Recht Behinderter auf Bildung: Bruch der UN-Konvention
Deutschland hat sich verpflichtet, behinderte Kinder in Regelschulen zu unterrichten. Trotzdem werden weiter Sonderschulen gebaut.
![](https://taz.de/picture/350279/14/Bildung.jpg)
KÖLN taz Cordula Müller ist wütend. Seit knapp einem Jahr setzt sich die Mutter dafür ein, dass behinderte Kinder in Bornheim mit nicht behinderten Schülern gemeinsam in den Unterricht gehen können. Und nun das: In der Stadt nahe Köln soll eine neue Förderschule entstehen. "Das ist ein Skandal", protestiert Müller.
Für die Bornheimer Elterninitiative ist klar: Der Neubau zementiert ein System, das Bildungsexperten als gescheitert betrachten. Und: Deutschland hat sich international zur Kehrtwende verpflichtet. Eine UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen fordert ein integratives Schulsystem auf allen Ebenen: Bis zu 90 Prozent der Kinder mit Behinderung sollen nach UN-Vorstellungen eine ganz normale Schule besuchen. Separate Lehranstalten sollten demnach die Ausnahme sein. Der Landschaftsverband Rheinland will nun sogar eine nagelneue Förderschule bauen - Aufbau statt Abbau, wie die UN es will. Der Zusammenschluss der Städte und Gemeinden der Region hat es sogar eilig mit dem Bau. Denn die Behörden wissen angeblich nicht mehr, wohin mit all den vermeintlichen Sonderschülern. Die Zahl der Kinder, denen die Schulämter einen "sonderpädagogischen Förderbedarf" attestieren, steige rasant: Die Kölner Heinrich-Welsch-Sprachförderschule behilft sich seit 2002 mit Containern. Nun expandiert sie nach Bornheim.
Allein im Förderbereich Sprache ist die Zahl der Förderschüler in den vergangenen neun Jahren im Rheinland um 69 Prozent gestiegen - trotz insgesamt stagnierender Schülerzahlen. Der Grund? Defizite werden heute besser erkannt, meint der Landschaftsverband. Cordula Müller und ihre Mitstreiter sehen es ganz anders. Die Schulämter bremsen den gemeinsamen Unterricht aus und werben oft einseitig für Förderschulen.
Einen zweistelligen Millionenbetrag will der Landschaftsverband Bornheim in die Schulform investieren, die es nach den Vereinten Nationen eigentlich bald nicht mehr geben soll. Bis zum Schuljahr 2012/2013 soll die neue Sonderschule für insgesamt 180 Schüler bezugsfertig sein. Die ersten Förderschüler sollen schon nach den Sommerferien kommen. Der Einzugsbereich der neuen Schule ist riesig: Manche Kinder müssen morgens bis zu einer Stunde im Bus sitzen.
Diese Karrerei grenzt in den Augen der Bornheimer Elterninitiative an Wahnsinn. "Warum werden die Schüler, die jetzt nach Bornheim sollen, nicht in ihrem Heimatort in ganz normalen Schulen gefördert?", fragt Cordula Müller. "Man sollte die Sonderpädagogen in die Regelschulen schicken. Dann spart man sich gleich die lange Fahrt." Viele Eltern müssen immer noch dafür kämpfen, dass ihr Kind trotz Behinderung eine Regelschule besuchen darf. Cordula Müller weiß das aus eigener Erfahrung. Vor Ort in Bornheim bietet nur eine Grundschule integrative Unterrichtsplätze an, zehn Stück insgesamt. Sind die belegt, sieht es schlecht aus für die Eltern. An den weiterführenden Schulen der Stadt fehlen die Integrationsangebote bisher gänzlich. Müller befürchtet: Wenn es erst eine nagelneue Sonderschule in Bornheim gibt, kommt der gemeinsame Unterricht ganz zum Erliegen.
Die Stadtverwaltung sieht gerade in der neuen Förderschule einen Beitrag zu mehr Integration. Schuldezernent Markus Schnapka bezeichnet den umstrittenen Bau als Gewinn für die Stadt: Mit der neuen Sonderschule kämen schließlich auch Sonderpädagogen nach Bornheim - und die könnten dann in die Regelschulen ausschwärmen.
Beim Landschaftsverband selbst ist man da skeptisch. "Ich kann mir in der jetzigen Lage nicht vorstellen, dass die Sonderschullehrer gleichzeitig noch woanders unterrichten können", bekundet Sprecher Christoph Göller gegenüber der taz.
Fragt man weiter nach, wird klar, was so oft gilt in Bildungsfragen: Der Landschaftsverband sieht sich für die Integration behinderter Kinder ins reguläre Schulsystem gar nicht zuständig. Man baue Schulen, die das Land bestellt. "Wir können höchstens inhaltliche Impulse geben", drückt es LVR-Sprecher Göller aus. "Aber ein anderes Schulsystem können wir nicht machen."
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