Rechte Partei in Schweden: Man gibt sich angeekelt
Die rechten Schwedendemokraten arbeiten ihre Vergangenheit auf. Heuchelei, sagen die einen. Immerhin, sagen andere.

Zum Einstieg: Die Schwedendemokraten sind aus der rassistischen und nationalrevolutionären Bewegung „Bevara Sverige svenskt“ (Haltet Schweden schwedisch) hervorgegangen, wie der Ideenhistoriker und Autor des Weißbuchs Tony Gustafsson bei der Vorstellung auf Gotland sagte.
Mehr als 800 Seiten hat seine Dokumentation. Bislang wurden nur hundert Exemplare gedruckt, die unter anderem an schwedischen Medien gegeben wurden. Schon 2018 hatte Parteichef Jimmie Åkesson angekündigt, die Geschichte der Schwedendemokraten aufarbeiten zu lassen. Doch es zog sich gewaltig, Gustafsson bekam den Auftrag erst 2021.
Das wurde schon zu einem Politikum, als bekannt wurde, dass auch er einst Parteimitglied war. Nun bewerten Experten seine Arbeit zwar als wenig analytisch, aber als eigenständig.
Langer Entstehungsprozess des „Weißbuchs“
Ein erster Teil über die Gründer war 2022 fertig – aber erst im mit Spannung erwarteten zweiten Teil geht es um die Entwicklung von 1988 bis 2010, der Zeit, in der unter anderem Jimmie Åkesson Mitglied wurde und die Partei in den Reichstag kam. Wovon wurden die geprägt, die die Schwedendemokraten heute führen?
Seit der Wahl 2022 regieren sie quasi mit, wenn auch ohne eigene Ministerien. Aber als offizieller Kooperationspartner und Mehrheitenbeschaffer waren und sind sie von entscheidender Bedeutung für Ministerpräsident Ulf Kristersson und seine Koalition aus Moderaten, Christdemokraten und Liberalen.
Dass sie ihre im Prinzip nicht unbekannten Geschichte nun so prominent präsentierten, wurde in Schweden als Strategie des „Pflaster Abreißens“ gedeutet – also kurz und schmerzhaft, aber dann ist es vorbei. Nach der Devise: Geschichte aufgearbeitet, entschuldigt, abgehakt, weiter geht’s auf dem ziemlich erfolgreichen Weg zur Normalisierung als eine von vielen schwedischen Parteien.
Antisemitismus und Holocaust-Leugnung
Anfang der 1990er war diese Partei von einem „ausgeprägten Ethnonationalismus“ geprägt, so Gusstafsson. Viele Mitglieder dieser Zeit seien zugleich in Nationalsozialistischen Gruppen wie „Vitt ariskt motstånd“ („Weißer arischer Widerstand“) aktiv gewesen.
Antisemitische Rhethorik und Holocaust-Leugnung bei den Schwedendemokraten: Schon vor der Präsentation hatte sich Parteichef Jimmie Åkesson zu genau diesem Punkt geäußert. Er bitte die Juden in Schweden um Entschuldigung dafür, dass sie seine Partei zu der Zeit als bedrohlich und beängstigend aufgefasst haben könnten.
Åkesson sagte auch, Antisemitismus sei bei „einzelnen Schwedendemokraten“ vorgekommen, in Texten, Reden und Schlagworten bei Demonstrationen, aber er habe nicht die Parteipolitik geprägt. Er nannte das Weißbuch eine niederschlagende Lektüre, und es täte ihm zutiefst leid, was in den frühen Tagen der Partei passiert sei. Heute sei er es, der mit diesem Erbe umgehen müsse, die Partei grenze sich nun deutlich von Antisemitismus ab.
Magdalena Andersson, die Vorsitzende der schwedischen Sozialdemokraten, nannte Åkessons Entschuldigung „grenzenlose Heuchlerei“. Auch heute noch gebe es in der Partei Personen, die sich antisemitisch äußerten.
Offene Hetze gegen Muslime
Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Schweden, Aron Verständig, äußerte sich positiver – es sei gut, dass SD das Weißbuch habe schreiben lassen und um Entschuldigung gebeten habe. „Das Wichtige ist nun, dass den Worten Taten folgen und dass man weiterhin eine Null-Toleranz-Politik gegen Antisemitismus und andere Formen von Rassismus hat“, sagte er. Die Partei hätte aber etwas deutlicher sein können damit, dass es nicht nur einzelne Mitglieder waren, sondern sie als Ganzes antisemitisch war.
In weiteren Reaktionen wurde kritisiert, dass die Schwedendemokraten sich nicht bei anderen von ihnen bedrohten Minoritäten entschuldigt hätten – und es wurde daran erinnert, dass die Partei nun offen gegen Muslime hetze.
Für Geflüchtete, Migranten und Migration und wurden laut Weißbuch seit 1993 bewusst Begriffe wie „Eindringling“ und „Invasion“ eingesetzt.
Dass das Konzept von „Rassen“ für Menschen wissenschaftlich und gesellschaftlich nicht opportun war, wussten laut Tony Gustafsson auch die frühen Schwedendemokraten: Intern hätten sie über die „Gefahren“ der „Vermischung von Rassen“ gesprochen. Die Mitglieder wurden aber 1993 angewiesen, den Begriff in der Öffentlichkeit nicht zu nutzen.
Parteiausschlüsse und Verbot von Nazi-Symbolen
Ab 1995, als Mikael Jansson den Parteivorsitz übernahm, begannen die Schwedendemokraten einen Änderungsprozess – erstmal damit, Nazi-Symbole und Uniformen auf Demonstrationen zu verbieten. Intern sei diskutiert worden, wie man das „Nazipack“ loswerde.
Bis 2010 wurden 130 Mitglieder aus der Partei ausgeschlossen. Jansson erklärte im Jahr 2000 öffentlich seinen „Abscheu“ gegenüber dem Nationalsozialismus.
Autor Gustafsson nennt die Parteiausschlüsse strategisch, sie sollten Signale aussehen, was innerhalb der Partei als akzeptabel gelte. Das bedeute aber nicht, dass alle Mitglieder mit nationalsozialistischem Hintergrund in dieser Zeit ausgeschlossen worden seien.
Stolz über eigene Vergangenheitsaufarbeitung
Es war nicht Jimmie Åkesson, der sich nach der Weißbuch-Vorstellung vor die Presse stellte, sondern Mattias Karlsson, der sogenannte Chefideologe der Partei. Er gab sich äußerst reumütig. „Wir sind uns alle einig, dass es so schlimm ist, dass es keinen Grund gibt zu versuchen, etwas zu entschuldigen oder abzuschwächen“, sagte er.
Er sei froh, dass die Partei gegründet wurde, aber die sei von „Personen mit verwerflichen Ansichten“ gebildet worden. „Ich bin wütend und angeekelt darüber, welchen Vorstellungen man zugelassen hat“, meinte Karlsson.
Wie Åkesson sieht auch er sich als unbeteiligt an der Vergangenheit – beide sind seit Mitte der 1990er in der Partei. Karlsson sagte, er sei stolz, an deren „Entradikalisierung“ mitgewirkt zu haben.
Was diese Politiker denn damals zum Parteieintritt bewog, ob ihre Vergangenheitsbewältigungs-Demonstration ein geschickter Schachzug war, ob und welche Folgen für die schwedische Politik zu erwarten sind: Unter anderem darüber wird jetzt diskutiert.
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