlass gibt es noch eine Locke. Aber es gibt sie nicht mehr.

Was werden Sie tun, wenn sich die Spuren im Sande verlaufen?

Dann werde ich das Bezirksamt bitten, die Frauenleiche anonym zu bestatten. Als Rechtsmediziner wäre es mir natürlich lieber, sie vorher zu identifizieren. Das könnte man aber auch noch später tun. Für den Fall, dass wir doch noch an authentisches Material von Rosa Luxemburg kommen, haben wir ja das Profil.

Ihr Vorgänger, Professor Volkmar Schneider, findet es unwissenschaftlich, ohne Beweise so einen Wirbel zu veranstalten.

Das mag er so sehen. Man muss sich das mal vorstellen: Seit 90 Jahren befindet sich eine unbekannte Frauenleiche in der Präparatesammlung der Charité und zwischen dieser Frau und Rosa Luxemburg bestehen überraschende Übereinstimmungen: Die Frau war zwischen 40 und 50 Jahre alt, als sie starb, sie hatte eine Körpergröße von 1.50 Meter. Sie litt zu Lebzeiten an Arthrose und ihre Beine waren unterschiedlich lang, was dafür spricht, dass sie - wie Luxemburg - gehbehindert gewesen sein muss. Das alles wäre ohne Belang, gäbe es da nicht das Protokoll von der Leichenöffnung Luxemburgs. Ich habe es genau studiert und bin sicher: Die 1919 obduzierte und begrabene Tote war nicht Rosa Luxemburg.

Das ist eine steile These. Rosa Luxemburg wurde am 15. Januar 1919 von rechten Militärs mit Kolbenschlägen niedergeschlagen und durch einen Kopfschuss getötet. Danach wurde ihre Leiche in den Landwehrkanal geworfen und am 31. Mai 1919 von einem Schleusenwärter geborgen. Was meinen Sie, passierte dann?

Am 3. Juni 1919 nahmen die Rechtsmediziner Fritz Strassmann und Paul Fraenckel die Obduktion vor. In dem Protokoll ist von einer unbekannten weiblichen Leiche die Rede. Wörtlich heißt es: "Ursachen einer eigentlichen Lahmheit haben wir nicht gefunden. Ebenso nicht für einen watschelnden Gang." Als Todesursache wird eine schwere Schädelverletzung durch einen Schuss angenommen.

Am 13. Juni 1919 - dem Tag der Beerdigung - erstatteten Strassmann und Fraenckel noch ein Nachgutachten.

Obwohl sie die Leiche nicht noch mal gesehen hatten, wird die unbekannte Frau im Nachgutachten plötzlich zu Rosa Luxemburg. Auf einmal ist von einer Schussverletzung und Kolbenschlägen die Rede. Gleichzeitig ziehen die Gutacher aber in Zweifel, ob die Kopfverletzung überhaupt zu Lebzeiten erfolgte. Das Protokoll ist ein einziger Eiertanz. Es haut vorne und hinten nicht hin.

Ihr Kritiker Schneider bezeichnet Strassmann als Koryphäe der Rechtsmedizin. Sein Gutachten in Frage zu stellen, sei ehrenrührig.

Das ist nicht ehrenrührig, sondern menschlich nachvollziehbar. Damals sind hunderte von Menschen getötet worden. In so einer Situation hat man als Gutachter keine Wahl, wenn einem eine Pistole an den Kopf gehalten wird. Da tut man, was von einem verlangt wird. Die Leiche, die als Rosa Luxemburg ausgegeben wurde, könnte eine Selbstmörderin gewesen sein, die von einer Brücke in den Landwehrkanal gesprungen ist.

Das alles ist reine Spekulation.

Ich habe mir die Archivbücher von 1919 bis 1922 besorgt. In dieser Zeit sind in diesem Abschnitt des Landwehrkanals acht unbekannte weibliche Leichen geborgen worden. Unsere Leiche aus der Charité wird eine davon gewesen sein. Sie hat mindestens ein halbes Jahr, wenn nicht länger, im Wasser gelegen. Vielleicht wurde mit Absicht irgendeine Frau obduziert und als Rosa Luxemburg begraben? Vielleicht wurde die echte Leiche erst sehr viel später gefunden?

Eine Exhumierung ist nicht möglich, weil das Grab in Berlin-Friedrichsfelde 1935 von den Nazis geschändet worden ist. Was ist Ihnen darüber bekannt?

Von Historikern hörte ich, dass Wilhelm Pieck das Grab 1950 öffnen ließ und nichts mehr drin war. Bis heute weiß anscheinend niemand, ob die Nazis Gebeine gefunden haben und was sie damit gemacht haben. Warum erforscht das keiner?

Haben Sie eigentlich auch Interesse für die lebende Rosa Luxemburg entwickelt?

Für ihr politisches Wirken weniger. Ich bin ein sehr unpolitischer Mensch. Aber für ihre Lebensgeschichte schon. Jörn Schütrumpf vom Dietz-Verlag, der die Luxemburg-Werke rausgibt, hat mir bei meinen Recherchen sehr geholfen. Ich bekomme auch viele E-Mails von Historikern, die noch Informationen haben. Rosa Luxemburg war eine ungeheuer starke Frau in einer Zeit, in der es überhaupt nicht üblich war, dass Frauen so auftraten. Das fasziniert mich. Sie musste ungeheuer viel erleiden, aber das hat ihren Willen in keiner Weise gebrochen.

Der Rummel um die angebliche Luxemburg-Leiche hat Ihnen zu großer Publizität verholfen. Wie gehen Sie damit um?

Das war schon vor der Luxemburg-Sache so. Die Nachfrage kam mit meinen Buch über spektakuläre Fälle in der Rechtsmedizin, das im Frühjahr rausgekommen ist. Gerade wird die fünfte Auflage gedruckt. Im Moment sage ich fast alle Interviewanfragen ab, weil ich sonst nicht mehr zu meinen Aufgaben komme.

Auch die Ausstellung über Rechtsmedizin, die Sie in der Charité organisiert haben, entwickelt sich zum Renner. Warum gehen Menschen in so eine Gruselveranstaltung?

Dass ist eine sehr gefühlvoll gemachte Ausstellung. Die Frage müsste doch wohl eher lauten: Warum ist Rechtsmedizin so en vogue? Im deutschen und amerikanischen Fernsehen laufen seit Jahren Serien über Autopsie.

Warum schauen die Leute solche Sendungen?

Wie erklären Sie sich den Hype für Kochshows? Die Leute gucken einfach jeden Schwachsinn.

Es fehlt nur noch, dass der Obduktionssaal für Zuschauer geöffnet wird. Wären Sie dafür?

Auf keinen Fall. Ich habe einen Brief von einem Mann bekommen. Er schreibt: "Meine Frau ist ein großer Fan der Rechtsmedizin. Ich würde ihr gern zum Geburtstag schenken, bei einer Obduktion dabei zu sein."

Was haben Sie geantwortet?

Ich habe überhaupt nicht geantwortet. Ein Autohaus hat mich gefragt, ob ich bei einem Dinner mit Kerzenschein etwas über Rechtsmedizin erzählen könnte. Solche Leute sind doch nicht ganz dicht.

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