Reaktionen auf Erdogans Rede: Ein leises Echo
Erdogans hierzulande kontrovers diskutierter Auftritt in Köln erntet in der Türkei routinierte Reaktionen. Am Bosporus wird eher über dessen Zukunft spekuliert.
ISTANBUL taz | Die Spannung, mit der in Deutschland auf Recep Tayyip Erdogans Auftritt in Köln geschaut wurde, schlug sich in der Türkei nicht nieder. Schließlich gehören polemisch-populistische Auftritte des Ministerpräsidenten hier zum Alltag. Eher routinemäßig melden die Zeitungen deshalb, je nach politischem Lager – wie etwa die regierungsnahe Zeitung Sabah –, Erdogan hätte in Köln gefordert, der Westen solle endlich die neue, größere, stärkere Türkei akzeptieren,
Während die eher kritische Hürriyet Köln als gespaltene Stadt betitelt und darauf verweist, dass Erdogan in Deutschland nicht nur mit seinen Fans, sondern auch mit vielen Gegendemonstraten konfrontiert war. Das Ganze macht einen eher geschäftsmäßigen Eindruck, schließlich haben die türkischen Zeitungen heute auch den Gewinn der „Goldenen Palme“ in Cannes – für Regisseur Nuri Bilge Ceylan und seinem Film „Winterschlaf“ – und das Erdbeben in der Ägäis zu verarbeiten.
Auch die Kritik an den Medien die Erdogan in Köln vom Stapel ließ, wird am Bosporus eher achselzuckend zur Kenntnis genommen. Erdogans Einflussnahmen auf die hiesigen Medien sind Legion. Leitartikler die ihm nicht passen, landen schneller auf der Straße als sie ihren nächsten Artikel schreiben können.
Tatsächlich wurde gerade am Freitag den türkischen Journalisten noch einmal drastisch vor Augen geführt, welches Risiko jeder eingeht, der sich mit dem Regierungschef ernsthaft anlegt. Mehmet Baransu, Journalist der Zeitung Taraf, hat von der Staatsanwaltschaft eine Anklage präsentiert bekommen, nach der er für 52 Jahre ins Gefängnis soll.
Repressive Maßnahmen
Man wirft ihm Geheimnisverrat vor. Baransu hatte im November 2013 ein Protokoll einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates aus dem Jahr 2004 veröffentlicht. Darin geht es unter anderem darum, auf Druck der damals noch starken Militärs repressive Maßnahmen gegen die islamische Gülen-Bewegung einzuleiten.
Das Dokument ist Erdogan heute peinlich, weil er einst den Militärs nachgeben musste, obwohl zu dem Zeitpunkt die führenden Anhänger der Gülen-Bewegung noch zu seinen besten Freunden zählten. Dabei war Mehmet Baransu vor noch gar nicht so langer Zeit der große Star der AKP. Baransu bekam zwischen den Jahren 2007 und 2010 kofferweise belastentende Dokumente gegen die Militärs zugespielt. Seine Veröffentlichungen führten mit zu den Prozessen gegen die wichtigsten Offiziere und und trugen zur Entmachtung der Armee bei.
Was von Erdogans Rede in Köln neben der bangen Frage, wie es nun mit den deutsch-türkischen Beziehungen weiter geht, vor allem bleibt, ist seine Ankündigung, in wenigen Tagen bekannt zu geben, ob er für das Amt des türkischen Präsidenten kandidieren wird.
Präsidentschaftskandidatur?
Seitdem klar ist, dass eine klare Mehrheit in seiner Partei Erdogan als Präsident sehen will, und die Opposition sich wohl nicht gemeinsam auf einen Kandidaten gegen ihn einigen wird, denn die Kurden wollen mit der nationalistischen MHP keinen gemeinsamen Kandidaten aufstellen, steht wohl nur noch seine Frau, Emine Erdogan, zwischen ihm und dem höchsten Staatsamt.
Nach übereinstimmenden Gerüchten aus der Umgebung von Tayyip Erdogan ist seine Frau eher für einen Rückzug aus der Politik. Sie wünscht sich, so scheint es, eher eine ruhige Zukunft. Allerdings ist nicht zu erwarten, dass Tayyip Erdogan auf seine Frau hören wird.
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