Razzia bei Nachwuchsnazis: Repression muss ja nicht immer schlecht sein
Die Polizei hat sehr junge Neonazis in Berlin und Brandenburg durchsucht. Gut, dass rechtzeitig hingeschaut wird.
N ach einer feministischen Antifa-Demo in Berlin-Marzahn am Samstag vor einer Woche, die von einem neonazistischen Gegenprotest flankiert wurde, steigt eine Gruppe Neonazis in die S-Bahn. Die etwa 16- bis 18-Jährigen machen keinen Hehl aus ihrer Gesinnung. Army-Hosen, Bomberjacken, Witze übers Gendern. Die Gruppe fühlt sich sicher in der Bahn, mit der auch viele Antifaschist:innen Richtung Stadtzentrum fahren.
Die Neonazis diskutieren über die Möglichkeiten, in ihre Heimatorte im Berliner Umland zu gelangen. Am Umsteigebahnhof Ostkreuz wollen sie aussteigen und individuell weiterfahren. Dass Antifas sie auf dem Kieker haben könnten, scheint ihnen nicht bewusst zu sein – oder nicht zu stören. So sieht sie also aus, die Selbstverständlichkeit, sich als Neonazi schamlos in der Öffentlichkeit zu bewegen – das Gefühl einer rechten Hegemonie.
Erst als die Bahn sich dem Ostkreuz nähert, mischt sich ein Polizist fast schon väterlich in ihr Gespräch ein. Die Neonazis begegnen ihm freundlich und fügen sich anstandslos, als schließlich am Bahnhof Polizist:innen einen Ausstieg und damit ein mögliches Aufeinandertreffen mit den Linken verhindern. Für die Neonazis geht es auf anderem Weg sicher nach Hause.
Zumindest die gefühlte Sicherheit vor den Sicherheitsbehörden hat für den rechten Nachwuchs wenige Tage aber später ein jähes Ende gefunden. Am Mittwoch rückten 160 Polizist:innen zu Razzien gegen Mitglieder der Gruppierungen Deutsche Jugend Voran (DJV) und Jung und Stark (JS) aus, aus deren Reihen der Protest in Marzahn organisiert worden war. Vollstreckt wurden zwölf Durchsuchungsbeschlüsse der Staatsanwaltschaft. Neun Tatverdächtige im Alter zwischen 16 und 23 Jahren in Berlin und Brandenburg sind betroffen, ein Führungskader sitzt seitdem in Untersuchungshaft.
Ermittelt wird in drei Fällen: Im September sollen sieben Mitglieder der Gruppen in Marzahn einen Mann angegriffen und ihn gezwungen haben, sein Antifa-T-Shirt auszuziehen, mit dem die Nazis später posierten. Eine Woche später schlugen sechs Neonazis in Hellersdorf auf einen Mann ein, auch als er schon am Boden lag. Ein drittes Verfahren richtet sich gegen einen Rechten, der auf Social Media mit Polizeiwaffen posierte. Im vergangenen Jahr hatte er in einer Liegenschaft der Polizei gearbeitet.
Der massive Einsatz überrascht
Die Vorwürfe räuberische Erpressung, gefährliche Körperverletzung und Diebstahl von Waffen sind gravierend – und dennoch überraschen der massive Einsatz wie auch Informationen darüber, dass die Gruppen bereits mehrfach Thema im „Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum“ waren. In der Vergangenheit waren rechtsextreme Gruppen oft deutlich länger und militanter aktiv und hatten mehr schwere Straftaten angesammelt, ehe ihnen die Polizei auf die Pelle rückte.
Insofern sprechen die Ereignisse in diesem Fall für eine neue Wachsamkeit. Die Gruppen DJV und JS sind erst seit wenigen Monaten aktiv, rekrutieren ihre extrem jungen Mitglieder vor allem über Tiktok. Im Juli waren sie überhaupt das erste Mal in Erscheinung getreten, am Rande des Berliner CSD. Weitere Proteste gegen CSD-Veranstaltungen in Bautzen, Chemnitz oder Magdeburg folgten.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Die Razzien nun dürften auch als Warnschuss gedacht sein für eine neue Szene, die sich im Eiltempro radikalisiert. Der Staat vermittelt den Neonazis: Wir haben euch im Blick.
Für das Allmachtsgefühl dieser Jugendlichen, sich alles erlauben zu können, wird das nicht folgenlos bleiben. Als antifaschistischer Beobachter darf man sich über diese Form der – rechtsstaatlich legitimen – Repression durchaus freuen. Besser, als ihr Fehlen zu beklagen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist