Viertelfinale Champions League: Zauberfüßchen niedergewerkelt
Der AC Mailand bearbeitet den FC Barcelona in verschiedenen Kampfzonen, nagelt Lionel Messi regelrecht fest und erreicht so zu Hause ein torloses Remis.
MAILAND taz | Mit einer exzellenten taktischen Leistung und hohem Energieaufwand bremsen die Rossoneri die beste Mannschaft der Welt aus. Ob sie damit tatsächlich den Zyklus der Dominanz der Katalanen beenden und eine eigene neue Ära einleiten, wie der Rekordmann in der Champions League Clarence Seedorf (vier Titel mit drei verschiedenen Vereinen) behauptete, wird allerdings frühestens das Rückspiel zeigen.
Zuweilen lohnt eine Exegese von Fantransparenten. „Verspeisen wir sie!“, forderte ein gigantisches Spruchband in der Curva Sud die Profis des AC Mailand zum kulinarischen Massaker am FC Barcelona auf. Die kamen dem Ansinnen nur zur Hälfte nach. Sie bissen sich zwar kräftig fest an den Gliedmaßen der filigranen Fußballkünstler und erschwerten so deren gewohnt leichtfüßige Bewegungsart. Ganz herunterschlucken konnten sie den Brocken aber nicht, weil im Abschluss den Herren Robinho und Ibrahimovic die Nerven versagten.
Aber auf hintersinnige Weise erfüllten einige Milan-Spieler den Wunsch ihrer Tifosi dennoch. Denn Massimo Ambrosini und Alessandro Nesta, Clarence Seedorf und Kevin Prince Boateng bildeten eine Doppelgabel, mit deren Zinken der sonst so quecksilbrige Lionel Messi über weite Strecken des Spiels festgenagelt wurde. Der Argentinier versuchte anfangs sein Glück mit Dribblings nahe der Strafraumgrenze.
In dieser seiner Lieblingszone wurde er aber Opfer des eleganten und stellungssicheren Nesta, der die Störvorarbeit vom Ambrosini nur zu vollenden brauchte. Als Messi dann von weiter hinten Anlauf nahm, geriet er in die Kampfzone des Kevin Prince Boateng. Er musste sich zudem mit Seedorf, der hohes Risiko im Abspiel mit löwenhaftem Einsatz im Pressing kombinierte, auseinandersetzen.
Das zermürbte und frustrierte. Nur ein kreuzgefährliches Dribbling im Strafraum drei Minuten vor dem Abpfiff und ein Zauberpass auf Xavi gelangen dem Mann mit der Nummer 10. Das ist wenig für einen, dem vorher in der Champions League alle 52 Minuten ein Treffer und in jedem zweiten Spiel ein Assist gelang.
Ein Fachmann - kein Fantast
Aber auch den anderen Zauberfüßchen Iniesta und Xavi war Blei in den Schuh gegossen. Das lag zuallererst am Oberalchimisten Massimiliano Allegri. Der gewiefte Taktiker hatte das Spielfeld in Zonen unterschiedlicher Intensität aufgeteilt. Sie bestanden aus weit vorgelagerten Fallen und einem Abwehrhalbkreis rings um den eigenen Strafraum.
In dem Meer zwischen diesen Verteidigungsinseln ließ Milan Barça munter kombinieren. Das drückt die Ballbesitzquote von 66 Prozent zur Halbzeit und 62 Prozent nach 90 Minuten vortrefflich aus. „Man kann nicht anderthalb Stunden lang gegen diese Mannschaft hoch stehen“, erläuterte Allegri die Ausgangslage, die ihn auf dieses Konzept gebracht hatte.
Zufrieden waren damit freilich nicht alle. Klub-Besitzer Silvio Berlusconi hatte verlangt, dass seine Mannen Barcelona spielerisch in die Knie zwingen. Doch das ist gegenwärtig ungefähr so realistisch wie die Konjunkturversprechen, die der Padrone in seinen Zeiten als Regierungschef gegeben hatte.
Milan-Coach Allegri – ein Fachmann, kein Fantast – gab den Zeitraum von einigen Jahren an, in dem Milan wirklich reif für den Pokal sein könnte. Berlusconi gefällt dies nicht. Er sah im erkämpften Unentschieden gegen Barcelona auch zu viele stilistische Ähnlichkeiten mit der ehemaligen Intertruppe von José Mourinho. Er wolle intern auswerten, was ihm missfallen habe, knurrte er nach dem Spiel.
Pragmatischer sah dies der Corriere della Sera. „Spielen wie Mourinho mag eine Schande für die Nummer 1 der Rossoneri sein. Aber wenn etwas dabei herauskommt – warum eigentlich nicht?“, meinte die Mailänder Tageszeitung. Das könnte auch den Tifosi aus der Curva Sud gefallen. Denn gegessen wird, was auf den Tisch kommt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“