Real Madrids arabisches Disneyland: Zwischen Grandezza und Größenwahn
Der einst für seine Ritterlichkeit gepriesene Klub Real Madrid hat sich Trainer José Mourinho unterworfen. Präsident Florentino Pérez schaut nur zu, hat aber eine erstaunliche Idee.
BERLIN taz | 6.000 Kilometer von zuhause entfernt verkündete Florentino Pérez, Real Madrid werde nun auf Sand gebaut. Tiefseesand wurde vom Meeresboden aufgesaugt und mit grobkörniger Erde vermischt, um an der Küste der Vereinigten Arabischen Emirate die künstliche Inselgruppe al-Marjan aufzuschütten. Hier, gab Real Madrids Präsident Ende März bekannt, werde das Real-Madrid-Urlaubs-Resort gebaut, mit Ferienwohnungen, Luxushotels, Vergnügungsparks und Stadion.
Im Sand Arabiens war Pérez wieder einmal in seinem Element. Vor zwölf Jahren trat der Chef des Baukonzerns ACS als Fußballpräsident mit dem Traum an, Real dorthin zu bringen, wo noch kein Fußballklub war: Ein allumfassendes Unternehmen der Unterhaltungsindustrie sollte Real werden.
„Eine Idee begeistert mich unglaublich“, sagte er damals: „eine Real-Stadt zu bauen, eine Art Disneyland, besucht von Millionen Menschen.“ Das Geld der Emirate soll dies nun möglich machen, und so verfiel Pérez bei der Grundsteinlegung auf al-Marjan wieder in die pastorale Sprache seiner Anfangsjahre.
Real, sagte Pérez, lege wieder einen Schritt zurück auf dem Weg, „ewig und universell zu werden“. Dass die Worte komisch klangen, lag weniger an ihm als an der Art, wie Trainer José Mourinho und seine Profis sich fast zeitgleich beim Ligaspiel in Villarreal Real universell verewigten. „Hurensohn“ und einiges mehr nannten sie den Schiedsrichter.
„Mourinho spielt Präsident“
Nahezu unbemerkt ist Florentino Pérez, der das sogenannte galaktische Real Madrid zwischen Grandezza und Größenwahn entwarf, in den jüngsten zwei Jahren hinter Mourinho verschwunden. Öffentliche Auftritte wie in den Emiraten haben Seltenheitswert, Interviews gibt es nicht mehr. Und auch in der sportlichen Planung hat der Präsident, der einst Zidane, Beckham und Cristiano Ronaldo verpflichtete, dem Trainer alle Macht überlassen. „Mourinho spielt Präsident“, grollt Pérez’ Vorgänger Ramón Calderón.
Zur Hälfte übernahm Mourinho mit seiner Allmachtsbesessenheit den Klub, zur Hälfte überließ ihm Pérez dankbar das Terrain. Denn seit er nach einer dreijährigen Pause 2009 Reals Vorsitz erneut übernahm, muss Pérez erleben, wie ihm Madrids ewiger Rivale FC Barcelona den Ruhm und die Herzen des Publikums stiehlt. Ein einziges Mal hat Real seitdem den spanischen Königspokal gewonnen, Barça dagegen 13 Trophäen. In dieser Not lieferte sich Pérez Mourinho aus.
Wer einzig den Fußball betrachtet, den Real diese Saison spielt, könnte Mourinhos Machtergreifung für einen Meisterzug halten: Real stürmt mit Blitz und Donner, ultravariabel in der Spielweise, 100 Tore allein in der spanischen Liga, sechs Punkte Vorsprung vor Barça, am heutigen Mittwoch können sie nach dem 3:0-Hinspielsieg über Hapoel Nikosia mit Leichtigkeit ins Champions-League-Halbfinale einziehen.
„Nur gewinnen ist nicht gut genug“
Doch am Ende läuft Pérez Gefahr, dass man den Erfolg gar nicht sieht, sondern nur den Preis, den Real dafür zahlt. Es hat seinen guten Ruf verloren, „el señorío“, die Ritterlichkeit, die Pérez in der Zeit vor Mourinho immer so betonte: „Nur gewinnen ist nicht gut genug für diesen Klub“ war einer seiner Lieblingssätze. Sportdirektor Jorge Valdano, Pérez’ Statthalter für Erhabenheit, verteilte eine Benimmfibel an die Spieler.
Heute sticht Mourinho Barças Assistenztrainer mit dem Finger ins Auge oder setzt sich nach einem Spiel auf die Kühlerhaube des Schiedsrichters, um ihn zu beschimpfen. Reals Elf benimmt sich in den meisten Spielen majestätisch, nur um sich dann bei hartnäckigem Widerstand regelmäßig wie eine Bande zu gebärden.
Die Presseabteilung hat sich in ein Propagandaministerium verwandelt, das Videos und Erklärungen verbreitet, um Mourinhos Verschwörungstheorien zu stützen. Und Pérez schweigt. Sein Mann Valdano wurde von Mourinho aus dem Klub gemobbt. Pérez nickte still.
Nun ist Florentino Pérez, der jeden Tag einen dunklen Anzug trägt, selbst Teil dieser Maskerade geworden. Er ist der Präsident, der nur noch als Fassade existiert.
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