Rechte Kampagne nach prominentem Vorbild: AfD hetzt gegen Göttinger Schule
Die AfD skandalisiert den Kurzauftritt eines Imams bei einer Göttinger Schulfeier. Die Munition für die Kampagne lieferte Reichelts Portal „Nius“.

Zunächst berichtete das Portal über den Auftritt des Hildesheimer Imams Sinan Öztürk bei der Jahresabschlussfeier der katholischen Bonifatiusschule II in Göttingen. „Der Imam aus Hildesheim, der sich in der Öffentlichkeit gerne als interreligiöser Experte inszeniert, hat engen Kontakt zur Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs“, schrieb die „Nius“-Reporterin. Diese werde vom Verfassungsschutz als islamistische Bewegung eingestuft. Tatsächlich wird Milli Görüs in Niedersachsen schon seit zehn Jahren nicht mehr vom Verfassungsschutz beobachtet.
Im Übrigen sei das Auftreten Öztürks nicht das erste Mal, dass die Bonifatiusschule II „Kontakt zu Akteuren aus dem islamistischen Umfeld hatte“, hieß es bei „Nius“ weiter. Bereits im September 2022 habe die Schule dazu aufgerufen, den „Tag der offenen Moschee“ zu besuchen.
AfD kündigt Beschwerde gegen Iman-Auftritt an
Kaum war der Text online, zeigte sich der Göttinger AfD-Kreisverband mit Blick auf die Schulfeier „erschüttert über so viel Nähe zu demokratiefeindlichen Extremisten“. „Wenn selbst auf einer katholischen Schule die Kinder nicht mehr sicher sind vor islamistischer Indoktrination, dann ist unsere Jugend wahrlich in großer Gefahr“, sagte der Kreisverbandsvorsitzende Justin Vogel laut einer Mitteilung. Es liege nun an den Eltern der Schüler, ein deutliches Zeichen gegen den islamischen Extremismus zu setzen und sich bei der Schule zu beschweren.
Gleichzeitig kündigte Vogel an, bei der Stadt Göttingen Beschwerde nach dem Kommunalverfassungsgesetz einzulegen, „denn es ist ein schweres Versäumnis, eine solche Veranstaltung nicht unterbunden zu haben“. Dabei ist die Stadt für Schulen in kirchlicher Trägerschaft gar nicht zuständig.
Thomas Pohlmann, Sprecher des Bistums Hildesheim
Das Bistum Hildesheim reagiert mit großem Unverständnis auf die Kampagne von Rechtsaußen. Das Bistum ist Träger der Schule, die einen Anteil an muslimischen Schülern von rund 17 Prozent aufweist und als einzige des Bistums auch islamischen Religionsunterricht als Fach anbietet. Insgesamt besuchen etwa 700 Mädchen und Jungen die Schule.
Öztürk habe bei der dreistündigen Abschlussfeier in einer katholischen Kirche in Göttingen nur wenige Minuten gesprochen, sagte Bistumssprecher Thomas Pohlmann auf Anfrage. Er habe Verse aus dem Koran zitiert, zunächst auf Arabisch, dann in deutscher Übersetzung. Dann habe er sich kurz in deutscher Sprache an die Schülerinnen und Schüler gewandt und ihnen alles Gute für die Zukunft gewünscht.
„Zu keinem Zeitpunkt äußerte er sich zu Themen, die dem Bildungsauftrag der Schule, dem Leitbild der Schulen in Trägerschaft des Bistums Hildesheim oder dem Leitfaden für Antidiskriminierung widersprechen“, so Pohlmann. Der Schule lägen auch keine Beschwerden von Eltern an dem rund vierminütigen Beitrag des Imams während der Andacht vor. Die Stellungnahme des Bistums ist den Angaben zufolge mit der Schulleitung abgestimmt, die wegen der Ferien nicht zu erreichen war.
Mit dem Friedenspreis der Stadt Hildesheim ausgezeichnet
„Herr Öztürk ist im interreligiösen Dialog, unter anderem bei ‚Abrahams runder Tisch‘ in Hildesheim', engagiert“, berichtete Pohlmann weiter. Zuletzt wirkte Öztürk im Rahmen dieser Initiative im Mai bei einem Friedensgebet mit. „Abrahams runder Tisch“ wurde 2024 mit dem Friedenspreis der Stadt Hildesheim ausgezeichnet. Der Kontakt zu Öztürk sei privat durch die islamische Religionslehrerin der Schule hergestellt worden, die in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zu Herrn Öztürk stehe.
Die muslimische Hildesheimer Ayasofya-Gemeinde von Imam Sinan Öztürk gehört nach eigenen Angaben zwar formal schon zu Milli Görüs. Die Gemeinde sei in Hildesheim aber aktiv in das Stadtleben eingebunden und kooperiere mit kirchlichen Einrichtungen sowie mit der Beratungsstelle „Radius“ gegen Radikalisierung.
Öztürk selbst sagte dem Göttinger Tageblatt, er setze sich für den „interreligiösen Dialog, für Verständigung und die Stärkung junger Menschen in unserer vielfältigen Gesellschaft“ ein. Es betrübe ihn, dass seine Teilnahme „verzerrt und in einen extremistischen Kontext gestellt wird“. Gleichzeitig bestärke ihn dies, „den Weg des Dialogs entschlossen weiterzugehen“.
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