Rechtsextremismus: Pankow hat rechte Schlagseite
Im Norden des Bezirks werden rechtsextremistische Aktionsgemeinschaften immer stärker. Opfer ihrer Übergriffe sind vor allem linke Jugendliche
Mit idyllischen Vorgärten und "florierenden" Gewerbestandorten wirbt eine Immobilienfirma für den Altbezirk Pankow. Mit Hakenkreuzen und rassistischen Aufklebern beschmierte Laternen sowie ganze Straßenzüge, in die sich Dunkelhäutige nicht trauen - auch das ist Pankow.
In der Nacht zum Samstag haben 20 Neonazis in der Nähe des S-Bahnhofs Wollankstraße linke Jugendliche angegriffen. Einer der Angegriffenen wurde mit einem Schlagstock so stark am Kopf getroffen, dass er ambulant behandelt werden musste. Die Polizei nahm vier Neonazis fest.
Es ist nur einer von vielen rechtsextremistisch motivierten Übergriffen in Pankow. Der Nordosten Berlins gilt seit einiger Zeit als Schlägerareal gewaltbereiter Neonazis. Dabei stehen nicht mehr die Plattenbauviertel von Marzahn und Lichtenberg ganz oben in der Statistik. Besonders in Niederschöneweide und Prenzlauer Berg häufe sich die Gewalt, ergab eine jüngst erschienene Studie des Verfassungsschutzes. Betroffen von den Übergriffen sind zumeist linke Jugendliche.
Dass dies bislang wenig thematisiert wurde, erklärte sich Innensenator Ehrhart Körting (SPD) damit, dass der Bezirk "Pankow bisher Schwein gehabt hat in der öffentlichen Berichterstattung". Ein Grund für den Anstieg sei das Erstarken rechtsextremistischer autonomer Aktionsgemeinschaften, so der Bericht des Verfassungsschutzes.
Antifas können den Hintergrund in Pankow präziser beschreiben: Sie berichten von rechten Schlägern, die am Samstag aus der Kneipe Music-Café in der Wollankstraße gekommen seien. Seitdem die Kneipe Spasseck in der Dietzgenstraße vor ein paar Monaten geschlossen wurde, diene das Music-Café verstärkt als Treffpunkt von Neonazis. Die Kneipe habe Verbindung zum kriminellen Milieu der Rocker, darunter einer Gruppe namens "Nordische Bruderschaft", sagen Vertreter der "Antifa Prenzlauer Berg" sowie der "Emanzipativen & Antifaschistischen Gruppe". Mit dem Kreisverband 8 verfüge die NPD in Pankow zudem über einen der aktivsten Verbände, der auch personelle Überschneidungen mit dem militanten Neonazispektrum um die "Vereinten Nationalisten Nord-Ost" und den "Autonomen Nationalisten Pankow" hat. Dieser Personenkreis sei für eine Reihe von Angriffen und Anti-Antifa-Aktionen der letzten Jahre verantwortlich.
Die rechte Gewalt in Pankow war am Montag auch Thema im Innenausschuss. Udo Wolf (Linke) zeigte sich verwundert, dass der Übergriff vom Samstag von der Polizei als "Rechts-links-Auseinandersetzung" bezeichnet wird. Rechts-links würde suggerieren, dass es sich um eine gleichberechtigte Auseinandersetzung handle. Der Vorfall sei aber allein ein rechter Angriff gewesen. Innensenator Körting versicherte: Wenn dem so sei, würde er den Vorfall sofort als solchen bezeichnen. Er müsse aber die Ermittlungen abwarten.
Neonazistische Umtriebe finden derzeit nicht nur in Pankow statt. Ebenfalls am Wochenende haben Unbekannte Stromkästen in Marzahn-Hellersdorf mit Plakaten beklebt, auf denen "Gedenken an Horst Wessel" stand. Wessel war SA-Sturmführer und schrieb ein Lied, das die NSDAP kurz nach seiner Ermordung 1930 zur Parteihymne erkor. "Die Plakate waren so fest angeklebt, dass man sie als Laie nicht entfernen konnte", berichten Anwohner. Die Polizei will prüfen, ob sie eine Straftat darstellen. Der Schriftzug allein sei wohl nicht strafbar, sagte ein Polizeisprecher. "Aber weil auf den Plakaten kein Name eines presserechtlich Verantwortlichen steht, handelt es sich in jedem Fall um eine Ordnungswidrigkeit."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Scholz zu Besuch bei Ford
Gas geben für den Wahlkampf