Rechte und „Querdenker“ in der Justiz: Staatsstreich mit Rechtsbeugung
Die Richterin und AfD-Politikerin Birgit Malsack-Winkemann sitzt wegen mutmaßlicher rechter Umsturzpläne in U-Haft. Nur ein Einzelfall in der Justiz?
Die Schlüsselfrage: Ist der Absturz der Richterin ein Einzelfall in der Justiz? Was die mutmaßliche Verstrickung in den geplanten Putsch angeht: sicher. Nicht jedoch bezüglich ihrer ideologischen Nähe zu der Mischszene aus Rechtsextremisten, Reichsbürgern und Querdenkern. Deren Virus hat einzelne Staatsanwälte und Richter während der Coronapandemie infiziert.
„Gib Gates keine Chance“
Eine rechte Querdenkerin war die Berliner Staatsanwältin Renate H. (Name geändert). Bei Angriffen von Rechtsextremisten und Hooligans auf Polizisten vor der russischen Botschaft am 29. August 2020 marschierte sie mit ihrem Sohn in der ersten Reihe, obwohl sie als Staatsdienerin eigentlich auf der anderen Seite der Polizeiabsperrung stehen sollte. Später mündete diese Demonstration in dem Versuch, den Reichstag zu stürmen
Allem Anschein nach ist Renate H. keine Gelegenheits-, sondern Überzeugungstäterin. Schon im August 2020 marschierte sie mit Reichsbürgern auf der ersten großen Demo gegen die Coronapolitik in Berlin. Im August 2022 besuchte sie teilweise gewalttätige Proteste in Leipzig. Auf ihrem Facebook-Profil verbreitete die Vertreterin der Staatsgewalt monatelang Verschwörungstheorien.
Lange stand auf ihrem Profilbild der Slogan „Gib Gates keine Chance“. In Querdenker-Kreisen ist die These populär, dass der Microsoft-Gründer Bill Gates die Pandemie absichtlich ausgelöst habe. Andere Posts legen den Schluss nahe, dass sie im rechtsextremen Milieu verwurzelt ist. Mehrfach hat sie Beiträge geteilt, die von der schwarz-weiß-roten Reichsflagge als „Symbol für einen Friedensvertrag“ sprachen.
Weimars Anti-Corona-Richter
Ideologisch schwer einzuordnen sind drei Entscheidungen der Amtsgerichte Weimar und Weilheim, die die Maskenpflicht in Schulen für verfassungswidrig und nichtig erklärt haben, obwohl ausschließlich Verwaltungsgerichte zuständig sind. Eine klare Zuständigkeitsanmaßung.
Gemeinsam ist den drei Amtsrichtern, dass sie mit ihren Entscheidungen eine politische Agenda verfolgt haben, eine richterliche Todsünde, weil sie damit gegen das Gebot der richterlichen Neutralität verstoßen. In ihren Entscheidungen polemisieren sie offen gegen die Bundesregierung oder verstecken sich hinter juristischer Dogmatik – zum Beispiel durch die selektive Auswahl von Gutachtern, die als Coronaverharmloser bekannt sind, oder durch medizinisch unbelegte Behauptungen.
Der Weimarer Amtsrichter Matthias Guericke geißelte Lockdowns als „katastrophale politische Fehlentscheidung“ und ein Strategiepapier des Innenministeriums als „Science-Fiction“. Solche politischen Meinungsäußerungen haben in gerichtlichen Entscheidungen nichts zu suchen. Im Echo auf Guerickes Beschluss rätselten viele, wo er politisch steht, ob er Reichsbürger, Querdenker oder AfD-Sympathisant sei. Auf die Idee, dass er ein Grüner sei, wie Guericke selbst über sich behauptet, kam niemand.
Sein Weimarer Kollege Christian Dettmar behauptete kontrafaktisch, dass „nach wissenschaftlichen Erkenntnissen“ „Masken keinen Effekt auf das Infektionsgeschehen haben“ und der PCR-Test „prinzipiell nicht zur Feststellung […] von Infektionen geeignet“ sei. Im Zorn erließ der Meininger Amtsrichter Volker Kuba im Februar 2021 einen Beschluss im Duktus eines Querdenkers: „Wie mittlerweile allgemein bekannt, gelten in der BRD momentan weder das Grundgesetz noch andere Gesetze.“
Im Januar 2021 gründete sich das „Netzwerk kritischer Richter und Staatsanwälte“. Es versteht sich in seinem rechtlichen Widerstand gegen die staatlichen Anti-Corona-Maßnahmen als „politisch neutral“. Befeuert durch Kontroversen über die Impfpflicht, haben drei Mitglieder im September 2021 das Netzwerk verlassen: der Recklinghausener Amtsrichter Oliver Nölken, der Erfurter Landrichter Detlev Pahl und der pensionierte Landrichter Thomas Braunsdorf.
In der schriftlichen Austrittserklärung werfen sie der „übergroßen Mehrheit der aktiven Mitglieder“ vor, das „Netzwerk als einen justiziellen Arm der Querdenker-Bewegung zu positionieren“: „Nach unserer Wahrnehmung nehmen medizinisches Halbwissen, Esoterik und Verschwörungsgeraune einen immer größeren Raum ein.“
Empört hat die drei Richter unter anderem ein Beitrag auf der Webseite des Netzwerks, der das in Querdenker-Kreisen propagierte Pferde-Entwurmungsmittel Ivermectin als Wunderwaffe zur Behandlung von Coronakranken empfohlen hat. Außerdem fanden sie interne Chatnachrichten inakzeptabel, in denen „Corona-Schutzimpfungen in einen Zusammenhang gerückt, verglichen, sogar gleichgesetzt wurden mit biologischen Kampfstoffen, Völkermord und dem Holocaust“.
Der Berliner Landrichter und Netzwerkmitbegründer Pieter Schleiter räumt relativierend ein, dass es in „zwei oder drei Fällen“ Beiträge „mit absurden Inhalten“ gegeben habe, deren „Inhalte gedanklich nicht voll erfasst wurden“. Allerdings scheint er selbst nicht frei vom Verschwörerischen zu sein. In seiner Verfassungsbeschwerde gegen staatliche Anti-Corona-Maßnahmen unkt er, dass „Zensur“ stattfinde und viel „Geld im Spiel“ sei, um „Sachverständige“ zu bezahlen, die „Entscheidungen wirkungsvoll beeinflussen“ können.
Schwarz-weiß-roter Balkon
Es gibt bereits ein Dutzend Urteile von Oberlandesgerichten und Verwaltungsgerichtshöfen, die Schöffen ihrer Ämter enthoben haben, weil sie sich als Mitglieder der NPD, einer rechtsextremistischen Skinhead-Band oder der Reichsbürger-Szene verfassungsfeindlich geäußert hatten.
Getroffen hat es unter anderem einen Schöffen, der auf Facebook einen Beitrag mit den Worten weitergeleitet hatte: „Ich bin Bürger des Deutschen Reiches und kein Bürger der Firma BRD.“ Ein anderer Laienrichter musste gehen, weil er auf seinem Balkon die schwarz-weiß-rote Reichsfahne gehisst und die Bundesrepublik als „Besatzungsregime“ beschimpft hatte.
Weil die politische Einstellung oder das Parteibuch bei der Wahl von Laienrichtern keine Rolle spielen soll, sorgen sich einige Gerichtspräsidenten, dass bei den Schöffenwahlen 2023 Bewerber vom rechten Rand unerkannt auf die Richterbank gelangen könnten.
Schwerer Rechtsverstoß
Wegen der richterlichen Unabhängigkeit ist es für die Selbstkontrolle der Justiz wesentlich schwerer, gegen Richter vorzugehen als gegen Schöffen, wenn sie politisch ausscheren. Die interne Dienstaufsicht wird nicht einheitlich gehandhabt. Das Reaktionsspektrum pendelt zwischen Wegschauen, falscher Toleranz bis zur schweren Keule einer Anklage wegen Rechtsbeugung.
Der bereits erwähnte Richter Kuba aus Meiningen erhielt wegen Verstoßes gegen das Mäßigungsgebot einen bestandskräftigen Verweis, gegen die Berliner Querdenker-Staatsanwältin wurden strafrechtliche Ermittlungen und ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Glimpflich davongekommen ist Richter Guericke aus Weimar. Er wurde trotz „schwerer Rechtsverstöße“ (Staatsanwaltschaft Erfurt) weder disziplinar- noch strafrechtliche sanktioniert.
Sein Weimarer Kollege Dettmar und die AfD-Richterin Malsack-Winkemann werden ihre strafrechtlichen Verstrickungen dagegen beruflich wohl noch teuer bezahlen müssen, mit Entlassungen oder Versetzungen in den Ruhestand. Die bereits gegen Dettmar zugelassene Anklage wegen Rechtsbeugung ist rechtshistorisch eine Wegmarke: Es ist die erste Anklage wegen einer politisch motivierten Rechtsbeugung. Wegen dieser Anklage hat das Thüringer Richterdienstgericht am Landgericht Meiningen ihn vom Dienst suspendiert. Er hat seinen Arbeitsplatz geräumt und bekommt 25 Prozent weniger Gehalt.
Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel wurde aufgrund eines Hinweises des KRiStA n.e.V. aktualisiert.
Der Autor ist Jurist und Journalist. Sein Buch „Rechte Richter: AfD-Richter, -Staatsanwälte und -Schöffen: eine Gefahr für den Rechtsstaat?“ ist kürzlich in der zweiten, erweiterten Auflage im Berliner Wissenschafts-Verlag erschienen.
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