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Reaktion auf NSU-MordserieMehr Macht für den Bundesanwalt

Nie mehr jahrelange Justiz-Kleinstaaterei wie beim NSU: Der Generalbundesanwalt soll solche Fälle schneller an sich ziehen.

Mehr Rechte bei politischen Verfahren: Generalbundesanwalt Harald Range. Bild: dpa

FREIBURG taz | Als Folge aus dem NSU-Ermittlungsdesaster will die Bundesregierung die Macht des Generalbundesanwalts stärken. Harald Range soll schneller Ermittlungen mit möglichem Staatsschutzhintergrund übernehmen können. Das sieht ein Gesetzentwurf von Justizminister Heiko Maas (SPD) vor, der der taz vorliegt.

Die mysteriöse Mordserie gegen neun migrantische Kleingewerbler war elf Jahre lang kein Fall für die Bundesanwaltschaft. Schließlich sahen die örtlichen Staatsanwaltschaften keinen terroristischen Hintergrund, sondern ermittelten gegen eine vermeintliche türkische Mafia. Auch als 1998 in Thüringen drei militante Rechtsextremisten (Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe) untergetaucht waren, wiegelte die zuständige Staatsanwaltschaft Gera ab, es handele sich nur um ein „loses Geflecht“ von Einzelpersonen.

Der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags sah ein wichtiges Versäumnis darin, dass die Ermittlungen an beiden Ansatzpunkten nicht zentral geführt wurden. Dies könne dazu beigetragen haben, dass der rechtsradikale Hintergrund der Mordserie erst 2011 nach dem Tod der beiden Haupttäter Mundlos und Böhnhardt erkannt wurde.

Die Bundesanwaltschaft (BAW) hat bisher nur eine ganz schmale Ermittlungszuständigkeit. Es muss sich, grob gesagt, um Staatsschutzfälle von besonderer Bedeutung handeln. Bei Morden und Bombenanschlägen darf sie nur ermitteln, wenn die Tat dazu „bestimmt und geeignet“ war, die innere Sicherheit oder Verfassungsgrundsätze zu beeinträchtigen und der Fall „besondere Bedeutung“ hat. Die Beschränkung der BAW auf den Staatsschutz ist im Grundgesetz vorgegeben.

In diesem Rahmen will Justizminister Maas nun vier Punkte im Gerichtsverfassungsgesetz ändern. So sollen die Staatsanwaltschaften der Länder verpflichtet werden, der BAW alle Fälle mit möglicher Bundeszuständigkeit vorzulegen. Bisher gab es hierfür nur eine Verwaltungsvorschrift, die von den Ländern weitgehend ignoriert wurde. Der Generalbundesanwalt kann dann die Ermittlungen übernehmen, sobald es „tatsächliche Anhaltspunkte“ für seine Zuständigkeit gibt. Bei Ermittlungsbeginn soll also ein „Anfangsverdacht für die Zuständigkeit“ genügen, heißt es in der Begründung.

Außerdem soll gesetzlich festgestellt werden, dass ein Staatsschutzdelikt in der Regel „bedeutend“ ist, wenn wegen des „länderübergreifenden Charakters der Tat“ eine zentrale Ermittlung geboten erscheint. Und schließlich soll es für die BAW-Zuständigkeit nicht mehr erforderlich sein, dass die Täter subjektiv die innere Sicherheit Deutschlands beeinträchtigen wollten, es soll genügen, dass die Tat objektiv dazu geeignet war.

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2 Kommentare

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  • RU
    Rainer Unsinn

    NSU-Skandal in Wirklichkeit ein Geheimdienstskandal?

     

    Was soll es bringen die Position der Bundesanwaltschaft zu stärken, wenn der Bundesanwalt beim BGH, Dr. Herbert Diemer, zum NSU-Prozessauftakt trotz erdrückender Hinweise auf Verstrickungen von auch deutschen Geheimdiensten in den NSU-Fall (s. Verfassungsschützer Andreas Temme, der nachweislich am Mordtatort Internetcafe zum Tatzeitpunkt war sowie in Tatortnähe in 5 weiteren Mord-Fällen) und trotz systematischer Aktenvernichtungen von Behörden vermutlich zur Spurenvernichtung davon spricht, dass es sich bei der NSU nach "umfassenden, akribischen und objektiven Ermittlungen" im Zuge des Ermittlungsverfahren "um eine kleine, abgeschottete und vollkommen persönlich auifeinander angewiesene Gemeinschaft" handele und das man bei den Ermittlungen auch "keinerlei Hinweise für eine Verstrickung staatlicher Stellen" gefunden habe. Auch für eine "Zusammenarbeit des NSU-Trios oder der angeklagten Personen mit dem Verfassungsschutz oder der Polizei habe man bislang keine Hinweise ermitteln können".

    Nachdem ein Mitarbeiter des compact-Magazins auf der Pressekonferenz des Bundesanwalt jedoch kritische Rückfragen zu diesem Punkt stellt reagiert Bundesanwalt Diemer sichtlich ungehalten [Link entfernt]  und scheint bemüht den unbequemen Fragesteller möglichst schnell abzuwürgen. Zur Aktenschredderei sagt er wörtlich: "Na gut - Akten geschreddert! Es ist wie gesagt nicht unsere Aufgabe über das Verhalten von Behörden in früherer Zeit zu richten oder dieses zu untersuchen! ... Wir haben zumindest bei unseren Ermittlungen keinen Mangel in der Zusammenarbeit erlebt! Wir haben alles, was wir angefordert haben auch bekommen!"

  • Herr Maas arbeitet sich daran ab, das Grundgesetz zentralistischen Tendenzen anzupassen - eine alte SPD-Linie, die letztlich autoritäre Lösungen befördert. Soll das neue Gesetz ermöglichen, dass die Bundesanwaltschaft gegen NSU-freundliche Länderinstitutionen soll vorgehen können? Schließlich ist ja die BRD nicht durch die Mordserie erschüttert worden, für die sich die NSU verantworten soll, sondern durch das Verhalten verschiedener Geheimdienste aller Ebenen, die ja gerade Täter aus neonazistischem Umfeld nicht ausmachen wollten. Hätte mit der angedachten neuen gesetzlichen Regelung solches verhindert werden können? Daran muss man wohl eher zweifeln und darf es für möglich halten, dass ein NSU-Prozess erst gar nicht zustande gekommen wäre....