piwik no script img

Reaktivierung von BahnschienenAlt, aber wieder spannend

Stillgelegte Bahnstrecken wieder befahrbar zu machen, ist in immer mehr deutschen Regionen Thema. Tatsächlich reaktiviert werden aber nur wenige.

Stillgelegte Schienen wie diese lassen sich gut reaktivieren. Aber die Umsetzung läuft schleppend Foto: S. Ziese/blickwinkel/picture alliance

Berlin taz | Immer mehr Regionen in Deutschland arbeiten daran, stillgelegte Schienenstrecken zu reaktivieren – sie also wieder befahrbar zu machen. „Das bedeutet aber nicht, dass wir eine Welle von tatsächlichen Reaktivierungen haben“, sagte Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, am Montag in Berlin.

Auf nur acht Kilometern Schiene sei im vergangenen Jahr in Deutschland der Verkehr wieder aufgenommen worden – „kümmerliche acht Kilometer“, so Flege. Auch für dieses Jahr rechneten Allianz pro Schiene und der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) mit einer einstelligen Kilometerzahl bundesweit.

Dabei sind Bedarf und Potential riesig: Das deutsche Schiennetz ist laut Flege seit 1995 um 12 Prozent geschrumpft. Der Schienengüterverkehr habe im gleichen Zeitraum um 98 Prozent zugenommen, der Personenverkehr sei um über 30 Prozent gewachsen.

Nun geben Kommunen und Länder immer mehr Studien in Auftrag, um mögliche Reaktivierungen prüfen zu lassen. Für insgesamt 163 Eisenbahnstrecken wurden die sogenannten Machbarkeitsstudien laut VDV abgeschlossen oder schon weitere Schritte gemacht, etwa Bauarbeiten begonnen oder Ingeneursbüros mit der Umsetzung beauftragt. „Das ist viel mehr, als wir uns vorgestellt haben“, sagte VDV-Geschäftsführer Martin Henke. Das Ergebnis der Studien: In 77 Prozent der Fälle würde es sich lohnen, wieder Züge auf den Schienen fahren zu lassen.

Laut VDV ist Bund bei Schienenreaktivierung zu passiv

Infografik: Allianz pro Schiene

Baden-Württemberg liegt bei 22 abgeschlossenen Machbarkeitsstudien mit positivem Fazit vorn, darauf folgt Nordrhein-Westfalen mit 16. Doch auch in Baden-Württemberg wurde seit 2019 kein einziger Schienenkilometer tatsächlich reaktiviert. In Nordrhein-Westfalen konnte zuletzt 2020 eine Reaktivierung umgesetzt werden, auf einer Strecke von vier Kilometern zwischen Mettmann und Dornap-Hahnenfurth.

„Die Stimmung geht in den Ländern und Kommunen in die richtige Richtung, es geht uns aber nicht schnell genug“, sagte Henke. Allzu oft nehme Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) eine passive Rolle ein – obwohl der Bund die Reaktivierung stillgelegter Strecken zu 90 Prozent finanziell fördert.

Diese Förderung gilt bisher jedoch nur für den Personentransport, VDV und Allianz pro Schiene fordern ein Finanzierungsprogramm für den Güterverkehr. Außerdem könne die Förderung nur beansprucht werden, wenn eine Strecke wieder befahrbar gemacht wird – „aus Sicht der Länder ist aber die große Frage: Wie finanziere ich auf dieser Schiene danach den Zugverkehr, über viele Jahre hinweg?“, sagte Flege.

Betriebskosten im Nahverkehr werden mit Regionalisierungsmitteln gedeckt, die jedoch reichen laut Flege nicht einmal für die bereits aktiven Strecken. Auf Anfrage der taz verwies das Bundesverkehrsministerium darauf, dass bis 2027 weitere 40 Milliarden in die Schiene fließen sollen.

Einen guten Rahmen für die schnelle Schienenreaktivierung bilde etwa das Gesetz zur beschleunigten Genehmigung von Verkehrsprojekten, meinte VDV-Geschäftsführer Henke. Ein weiterer Hoffnungsschimmer: Der Bundesverkehrsausschuss habe festgehalten, dass die Existenz einer Bahnstrecke in „überragendem öffentlichen Interesse“ liegt. „Kommunen kommen also weniger auf die Idee, etwas anderes mit stillgelegten Trassen zu machen, als sie als Bahnstrecke zu nutzen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Die Bahnstrecke auf dem Titelbild ist zwar etwas mit Gras bewachsen, sieht sonst aber nicht so aus, als ob sie stillgelegt wäre. Das Signal steht auf Langsamfahrt.

  • Durch mangelnde Gleise wurde bei mir aus einer wahrscheinlich 50 minütigen Bahnreise in den Arbeitsort, eine Reise von 1:40 Stunden, da aufgrund einer Direktverbindung sehr grob umfahren werden muss inklusive eines Umstiegs.

    Skandalös, wie selbstverständlich Autobahnen ausgebaut werden und die Bahn kaputt geschrumpft wurde.

    Bei meinen Eltern wird heute noch erzählt, dass im Nachbardorf mal ein Bahnhof war. Jetzt ist der nächste 14 Kilometer weit weg - bei der schlechten Busverbindung also für mich damals nur mit Fahrrad sinnvoll erreichbar und wieder ein Argument, gar nicht erst auf die Bahn zurückzugreifen und gleich ins Auto zu steigen.



    Zurecht, denn als ich die Bahn an der Stelle mal nutzte, fiel prompt der Zug aus und alles entwickelte sich zu einer typischen Bahn-Läster-Story.

    • @sk_:

      Sicherlich ist das System Daseinvorsorge. Trotzdem spielt es eben eine Rolle, dass die von Ihnen beschriebenen Strecken vermutlich nicht deshalb geschlossen wurden, weil zu viele Leute darauf mit dem Zug fahren wollten.

      • @Bommel:

        Aber das Konzept sah doch schon in den 70ern vor, den Verkehr auszudünnen und nicht einen Hauch zu modernisieren.



        Da wurde dann der Schienenbus als Retter der Nebenstrecke beworben - mit ca. 100 ltr DK pro 100 km Verbrauch - und dann fahren morgens zwei und Nachmittags zwei.



        Und schwupps ist es nicht mehr rentabel.

  • "Dabei sind Bedarf und Potential riesig: Das deutsche Schiennetz ist laut Flege seit 1995 um 12 Prozent geschrumpft. Der Schienengüterverkehr habe im gleichen Zeitraum um 98 Prozent zugenommen, der Personenverkehr sei um über 30 Prozent gewachsen."

    Das ist eine ziemliche Milchmädchenrechnung. Nur weil der Verkehr auf den bereits befahrenen Strecken steigt, hilft nicht jede reativierbare stillgelegte Strecke. Im gegenteil: ginge man wieder ind ie Fläche würde die Uslastung im Bestandsnetz eher noch steigen. Teilweise bei Betriebs- und Unterhaltungskosten, die nicht von Einnahmen gedeckt sind. Das frisst dann wieder Geld, das beim Ausbau der Bestandsstrecken fehlt – DB-Netze ist nach wie vor privatwirtschaftlich ausgerichtet.

    Um das Streckennetz zu entlasten wäre wichtiger, bestehenden Strecken mehr Gleise zu geben und zusätzliche Güterverkehrsstrecken anzulegen. Und da gibt es bei den reaktivierbaren stillgelegten Strecken vielleicht einen hilfreichen Bruchteil.

    Volkswirtschaftlich und gesellschaftlich wäre es natürlich sinnvoll, wieder mehr in die Fläche zu gehen. Aber da sind wir dann wieder beim Thema "Rückführung auf hoheitliche Aufgabe".

    "reaktivierbare stillgelegte Strecke": Manche (viele?) Strecken die in den letzten Jahrezehnten stillgelegt wurden sind bereits entwidmet. Würde man da wieder Züge fahren lassen wollen wäre das rechtlich ein Neubau. Und technisch in vielen Fällen auch.

    • @metalhead86:

      "Volkswirtschaftlich und gesellschaftlich wäre es natürlich sinnvoll, wieder mehr in die Fläche zu gehen. Aber da sind wir dann wieder beim Thema "Rückführung auf hoheitliche Aufgabe"."

      Nahverkehr ist eine hoheitliche Aufgabe. Und bei der überwiegenden Zahl der zu reaktivierenden Strecken, dürfte es um Nahverkehr gehen.

  • Kein Wort zu den Anliegern, die gegen den Verlust ihrer Ruhe regelmäßig Einspruch mit aufschiebender Wirkung erheben? Eine Verzögerung der Wiederinbetriebnahme um 10 Jahre ist eigentlich immer machbar.