Recherchen im Neonazi-Milieu: „Die Schnüffelei hat mir geschadet“
Die Journalistin Andrea Röpke recherchiert in Neonazi-Strukturen und wurde vom Verfassungsschutz ausgespäht. Sie erklärt, warum sie sich nicht einschüchtern lässt
taz: Frau Röpke, Meinen Sie, wir schaffen ein ganzes Interview, ohne über Ihr Fachgebiet Neonazis zu sprechen?
Andrea Röpke: Das wäre mal eine Herausforderung. Was mich brennend interessiert, ist die Kälberhaltung. Wir können gern über Tierquälerei sprechen.
Wieso die Kälberhaltung?
Wenn man übers Land fährt, sieht man diese Plastik-Bauten, wo die Kälber nur einen Meter Platz haben. Die werden sofort von der Mutter getrennt. Das regt mich auf. Ich habe das fotografiert.
Sie haben in dem Bereich recherchiert?
Nein, aber ich weiß, dass ein Kollege an dem Thema dran ist und da habe ich hin und wieder mal ein Foto als Beleg gesichert. Mein eigenes Thema, über das wir ja versuchen wollten, nicht zu sprechen, gibt genug her.
Können Sie auch mal abschalten?
Ja, beim Segeln oder Fahrradfahren. Ich bin ein Naturfreak. Ich finde es immer lustig, wenn die Leute, über die ich recherchiere, mir vorwerfen, ich wäre eine verschrobene Einzelgängerin, die mit Natur, Land und Familie nichts anfangen könne. Die haben keine Ahnung.
51, ist freie Journalistin und Autorin zum Thema Rechtsextremismus. Ihre Recherchen wurden mehrfach ausgezeichnet. Im Januar erschien ihr Buch „2017 Jahrbuch rechte Gewalt: Chronik des Hasses“ im Knaur Verlag.
Sie legen viel Wert darauf, dass über Ihr Privatleben nichts bekannt wird.
Gerade in Zeiten sozialer Netzwerke ist die Gefahr groß, dass irgendjemand etwas herausfindet. Für das, was ich selber mache, kann ich gerade stehen. Aber wenn mein Umfeld in Gefahr geriete, würde ich mir das nicht verzeihen – auch wenn sie alle hinter dem stehen, was ich mache.
Sie wurden schon angegriffen?
Mehrfach. Bei meinen Recherchen werden meine Kollegen und ich von Neonazis angespuckt, beworfen, bedrängt – und Teile meiner Kamera wurden zerstört. Einmal bin ich niedergeschlagen worden. Seit den Massendemos von Pegida sind die Leute, die auf die Straße gehen, enthemmt. In Leipzig wurde ein Kommando gegeben, da sind rechte Hooligans auf uns Journalisten zugestürmt.
Sind Sie bei Neonazis besonders unbeliebt?
Man ist ein Begriff in der rechten Szene, sie personalisieren stark. Mit großen Zeitungen oder Fernsehteams wollen sie ja teilweise zusammenarbeiten, also greifen sie stattdessen die Fachjournalisten an. Da bieten sich bestimmte Namen an. Inzwischen bekommen aber fast alle Medienvertreter den Hass von der Straße massiv zu spüren. Die großen Sender schicken nur noch TV-Teams in Begleitung von Securities zu rechten Demos. Das können wir freien Journalisten uns nicht leisten.
Haben Sie keine Angst?
Doch, manchmal. Etwa bei der Hogesa-Randale in Köln 2014. Es waren viel mehr als wir erwartet hatten – über 5.000. Die extrem aggressiven Nazi-Hooligans der Bremer „Standarte“ waren vor Ort, ihr Anführer gab die Kommandos. Es dauerte nicht lange, bis Flaschen und Steine flogen, direkt vor mir wurde ein Polizeiwagen umgeschmissen. Die waren überall, man konnte nicht vor und zurück. Über 40 Beamte und auch Journalisten-Kollegen wurden verletzt.
Was treibt Sie an, immer wieder in der Neonazi-Szene zu recherchieren?
Es ist ein Beruf, den ich gern mache. Ich freue mich, dass ich ein Thema intensiv beackern kann und bin darin sehr frei. Was mich antreibt, ist die Überzeugung, dass es eine wichtige Aufgabe ist.
Im Januar 2017 erschien ihr „Jahrbuch Rechte Gewalt“. War das vergangene Jahr schlimmer als die vorherigen?
Rechte Gewalt explodiert schon seit 2015, verminderte sich 2016 nicht. Im Schatten des islamistischen Terrors, der in der Wahrnehmung von außen kommt, haben wir längst die alltägliche Gewalt mitten in unserer Gesellschaft. Verbrechen wie die NSU-Morde, der Amoklauf von München, Brandanschläge oder die Schießereien der Reichsbürger geraten schnell in Vergessenheit.
Wenn man sich wie Sie reinwühlt in das Neonazi-Gedankengut, in Chats und Publikationen, entwickelt man dann auch eine Faszination für das Abgründige?
Es ist keine Faszination. Wenn man sich wochenlang in Material aus dem direkten Umfeld des NSU-Verfahrens einliest oder sich anschaut, was aus den Mischszenen aus Neonazis, Rockern und Hooligans in sozialen Netzwerken verbreitet wird – dieses männerdominierte, sexistische Milieu –, dann bin ich erschrocken. Ich bin schockiert über die Dynamik des Hasses und davon, wie sehr der Mainstream sich unkritisch mitziehen lässt.
Sie legen ihren Recherche-Fokus auf den extrem rechten Rand der Gesellschaft. Was ist mit dem Rassismus der Mitte?
Auch meine Recherchen haben sich seit 2013 geändert. Mit Pegida und der AfD sind wir jetzt unmittelbar mit dem Hass des Bürgers von nebenan konfrontiert. Da steckt ein Finanzbeamter eine zukünftige Flüchtlingsunterkunft an oder drei junge Leute aus der Nähe von Hameln schmeißen einen Molotowcocktail in das Kinderzimmer von Geflüchteten. Lehrer, Anwälte, Richter treiben über die AfD den Hass voran. Die rechte Bewegung ist jetzt viel breiter aufgestellt.
Wie sind Sie zu Ihrem Thema gekommen?
Ich habe in Bremen Politikwissenschaft studiert und immer überlegt, was ich damit machen soll. In den Staatsdienst wollte ich nicht. Dann gab es einen Kurs: „NS-Täterkarrieren nach 1945“. Das fand ich richtig spannend. Ich habe Bücher gewälzt und geschaut, wo die NS-Täter heute sind, ob sie Geld haben oder Firmen und ob sie rechtlich belangt wurden. In Bremen und in Niedersachsen waren einige aktiv. Ich bin auf die „Stille Hilfe“ gestoßen.
Was war die „Stille Hilfe“?
Ein Alt-Nazi-Verein für „Kriegsgefangene und Internierte“ mit Sitz in Rotenburg an der Wümme. Für meine Recherche bekam ich Hilfe aus der Region, von Antifaschisten und damals dem VVN, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Die leitetete Willy Hundermark, eine Koryphäe in Bremen. Ich saß wochenlang in den Archiven. Nach und nach konnte ich immer mehr ausgraben. Über einen SS-Mann, demgegenüber ich mich als Sympathisantin ausgab, bin ich sogar in deren Kreise eingeführt worden und dann auch bei SS-Treffen gewesen. Das war gruselig.
Die Recherche klingt aufwendig.
Mir macht es heute noch nichts aus, wenn ich Jahre für ein Thema brauche. Wichtig ist mir nur, dass ich es durchziehe. Über den Bremer Fernseh- Journalisten Egmont Koch, der mich als Rechercheurin beauftragte, bin ich über die Alt-Nazis zu den neuen Nazis gekommen.
Waren Sie politisch aktiv?
Ich war auf der ein oder anderen Demo, aber nie in einer Gruppe oder Partei. Dadurch, dass ich vom Lande komme, aus sehr konservativen Verhältnissen, musste ich mich langsam entwickeln. Es war für mich eigentlich nicht angedacht, dass ich Abitur mache, geschweige denn studiere. Also musste ich mich behaupten und habe während des Studiums sehr viel gearbeitet, in einigen Fabriken. Dadurch hatte ich wenig Zeit für das traditionelle Studentenleben.
Verarbeiten Sie auch Ihre Familiengeschichte?
Nein. In meinem Elternhaus spielte Politik keine Rolle, als Frau, als Mädchen war ich die erste, die sich mit Politik beschäftigte. Es gab die Erwartung, dass ich erst eine Bürolehre machen soll. Also habe ich tatsächlich zunächst Bürokauffrau gelernt.
2015 erhielten Sie den Paul-Spiegel-Preis des Zentralrats der Juden in Deutschland. Der wievielte Preis war das?
Ich mag es gar nicht sagen. Ich denke oft, dass es so tolle Kollegen gibt, die wirklich viel bewirkt haben, sich engagieren und die auch ausgezeichnet werden sollten. Aber der Preis kam nach der Diskreditierung durch den Verfassungsschutz in Niedersachsen. Deren Schnüffelei hatte mir enorm geschadet, sodass ich den Preis dann gut annehmen konnte.
Es wurde festgestellt, dass die Beobachtung durch den Verfassungsschutz Unrecht war und Sie erhielten eine Entschuldigung. Dennoch blieb etwas hängen?
Absolut. Ich wurde sechs Jahre lang rechtswidrig überwacht, auch die Polizei lieferte brav zu. Informanten schreckte die Enthüllung zum Teil ab, sie fühlten sich gefährdet. In den Redaktionen gab es Solidarität, aber auch Zurückhaltung.
Inwiefern Zurückhaltung?
Ich bin immer die, die mit dem Thema nervt und den Behörden widerspricht. Hat man es vorher vielleicht als kritischen Journalismus eingestuft, galt ich danach erst mal als die aus der linken Ecke. Ich bin vielleicht keine „normale“ Journalistin und schreibe auch für linke Medien – klar. Aber durch die Beobachtung wurde ich selbst in die extreme Ecke gestellt, man hat mich zu einer Staats- und Demokratiegegnerin gemacht. Das war eine Rufschädigung.
Was hat sich verändert, seit Sie mit ihrer Arbeit begonnen haben?
In den 1990er-Jahren war es selbstverständlich, dass Journalisten ein Thema auftun und es eine komplett eigene, freie Recherche ist. Heute kommt man mit bestimmten Themen in den Redaktionen nicht mehr durch, vor allem wenn die Behörden die Erkenntnisse nicht bestätigen. Man verlässt sich mittlerweile zu sehr auf die Informationen von Sicherheitsbehörden.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Klar, viele. 2011 ist es mir bei den Recherchen über die Wichtigkeit von Frauen in der Neonazi-Szene passiert, mit dem Buch „Mädelsache“. Die Behörden sagten, wir würden Hysterie betreiben. Dann kam Beate Zschäpe.
Sind Sie jedes Wochenende auf einem Nazi-Event?
Es gibt manche Phasen, wo das so ist, aber ich bin auch eine hedonistische Person und muss noch Freude im Leben haben – also muss viel Zeit für mein Privatleben bleiben. Einmal habe ich allerdings an einer Hochzeit nicht teilnehmen können, weil ich stattdessen auf einem SS-Treffen war. Das tat mir wahnsinnig leid.
Was war so wichtig an dem Termin?
Ich hatte es lange vorbereitet. Das war dann auch bei der Heimattreuen Deutschen Jugend so. Da kommt der entscheidende Anruf: „Wir haben hier ein Lager, hier stehen Zelte, hier ist etwas.“ Dann bin ich nicht mehr zu halten. In dem Moment, wo es gefährlich wird, andere hinfahren zu lassen, ist nicht meine Art.
Die Heimattreue Deutsche Jugend, die Kinder neonazistisch geschult und gedrillt hat, wurde unter anderem nach ihren Recherchen im Jahr 2009 verboten. Ist das Ihr größter Coup?
Coup? Eher nicht. Es war total wichtig, auf die organisierte Kindererziehung der Neonazis hinzuweisen. Ich sehe auf vielen Neonazi-Festen oder bei konspirativen Treffen immer noch Kinder – ein Mädchen trug auf dem Shirt die Aufschrift „Arisches Kind“. Meine beiden Kollegen und ich sind noch dran am Thema.
Glauben Sie, der Hass wird irgendwann weniger?
Ich glaube, dass wir durch Aufklärung viel erreichen können. Auch wenn momentan viele resistent erscheinen. Die aktuelle Entwicklung ist wirklich erschreckend.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Social-Media-Verbot für Jugendliche
Generation Gammelhirn