Razzia bei Berliner Nachwuchsnazis: Mit 160 Beamt:innen gegen die braune Brut
Ermittlungen gegen neun junge Männer wegen räuberischer Erpressung, gefährlicher Körperverletzung, Diebstahl und Verstößen gegen das Waffengesetz.
Nach Erkenntnissen der Ermittler:innen befinden sich unter den Beschuldigten Anhänger der Gruppierungen „Jung und Stark“ und „Deutsche Jugend voran“, die die Staatsanwaltschaft als rechtsextrem betrachtet, sowie der „Nationalrevolutionären Jugend“, des Jugendverbands der neonazistischen Kleinstpartei „III. Weg“
Die Polizei beschlagnahmte mutmaßliche Beute aus Straftaten, wie der Sprecher der Staatsanwaltschaft sagte. Dazu zählen mögliche Tatkleidung, Handys, Schlagwerkzeug, Waffenteile, illegale Pyrotechnik sowie Schreckschusswaffen und Gaspistolen. Zudem habe man Hinweise auf eine weitere Gewalttat erhalten, hieß es. Sieben Verdächtige wurden von den Polizist:innen vor Ort angetroffen. Von ihnen wurden unter anderem Fingerabdrücke genommen. Festgenommen wurde aber niemand laut Sprecher.
Nach den Ermittlungen sollen die Beschuldigten in unterschiedlicher Weise an drei Fällen beteiligt gewesen sein. Bei dem ersten Vorfall geht es um einen Überfall auf einem Mann, der ein Antifa-T-Shirt trug. Sieben der Männer sollen diesen am 13. September in Berlin-Marzahn verfolgt und auf ihn eingeschlagen haben. Dann sollen sie den Mann gezwungen haben, sein Shirt auszuziehen und ihnen zu geben.
Foto mit Waffen und Polizeiweste gepostet
Eine Woche später sollen sechs Mitglieder, zum Teil vermummt, in Berlin-Hellersdorf an einer Bushaltestelle auf einen unbekannten Mann eingeschlagen und eingetreten haben. Von dem Angriff existieren Videos aus Überwachungskameras, deshalb konnten einige der Neonazis identifiziert werden. Das Opfer konnte sich in einen BVG-Bus retten. Laut Staatsanwaltschaft konnte der Mann bislang nicht ausfindig gemacht werden. Allerdings trafen alarmierte Polizist:innen in der Nähe auf drei Verdächtige.
Im dritten Verfahren geht es um eine Social-Media-Post eines Neonazis. Der 20-Jährige aus dem Stadtteil Marzahn-Hellersdorf zog die Aufmerksamkeit der Ermittler:innen auf sich durch ein Foto, auf dem er in einer ballistischen Schutzweste der Berliner Polizei mit zwei Waffen zu sehen sein. Der Mann soll laut Staatsanwaltschaft Sympathisant von „Jung und Stark“ und „Deutsche Jugend voran“ sein und als Handwerker Zugang zu einem Polizeigebäude gehabt haben. In der Zeit von April bis Dezember 2023 soll er dies für den Diebstahl von Weste und Waffen genutzt haben.
Insgesamt zwölf zwölf Durchsuchungsbeschlüsse hatte die Staatsanwaltschaft erwirkt. In Brandenburg wurden zwei Wohnungen in Wandlitz im Landkreis Barnim und in Letschin in Märkisch-Oderland durchsucht, in Berlin lag der Schwerpunkt im Osten der Stadt – im Lichtenberger Ortsteil Neu-Hohenschönhausen, in Hellersdorf und Köpenick. Insgesamt waren rund 160 Beamt:innen an den Razzien beteiligt, darunter der Staatsschutz, das Berliner Landeskriminalamt, Spezialeinsatzkräfte und Hundertschaften, wie es hieß.
Rechtsextremistische Organisationen in Berlin aktiv
Die Gruppen „Jung und Stark“ und „Deutsche Jugend Voran“ sind zuletzt bundesweit durch Störaktionen beim Christopher Street Day aufgefallen. Am vergangenen Wochenende beteiligten sich etwa 100 Menschen in Marzahn an einer Neonazi-Demonstration. Diese war als Gegenveranstaltung zu einer linken Versammlung angemeldet worden, die ebenfalls am Samstag in Marzahn erfolgte und an der laut Polizei 1.500 Menschen teilnahmen.
Die Versammlung der Neonazis per Megafon koordiniert hatte der in Wandlitz lebende 23-jährige Julian M., der als Leiter des Berliner „Deutsche Jugend Voran“-Ablegers fungiert. Auch an Neonazi-Aufmärschen in Oranienburg, Leipzig und Bautzen soll Julian M. maßgeblich beteiligt gewesen sein. Nun gehört er laut Informationen des Tagesspiegels zu den von den Durchsuchungen Betroffenen.
Laut Verfassungsschutz wird die rechtsextremistische Kleinstpartei „III. Weg“ auch in Berlin immer aktiver und löst so zunehmend die NPD ab. Teil der Kleinstpartei ist auch eine eigene Jugendorganisation, die „Nationalrevolutionäre Jugend“. Diese tritt laut Verfassungsschutz besonders in den Bezirken Pankow und Hellersdorf in Erscheinung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich