Rechtsextremer Aufmarsch in Berlin: Was für eine Schlappe
Das Verbot des „Wir für Deutschland“-Aufmarschs am Freitagabend scheiterte. Zur Niederlage für die Rechtsextremen wurde er trotzdem.
Berlin taz | Enrico Stubbe ist nervös. Er schüttelt Hände, berät sich mit den anderen Männern um sich herum. Sollen sie ihn jetzt wirklich beginnen, den „Trauermarsch für die Toten von Politik“, den sie für heute Abend angemeldet haben? An der Zeit wäre es, doch bisher haben sich nur an die hundert Menschen versammelt, auf einem von der Polizei abgesperrten Platz südwestlich des Berliner Hauptbahnhofs.
Mit einer Stunde Verspätung setzt sich der Zug am Freitagabend um 19 Uhr 30 schließlich in Bewegung. Mehr als gut 100 Teilnehmer sind es auch jetzt nicht. Eine deutliche Niederlage für die Organisation des Rechtsextremisten Stubbe aus Berlin-Marzahn, die seit Frühling 2015 regelmäßig Aufmärsche in Berlin veranstaltet. So wenig Teilnehmer waren es noch nie.
Sie halten Kerzen in den Händen, vom Lautsprecherwagen werden Youtube-Videos mit klassischer Musik gespielt, von Werbeeinlagen unterbrochen. Der Gegenprotest ist da deutlich präsenter: Mehrere tausend Menschen haben den Hauptbahnhof umzingelt, ihre Rufe dringen lautstark herüber.
Schon im Vorfeld hatte es viel Protest dagegen gegeben, dass ausgerechnet am 9. November, dem 80. Jahrestag der Reichspogromnacht, Rechtsextreme in Berlin aufmarschieren wollen, nur ein paar hundert Meter vom Denkmal für die ermordeten Juden und Jüdinnen Europas entfernt.
Erst untersagt, dann erlaubt
„Man sagt mir, unsere Demokratie müsse mit so etwas fertig werden, aber ich will damit nicht fertig werden“, hatte Lala Süßkind gesagt, die Vorsitzende des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus. Die Versammlungsbehörde hatte den rechtsextremen Aufmarsch schließlich untersagt, da sich dieser offensichtlich gegen den Gedenktag richte – eine Argumentation, der weder das Berliner Verwaltungsgericht noch in nächster Gericht das Oberverwaltungsgericht gefolgt waren.
Insgesamt bleibt es friedlich, von kleineren Rangeleien mit der Polizei abgesehen, die für alle Veranstaltungen an diesem Tag mit 1.200 Beamten im Einsatz ist.
Das Verbot wurde als „offensichtlich rechtswidrig“ zurückgewiesen. Die rechtsextreme Demonstration, vorgeblich aus Anlass des 9. Novembers 1989 veranstaltet, konnte also stattfinden. Trotzdem ist der politische Wille der Berliner Senatsverwaltung für Inneres deutlich zu spüren: Den Rechtsextremen wird an diesem Abend, anders als sonst bei Aufmärschen von „Wir für Deutschland“ üblich, nur ein kleiner Teil des Washingtonplatz vor dem Berliner Hauptbahnhof als Anmeldeplatz zugestanden, der Gegenprotest ist an vielen Orten der Route deutlich hör- und sichtbar.
„Ich bin auch nach der Gerichtsentscheidung überzeugt davon, dass wir das nicht zulassen sollten an einem Tag, an dem die Welt auf Berlin schaut“, kommentiert Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) die Gerichtsentscheidung. „Mehrere tausend“ Gegendemonstranten zählt die Berliner Polizei, von 7.000 Teilnehmern spricht das Berliner Bündnis gegen Rechts, das zu den Protesten aufgerufen hatte.
Insgesamt bleibt es friedlich, von kleineren Rangeleien mit der Polizei abgesehen, die für alle Veranstaltungen an diesem Tag mit 1.200 Beamten im Einsatz ist. Für die Rechtsextremen von „Wir für Deutschland“ war dieser Tag eine deutliche Schlappe – der starke Protest bereits wird daran seinen Anteil gehabt haben.
Leser*innenkommentare
eremit
Im Ernst? Sie halten die Justiz für frei und unabhängig?
In einem Land, in dem ein Geldkofferschmuggler erst Innen, dann Finanzminister (und als solcher tatenlos dem CumEx-Betrug zusehend) und dann noch Bundestagspräsident geworden ist?
Oder kommen Sie aus dem Ausland? Darf man fragen woher? Dahin würde ich dann vielleicht einwandern wollen...
Jakob Cohen
Das Gerichte überhaupt pro Nazis entscheiden wirft kein gutes Licht auf diese Justiz.
Wundern tut's mich nicht!
Argumente wie: Das muss eine Demokratie aushalten, ist nur eine fadenscheinige Begründung, es den Nazis doch zu gestatten.
Hier geht es aber weniger um die Demokratie, sondern um die geschichtlichen Zusammenhänge und sind eine Verhöhnung der Opfer!
Ulrike Lembke
taz-Autor*in
@Jakob Cohen Die Gerichte haben für die Versammlungsfreiheit entschieden - die Ihnen vermutlich auch wichtig ist.
Dass eine Senatsverwaltung erst zwei Tage vorher und mit Verweis auf die öffentliche Ordnung ein Versammlungsverbot ausspricht, dessen umgehende Aufhebung damit für alle Jurist*innen absehbar ist, wirft kein gutes Licht auf die Senatsverwaltung.
Und dass dieselbe Senatsverwaltung ihre versprechen nicht hält, was Gegendemonstrationen in Sicht- und Hörweite von Nazidemos, aber auch Fragen der Zugänglichkeit und Informationspolitik hierzu angeht, wirft noch mehr Schatten. Es erklärt aber vielleicht die juristisch aussichtslose Aktion mit dem Versammlungsverbot - als äußerst kostengünstige PR-Aktion.
Gregor Tobias
@Jakob Cohen Bei einem Verbot hätten die armen Hasskranken einen weiteren Grund zum Jammern gehabt, und die Gegendemo wäre obsolet gewesen. Die hat aber wieder mal die wahren Mehrheitsverhältnisse aufgezeigt.
Wenn wir wach bleiben kommt der rechte Dreck nicht mehr hoch.
mlevi
@Jakob Cohen Ihr Vorstellung von einer freien und unbhängigen Justiz erfüllt mich mit Schrecken!
luetzowplatz
@mlevi Wir leben bekanntermaßen in einem Rechtsstaat. Da ist die Justiz nicht zwangsläufig frei und unabhängig, sondern rechts.