Recherchebuch „Football Leaks II“: Jerry Cotton jagt Fußballbösewichte
Die „Football Leaks II“ bieten Stoff für einen guten Roman. Erschienen ist allerdings ein Buch geschrieben wie ein schlechter Krimi.
Ehrlich, ich scheiß mir ganz schön in die Hose.“ Der erste Satz dieser Kolumne ist geklaut. Er stammt aus einem schlechten Krimi. Geschrieben haben ihn Rafael Buschmann und Michael Wulzinger. „Football Leaks II“ heißt das Werk der zwei Sportredakteure des Nachrichtenmagazins Der Spiegel. Die beiden bedienen ein neues Genre im Literaturbetrieb, die Groschenrecherche. Darin berichten die Reporter, wie sie mit ihren Informanten zusammentreffen, was sie dabei rauchen und trinken, wie schlecht die Straßen gepflastert sind, über die sie mit ihren klapprigen Leihwagen fahren, und vor allem wie toll sie sich selbst fühlen.
Diese Jerry-Cotton-Journalisten sind ja wirklich Aufklärer. Als solchen gebührt ihnen jeder Respekt, solange stimmt, was sie berichten, und solange das, was sie berichten, von Relevanz für die Gesellschaft ist. Die Geschichte, wie Der Spiegel an die Informationen gekommen ist, die belegen sollen, wie Cristiano Ronaldo in Las Vegas ein Frau vergewaltigt hat, war schon im Magazin zu lesen.
Jetzt bekommt man die Geschichte geliefert, wie die Reporter an die Informationen gekommen sind, wie ihr Kontaktmann tickt, von dem man weiß, dass er Rui Pinto heißt, der aber dennoch John genannt wird, weil er so genannt wurde, als die Reporter noch nicht wussten, wie er heißt, und wahrscheinlich auch deshalb, weil der Name John ganz gut passt zu dieser Groschenromansprache.
Da stehen so Sätze wie: „Immerhin springt die Karre an“, oder: „Teilweise sind die Schlaglöcher hier so tief wie ein Baggersee.“ Auch die Dialoge haben Pulp-Fiction-Potenzial. Da fragt John: „Magst du ein Schnitzel?“, und der Reporter antwortet: „Ich habe so einen Mörderhunger, ich könnte ein ganzes Schwein verdrücken.“ Oh weh! Eigentlich handelt es sich bei „Football Leaks II“ um ein Sachbuch, aber ob dieser Dialog so stattgefunden hat, man weiß es nicht.
Sprachliche Anbiederung
Im Vorwort schreiben die Autoren, dass die Gespräche mit John weder aufgezeichnet noch protokolliert worden sind. „Wir haben sie nach bestem Wissen und Gewissen rekonstruiert“, heißt es da. Beim Rekonstruieren herausgekommen ist ein Buch geschrieben wie ein schlechter Krimi.
Dabei liefern die „Football Leaks II“ jede Menge Stoff für einen guten Roman. Weil sich die Autoren aber als Anwälte der Fans verstehen, die sie beim Ausverkauf des Fußballs durch skrupellose Geschäftemacher als wehrlose Opfer sehen, haben sie zu einer arg billigen Sprache gegriffen. Diese sprachliche Anbiederung an die vermeintlich einfachen Leute in der Kurve tut bisweilen richtig weh. Wenn ein Geheimdienstmann allen Ernstes als „Schlapphut“ bezeichnet wird, möchte man das Buch am liebsten zur Seite legen und zu guter Lektüre greifen.
Solche soll es ja auch geben. Es gibt sogar herausragende Fußballromane. Der jüngst erschienene Erstling von Tino Schachinger mit dem Titel „Nicht wie ihr“ gehört dazu. Darin wird ein Jahr im Leben des österreichischen Fußballstars Ivo Trifunovic geschildert. Der verzweifelt beinahe daran, dass er sich in eine Jugendliebe verknallt, diese auch „pudert“, obwohl er doch eigentlich ein glücklicher Familienvater ist. Er ist mehr und mehr ausgebrannt und da hilft es auch nichts, dass ihm sein Klub jede Woche 100.000 Euro zahlt.
Und weil seine Wurzeln im ehemaligen Jugoslawien liegen, macht er sich auch über seine Identität so seine Gedanken, stellt fest, dass ihm auch wegen seiner Herkunft eine gewisse Schönheit zu eigen ist, die vor allem den Deutschen fehlt. Die sind „schiach“. Was ein Fußballer halt so denkt, wenn er Zeit dafür hat, was sehr oft der Fall ist. Wenn am Ende des Romans der völlig frustrierte Trifunovic vom Platz fliegt, glaubt man zu wissen, wie ein Fußballer tickt, auch wenn man weiß, dass sich Schachinger das alles nur ausgedacht hat. Fiktive Football Leaks. Urgut geschrieben.
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