Rechte Angriffe auf linkes Café: „Weimar hat ein Naziproblem“
Wird in Weimar rechte Gewalt verharmlost? Die Besitzer:innen des queerfeministischen Café Spunk werfen das dem Oberbürgermeister vor.
„Wir haben in Weimar die ganze Zeit rechte Angriffe, nur die Stadtverwaltung tut so, als gäbe es sie nicht, es wird einfach nicht darüber geredet“, sagt Lara Lütke. Die 32-Jährige lebt seit zehn Jahren in Weimar. Zusammen mit ihrer 28-jährigen Freundin Alessa Dresel betreibt sie das Café Spunk nahe der Bauhaus-Universität. Die beiden Cafébesitzerinnen werfen Weimars parteilosem Oberbürgermeister Peter Kleine vor, nicht hart genug gegen den Rechtsextremismus in der Stadt durchzugreifen. Er wolle offenbar das Image Weimars nicht beschädigen, sind die beiden überzeugt. „Die Wahrheit aber ist: Das idyllische Weimar hat ein ernst zu nehmendes Problem mit Rechtsextremismus“, sagt Lütke.
Der letzte Angriff war am 2. Juni
Lütke und Dresel wissen, wovon sie sprechen. Viele Male schon haben unbekannte, mutmaßlich rechte Täter:innen ihr Café angegriffen, das offen als antifaschistisch, antirassistisch und queerfeministisch auftritt. Die Liste der Vorfälle ist lang: Noch vor der Eröffnung im März 2020 wurde das Schlüsselloch des Cafés mehrmals mit Sekundenkleber zugeschmiert, zweimal mussten Lütke und Dresel das Schloss ersetzen. Im Februar 2021 wurde die Fensterscheibe des Cafés, an der von innen Gedenkplakate für die neun Opfer des rassistischen Anschlags in Hanau angebracht waren, mit einem Ziegelstein eingeworfen. Im November 2021 wurde 35-mal mit einem spitzen Gegenstand auf die Fensterscheibe eingeschlagen – hinter der Stelle hing ein Plakat, das zu einer Demo gegen einen geplanten Aufmarsch der Neonazipartei III. Weg im oberfränkischen Wunsiedel aufrief. Im Frühjahr 2022 wurde das Ladenfenster zweimal mit schwarz-rot-gelben Farbbomben beworfen, einmal davon an Hitlers Geburtstag.
Der jüngste Angriff fand am 2. Juni statt – tagsüber, während der Öffnungszeiten. „Damit haben die Angriffe eine neue Eskalationsstufe erreicht“, sagt Lütke, die ein beiges Sommerkleid und eine Muschelkette trägt und ihr dunkelblondes Haar locker zusammengebunden hat.
Sie hockt auf einem kleinen Stuhl im Café Spunk, der Raum ist nur wenige Quadratmeter groß. Auf der Fensterbank stehen Bücher wie „Das weibliche Prinzip“ oder „Sie hat Bock“, an der Decke hängt eine bunte Wimpelkette aus Stoff, an der Wand ein kleines Banner mit der Aufschrift „Rollenbilder aufschäumen und Patriarchat rösten“. Lütke gegenüber sitzen Dresel und Mitarbeiter Farouk El Habib. Der 21-Jährige stand während des Angriffs Anfang Juni hinter dem Tresen. Dresel trägt pinken Lippenstift und einen strengen Zopf, El Habib ein ockergelbes T-Shirt und Sneaker.
„Ich war gerade dabei, zwei Kaffee zuzubereiten, als gegen 14 Uhr ein 16 oder 17 Jahre alter Jugendlicher ins Café reingerannt kam“, erzählt El Habib. Dieser sei dann – offenbar überrascht von drei anwesenden Gästen – abrupt stehen geblieben und fluchtartig wieder rausgestürmt. Draußen habe er die am Eingang befestigte Regenbogenflagge samt Holzmast abgerissen. Dann sei er mit einer Gruppe Jugendlicher weggerannt, die während des Angriffs auf der anderen Straßenseite gestanden und die Tat gefilmt hätten, berichtet El Habib. „Mein Eindruck war, dass der Täter das Café verwüsten wollte und dann überrascht war, dass so viele Gäste anwesend waren.“
Die Angriffe auf ihr kleines Café belasten Lütke und Dresel sehr – so sehr, dass sie es bald schließen werden. „Nach dem Überfall mit dem Ziegelstein letztes Jahr konnte ich nachts monatelang nicht alleine durch Weimar gehen, weil ich Angst hatte, überfallen zu werden“, sagt Lütke. Selbst zu einer WG-Party, die nur zehn Minuten von ihrem Zuhause entfernt stattfand, musste sie eine Freundin begleiten. Inzwischen geht Lütke abends wieder alleine raus. „Doch sobald jemand hinter mir läuft, drehe ich mich sofort um.“ An Demos kann sie bis heute nicht teilnehmen.
Hakenkreuze an Fassaden
Dresel hat vor allem beim Arbeiten Angst, besonders morgens, wenn sie alleine im Café ist und Kuchen backt. In den ersten Tagen nach den Angriffen mussten häufig Freund:innen ins Spunk kommen, weil sie alleine Panik bekommen hatte. Der jüngste Angriff hat Dresel so mitgenommen, dass sie danach drei Wochen gar nicht arbeiten konnte.
Rechte Angriffe finden häufig in Weimar statt. Im vergangenen Jahr wurden mehrmals öffentlich zugängliche antirassistische Ausstellungen zerstört, Fassaden mit Hakenkreuzen und SS-Runen beschmiert sowie Stolpersteine beschmutzt und gestohlen. Außerdem haben Unbekannte die Fensterscheibe einer Bar nahe der Uni eingeworfen und ein Black-Lives-Matter-Plakat geklaut, das in dem Fenster hing.
Hinzu kommen zahlreiche Angriffe gegen Personen. „Beinahe täglich werden Menschen beleidigt, bedroht, angespuckt oder mit Flaschen beworfen“, sagt El Habib, der auch Sprecher der Migrantifa Weimar ist. Vor allem am Bauhausmuseum, am Wielandplatz und im Ilmpark sei es gefährlich für migrantische Menschen und Linke. „Neulich haben Neonazis jugendliche Antifas im Ilmpark angegriffen, einer der Jugendlichen musste mit einer zweifachen Kieferfraktur ins Krankenhaus eingeliefert werden“, sagt El Habib. Lütke berichtet von indischen Austauschstudentinnen, die im Ilmpark mit Steinen beworfen wurden, Dresel von Neonazis, die dort ihren Mitbewohner „zusammengeschlagen“ haben.
David Rolfs arbeitet bei der Thüringer Opferberatungsstelle ezra. Er sagt: „In den letzten fünf Jahren haben wir in Weimar 28 Angriffe mit 43 betroffenen Menschen registriert, allein 2021 waren es elf Angriffe.“ Damit liege Weimar hinter Erfurt und Jena auf Platz drei der Städte mit den meisten rechten, rassistischen oder antisemitischen Angriffen gegen Personen in Thüringen. Die Tatbestände, sagt Rolfs, reichten von Körperverletzungen bis hin zu einer versuchten Tötung. Rassismus sei mit über 60 Prozent das häufigste Tatmotiv, betroffen seien aber auch politische Gegner:innen, Jüd:innen oder Journalist:innen. Insgesamt sei ein „wahrnehmbarer Anstieg“ von rechten Angriffen zu erkennen.
Oberbürgermeister spricht von „Provokation“
Nach Angaben von Rolfs gibt es in Weimar keine organisierte Neonaziszene. Es existiere aber ein „Nährboden“, der rechte Angriffe begünstige. „Der jüngste Angriff auf das Café Spunk vom 2. Juni zeigt, dass Täter:innen keine Scheu haben, am helllichten Tag politische Gegner:innen mitten in der Weimarer Innenstadt zu überfallen.“ Das lege die Vermutung nahe, dass Täter:innen glaubten, sie könnten machen, was sie wollen – ohne bestraft zu werden. Dieses Gefühl gebe ihnen nicht zuletzt die Stadt, die zu wenig gegen den Rechtsextremismus in Weimar tue und diesen kleinrede. Dass nach den vielen rechten Angriffen im Jahr 2021 eine „ernstliche Reaktion der Stadtspitze ausblieb“, kritisiert Rolfs.
Nach dem jüngsten Angriff auf das Café Spunk, bei dem der Täter eine Regenbogenflagge abgerissen hatte, hat sich Oberbürgermeister Kleine in einer Pressemitteilung geäußert. „Diese Provokationen sind inakzeptabel und dürfen nicht zum Normalzustand werden“, ließ er sich zitieren. Die Cafébetreiberinnen Lütke und Dresel sind empört über dieses Statement. „Dass er von ‚Provokationen‘ spricht, zeigt, wie sehr er die rechte Gewalt in Weimar verharmlost“, sagt Dresel aufgebracht. „Es handelt sich nicht um Provokationen, sondern um rechte Angriffe – und die sind schon seit zwei Jahren unser Normalzustand.“
Fragt man den Oberbürgermeister, warum er den Angriff nur als Provokation bezeichnet hat, sagt er, dass es sich bei dem Schaden um eine abgebrochene Pride-Flagge handele. „Gesicherte polizeiliche Ermittlungsergebnisse, die weitergehende Gewalt oder gar Terror belegen, wie etwa Café-Sympathisanten den Vorfall später ebenfalls bezeichneten, lagen zu diesem Zeitpunkt nicht vor.“
Auch den Vorwurf, die Stadtverwaltung gehe nicht konsequent genug gegen rechte Gewalt in Weimar vor, weist Kleine zurück. „Die Stadt hilft nach Kräften mit, Weimar offen, tolerant und lebendig zu gestalten – auch wenn wir, wie im Falle des Cafés Spunks, leider nicht alle Vorfälle gänzlich verhindern können.“ So veranstalte die Stadt unter anderem ein interkulturelles Neujahrsfest, fördere das Bürgerbündnis gegen Rechtsextremismus und den Lokalen Aktionsplan Weimar, der auch Antirassismusprojekte unterstütze, kooperiere mit der Gedenkstätte Buchenwald, dem Festival Yiddish Summer Weimar und dem Verein Lernort Weimar, habe mehrere Buchenwald-Überlebende zu Ehrenbürgern ernannt und in diesem Jahr die Weimarer Erklärung für ein solidarisches Miteinander unterzeichnet.
Weimar, sagt Oberbürgermeister Kleine, habe „kein spezifisches“ Rassismusproblem. „Tausende Künstlerinnen und Künstler und gut vier Millionen Touristinnen und Touristen aus aller Welt kommen jedes Jahr in Weimar zusammen und leben friedlich miteinander. Sollte es rassistische Vorfälle geben, ahndet die Polizei nach unserer Kenntnis zügig, wenn diese zur Anzeige gebracht werden.“
Weimar hinter sich lassen
Lütke und Dresel haben die Angriffe auf ihr Café immer bei der Polizei angezeigt. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Erfurt wurden vier Verfahren „mangels Täterermittlung“ eingestellt, bei drei Verfahren dauerten die Ermittlungen noch an.
Hoffnungen, dass die Polizei die Täter:innen finden wird, machen sich die Cafébesitzerinnen aber keine. Sie werfen der Polizei Weimar vor, nicht ordentlich zu ermitteln. „Mit Blick auf die Skandale der Weimarer Polizei, wobei auch rechte Strukturen innerhalb der Sicherheitsbehörde öffentlich wurden, sollten wir uns keine Illusionen machen, dass sie kein wirkliches Interesse hat, die faschistischen und rassistischen Angriffe konsequent zu verfolgen“, sagt Dresel.
Die Landespolizeiinspektion Jena teilte auf Anfrage mit, die Polizei Weimar habe das Café Spunk nach jedem Angriff untersucht und vorhandene Spuren gesichert. „Überdies erfolgten zahlreiche Befragungen eventueller Zeugen“, sagte ein Sprecher. Die Spuren und Hinweise jedoch seien manchmal nicht ausreichend, um eine:n Tatverdächtige:n zu ermitteln. Zu einem mutmaßlich rechten Motiv der Täter:innen wollte sich die Polizei nicht äußern. „Ohne einen oder auch mehrere Tatverdächtige ermittelt zu haben, wären Aussagen zur Tatmotivation reine Spekulation.“
Was Lütke und Dresel machen werden, sobald sie eine:n passende:n Nachfolger:in für ihr Café gefunden haben, wissen sie noch nicht. „Wir werden auf jeden Fall weiter gegen Nazis kämpfen“, sagt Lütke. Aber nicht in Weimar. Diese Stadt wollen beide fürs Erste „auf jeden Fall“ verlassen.
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