Raubkunst im Humboldt Forum: Korrektur am westlichen Monolog
Bald eröffnen die ethnologischen Sammlungen im Humboldt Forum. Ein Filmprogramm fasst am Sonntag Jahrzehnte der Kritik an solchen Museen zusammen.
Man hat sich ja schon fast gewöhnt an den neuen Protz-Klotz in Mitte. Das Humboldt Forum ist zum Anziehungspunkt für Touristen und Einheimische geworden, zuhauf flanieren sie um und durch den pseudobarocken Koloss oder strömen in die Ausstellungen zu Berlin, den Brüdern Humboldt, der Schlossgeschichte.
Das „dicke Ende“ kommt allerdings noch: Am 22. September eröffnen das Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst. Beide sind sozusagen das „Herzstück“ des Ganzen und der eigentliche Grund, warum das Disney-Schloss von seinen Verfechtern zum Zentrum des „Dialogs der Weltkulturen“ stilisiert wird und von seinen Gegnern als Hort von Raubkunst und neokolonialer Attitüde bekämpft.
Kunst und Protest gegen die Eröffnung der „ethnologischen Sammlungen“ im Humboldt Forum:
Sonntag, 12. September, 16 bis 21 Uhr, im Freien vor dem „Spreeufer“ (Spreeufer 6, 10178 Berlin): Kurzfilmprogramm „Regarding Museums. On Colonialities, Ownership and Loss“, kuratiert von Nenna Onuoha. Das Programm ist auf Englisch. Eintritt frei, 3G, Spenden willkommen. Anmeldung über barazani.berlin@gmail.com, Infos: barazani.berlin/regarding-museums.
Donnerstag, 16. September, 11 Uhr: virtuelle Ausstellungseröffnung „Barazani.box 5: Preußischer Kulturbesitz?“ Politiker:innen, Historiker:innen und Künstler:innen erzählen von ihren langjährigen Kämpfen um Restitution und beleuchten „perfide Propadandamethoden“ der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Infos zur Ausstellung über den Newsletter: barazani.berlin/newsletter.
Mittwoch, 22. September, 11 Uhr: Demonstration vor dem Berliner Schloss. (sum)
Dieses Mal haben die Kritiker die Nase vorn: Schon am Sonntag laden die Cultural Workers against the Humboldt Forum und das virtuelle Projekt BARAZANI.berlin zu einem Kurzfilmprogramm im „Spreeufer“. Und die Liste der Filme, die vor dem kleinen Veranstaltungsraum schräg gegenüber des Humboldt Forums gezeigt werden, verspricht einen Rundumschlag. So zeigen einige Werke, dass die Kritik am Raub von Objekten und Kunstwerken aus den früheren Kolonien und ihre Musealisierung im „Westen“ keine neue Erscheinung ist, auch wenn es einer breiteren Öffentlichkeit hierzulande so scheint, sondern seit Jahrzehnten artikuliert wird.
Schon 1953 thematisierten etwa die Filmemacher Alain Resnais, Ghislain Cloquet und Chris Marker in „Les Statues Meurent Aussi“ (Frankreich, 30 Minuten) anhand von Ausstellungsstücken aus dem Pariser Musée de l’Homme, wie Objekte aus Afrika aus ihren soziokulturellen Kontexten gerissen und in „exotische“ Souvenirs transformiert wurden. In „You hide me“ (1970, Ghana, 16 Minuten) befasst sich Regisseur Nii Kwate Owoo am Beispiel des British Museums mit der Frage, wie die fortgesetzte Präsenz von afrikanischen Objekten in europäischen Museen eine kolonialistische Epistemologie fortschreibt. Seine These: Während die Objekte damals als Beleg für die europäische Wahrnehmung Afrikas als „zivilisationslos“ genommen wurden, sollen sie heute in den Museen bleiben, um den Nachfahren der Kolonisierten zu diktieren, welche Teile ihrer Kultur als „große Kunst“ anzusehen sind.
Eine zweite Gruppe von Filmen widmet sich kolonialen fotografischen Archiven und fragt, ob und wie solche Bilder in einer neuen, dekolonialen Perspektive gelesen werden können. So werden in „Faces/Voices“ (2019, England, 18 Minuten) Engländer der Jetztzeit mit Porträtfotografien des Ethnologen N.W. Thomas konfrontiert, die dieser zwischen 1909 und 1915 in Nigeria und Sierra Leone gemacht hat. Der Film beobachtet, wie Schwarze Menschen heute nicht nur die Gewaltgeschichte hinter den Fotos erkennen, sondern auch Trotz, Neugier und Freude in den porträtierten Gesichtern entdecken.
Eine dritte Reihe analysiert europäische Erinnerungskultur im Kontext von Imperialismus, Rassismus und globaler Migrationspolitik. „They Live in Forests/They Are Extremely Shy“ (2019, England, 4 Minuten) etwa erzählt von einem Indigenen aus Australien, der 1886 zur Kolonialausstellung nach London kam und dort die Leiche eines Verwandten als Ausstellungsstück vorfand, die er zu retten versuchte.
Einen Bogen in die Gegenwart schlägt „Un-Documented: Unlearning Imperial Plunder“ (2019, England, 34 Minuten): Die Künstlerin Ariella Aisha Azoulay regt an, dass wir die Fluchtversuche von Nachfahren Kolonisierter in die Metropolen ehemaliger Kolonialmächte und die Präsenz von geraubten Objekten in hiesigen Museen als „Zwillingsmigration“ betrachten sollten. Schließlich sei beides das Ergebnis ähnlicher Prozesse von imperialer Ausbeutung und Enteignung.
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