Rechtsextremismus-Tagung in Potsdam: Normalfall Neonazi

Zeithistorische Rechtsextremismusforschung besteht bislang nur aus kleinen Inseln. In Potsdam trafen sich Interessierte mit dem Ziel, das zu ändern.

ein Mann sitzt vor einer Bücherwand

Frank Bösch, Direktor des Zentrums für zeithistorischen Forschung (ZZF) Foto: dpa

Potsdam taz | Von dem großen Zulauf waren die OrganisatorInnen überrascht. Eine kleine Gruppe meist junger ZeithistorikerInnen hatte nach Potsdam geladen, um über „Rechtsextremismus in der Zeitgeschichte“ zu debattieren. Ein Workshop mit vielleicht 40 TeilnehmerInnen war geplant. „Bei 120 mussten wir die Notbremse ziehen“, sagte Frank Bösch, Direktor des Zentrums für zeithistorische Forschung (ZZF) am Freitag zur Begrüßung. Für mehr sei in der Bibliothek seines Instituts kein Platz. Bösch räumte ein, dass auch an seinem Institut das Thema bislang „eher gestreift“ werde. Schon „die Frage, wie nennen wir das Ganze“, sei ungeklärt.

Nicht nur das wollen die VeranstalterInnen ändern. Extrem rechtes Denken und Handeln ist auch nach 1945 stets Teil deutscher Geschichte gewesen. Dennoch stecke dessen zeithistorische Erforschung in den Kinderschuhen. Das gelte sowohl, was konzeptionelle Überlegungen angeht, als auch mit Blick auf empirische Forschungen. Das erste Ziel des Workshops daher: Das Phänomen des Rechtsextremismus und seine politische und wissenschaftliche Konstruktion als Gegenstand für die Zeitgeschichtsforschung zu umreißen.

„Es gab immer Versuche der zeitgeschichtlichen Forschung“, sagte Yves Müller, Historiker an der Universität Hamburg, bei seiner Einführung. Diese seien aber nicht aus dem Zentrum der Zeitgeschichte gekommen. Es sei an der Zeit, das Thema aus der Nischendiskussion herauszuführen. „Rechtsextremismus soll als eigener Forschungsbereich in die Disziplin eingehen“, betonte am späten Nachmittag auch Sebastian Bischoff von der Universität Paderborn, als es um das zweite Ziel des Workshops ging: einen Arbeitskreis „Historische Rechtsexremismusforschung“ zu gründen. Denn ohne Vernetzung wird man nicht in das Zentrum der Disziplin vordringen.

Ob die disparate Quellenlage ein Grund für die prekäre Lage sei, wie unter anderem ZZF-Direktor Bösch anführte, war umstritten. Zwar gelten für Verfassungsschutz- und Gerichtsakten lange Sperren, doch gebe es auch nichtstaatliche Archive wie Apabiz in Berlin und das Lichtenhagen-Archiv in Rostock. „Es ist sehr viel Material vorhanden“, sagte Gideon Botsch, der am Moses Mendelsohn Zentrum in Potsdam die Forschungsstelle Antisemitismus und Rechtsextremismus leitet.

Rechtsextreme Frauen in der DDR

Das verdeutlichte Christoph Schulze, Mitarbeiter an Botschs Zentrum, der seine Forschungen über Rechtsrock in Brandenburg seit den siebziger Jahren vorstellte. „Es ist erstaunlich, wie viel Material zu finden ist, wenn man den Aufwand betreibt“, sagte Schulze. Er selbst habe Unterlagen von Behörden und Journalisten, aber auch aus der Szene selbst verwendet, darunter Mitschnitte, Versandmaterial, Fanzines. „Damit lässt sich vieles in Detailschärfe nachzeichnen.“

Henrike Voigtländer vom ZZF dagegen nutzte für ihre Forschung über rechtsextreme Frauen in der DDR, die bereits in eine Ausstellung der Amadeu Antonio Stiftung eingegangen ist, vor allem Akten der Volkspolizei und des Ministerium für Staatssicherheit. Am Beispiel einer jungen Frau aus Berlin-Lichtenberg, die in den achtziger Jahren zur Skinhead-Szene gehörte, zeigte Voigtländer, wie sich die Beurteilung bei den DDR-Behörden änderte. Zunächst wurde diese als Rowdy eingestuft – was „asozial“ hieß und damit: nicht-politisch.

Schließlich gab es laut offizieller DDR-Lesart im sozialistischen Teil Deutschlands keine Neonazis. „Man sah sie erst als politische Gefahr, als es außenpolitisch geboten war“, so Voigtländer. Nämlich als im Oktober 1987 nach dem Angriff von Skinheads auf ein Punkkonzert in der Ostberliner Zionskirche die Existenz von Neonazis nicht mehr zu leugnen war.

Platz für nicht-akademische Stimmen

Weitere Vorträge, etwa über die juristische Geschichtsdeutung, die 1952 dem Verbot der Sozialistischen Reichspartei zugrunde lag, oder über die extreme Rechte im Vorfeld der Asyldebatte in den achtziger Jahren, machten deutlich, wie viel Forschung es zum Thema Rechtsextremismus bereits gibt. „Verinselte Forschung“ nannte einer der Teilnehmer das. Nun gehe es darum, Festland zu erreichen, die Lücken zwischen den Inseln zu füllen und auch Impulse aus anderen Disziplinen wie der Rassismus- oder Genderforschung aufzunehmen.

Dafür gründete sich am späten Nachmittag ein interdisziplinärer Arbeitskreis, der für Vernetzung sorgen und einmal im Jahr eine Tagung ausrichten will. Es soll auch Platz für nicht-akademische Stimmen geben. Nach Potsdam waren nämlich nicht nur MitarbeiterInnen aus Hochschulen gekommen, sondern auch aus Gedenkstätten, mobilen Beratungsstellen, der politischen Bildung. Als die Begeisterung darüber sich ausweitete, betonte einer der Veranstalter noch einmal das andere Ziel: die eigene Disziplin zu verändern. „Der Transfer in die Zeitgeschichte ist wichtig.“

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