Ratschläge in der Schwangerschaft: Hauptsache, es wird
„War es gewollt? Wird es auch klein?“ sind die Fragen, die unsere Autorin am häufigsten hört. Weil sie schwanger ist – und kleinwüchsig.
Der Blick wandelt sich von kurzem Erstaunen zu völliger Verwirrtheit. Ich kann sehen, wie es in den Köpfen der Leute, die mich anschauen, anfängt zu arbeiten – spätestens, wenn sie auf meinem Bauch gelandet sind.
Dort bleiben sie dann. Vielleicht wandern sie noch einmal zurück zu meinen Brüsten, weil diese in meinem Gesamterscheinungsbild gerade circa ein Drittel ausmachen, aber dann geht es schnell zurück auf den Bauch.
Erstaunlich. Ein Schwangerschaftsbauch. Wie kann das sein? Die Frau ist doch so klein? Und wie alt überhaupt? Über 20? Geht das mit dem Sex dann? Darf die schwanger sein?
Blicke bin ich gewöhnt. Ich bin klein. Noch kleiner als andere, die eh schon klein sind. Genau genommen: 140 Zentimeter lang. (Wobei das eine kleine Lüge ist, damit im Personalausweis eine aufgerundete Zahl steht, in Wirklichkeit sind es 139 Zentimeter.)
Damit gehöre ich nicht zu den kleinsten Menschen. Im Gegenteil: Bei den Treffen des Bundesverbands „Kleinwüchsige Menschen und ihre Familien“ gehöre ich zu den „Großen“. Oder zumindest zu einer Masse. Leider ist nicht jeden Tag Treffen des Bundesverbands.
Scheiß auf gute Ratschläge
Jeder Tag ist Alltag – und dazu gehören Blicke, Sprüche, Barrieren, Beleidigungen, Respektlosigkeiten und positive Diskriminierungen à la „ich bewundere dich dafür, dass du das trotz deiner Größe machst“.
Menschen mit Behinderungen fordern immer wieder: „Nichts über uns ohne uns!“ Jedoch sind sie in den Redaktionsräumen des Landes kaum vertreten. Zum internationalen Tag der Menschen mit Behinderung am 3. Dezember 2016 präsentiert sich die taz am Vortag als Ergebnis einer „freundlichen Übernahme“.
Darin erzählen Autor_innen von sich. Davon, dass sie nicht „an den Rollstuhl gefesselt sind“ oder „an ihrem schweren Schicksal leiden“. Davon, wie es ihnen im Alltag und im Beruf ergeht. Koordiniert wird die Übernahme von Leidmedien.de. taz.mit behinderung – am Kiosk, eKiosk und natürlich online auf taz.de.
Die Kombination mit dem sichtbaren Extrapaket, das ich gerade mit mir herumtrage, scheint manche Menschen in Orientierungslosigkeit zu stürzen. Ich wusste das ja vorher. „Sobald man schwanger wird, gehört man zum gesellschaftlichen Allgemeingut, jeder meint, über dich und dein Leben urteilen und gute Ratschläge abgeben zu müssen“, schreibt mir eine Bekannte über Twitter. Ihr „Scheiß drauf!“ im Anschluss drucke ich aus und hänge es über meinen Schreibtisch.
Wie recht sie hat, merke ich in den folgenden Wochen. Alle Menschen wissen, was ich in der Schwangerschaft zu tun habe. Wie es mir gehen sollte. Worüber ich mir Sorgen machen muss. Und was ich zu spüren habe.
In dem Newsletter, den ich abonniert habe, werde ich gefragt, ob ich dieses vorfreudige Kribbeln auf die Geburt spüre, wenn ich zu Musik durch das Wohnzimmer tanze. Ich klicke auf „antworten“ und tippe: „Nein.“
Auf Veranstaltungen werde ich dafür gelobt, dass ich „trotzdem da bin“. Ich bin ein bisschen überfordert, weil ich nicht weiß, was ich sonst machen sollte. Zu Hause sitzen und andächtig meinen Bauch streicheln?
Alle kriegen Panik – außer man selbst
Meine Mutter wirft derweil einen Blick in das zukünftige Kinderzimmer. Aktuell dort drin: eine leere Kommode, der Staubsauger, ein Werkzeugkasten, 60 leere Umzugskartons und ein paar Dinge, von denen noch niemand weiß, wo sie hinsollen.
„Ab dem siebten Monat solltet ihr aber drauf vorbereitet sein“, sagt sie. Ich sage: „Aha. Das Problem ist nur, der siebte Monat ist nächste Woche.“ Langsam glaube ich, ich sei auf das Kind schlechter vorbereitet als auf das Kaninchen, das wir damals bekommen haben.
Die Frage, die ich am häufigsten gestellt bekomme, wenn ich erzähle, dass ich schwanger bin, lautet: „War es gewollt?“ Und ich kann mir kaum eine Frage vorstellen, die übergriffiger sein könnte als diese. Menschen stellen sie, ohne mit der Wimper zu zucken. Als wäre es unvorstellbar, dass ich ein Kind haben möchte. Dass der Mann ein Kind haben möchte. Dass dieses Kind gewollt sein könnte. Wie soll ich antworten? „Nö, wir waren nur wieder völlig betrunken nach dieser einen Party, aber jetzt ziehen wir es durch“?
Ninia LaGrande, 1983 geboren, ist Autorin und bloggt unter ninialagrande.blogspot.de
Darauf folgt dann meist, in einem leichten Flüsterton, als wäre es sehr unverfroren, dieses Thema überhaupt anzusprechen: „Wird es auch klein?“ Am liebsten antworte ich: „Ja, ich hoffe. 210 Zentimeter rauszupressen, stelle ich mir eher unangenehm vor.“
Wenn man klein ist und schwanger, kriegen plötzlich alle Menschen um eine herum Panik. Außer man selbst. Und, wenn man Glück hat, die Frauenärztin. Die sagt nur: „Ja, das werden wir dann ja sehen, ne?“
Unkomplizierte Schwangerschaft
Meine Oma hat Angst davor, dass da etwas sehr Großes rauskommen muss. Eine Bekannte findet es schwierig, wenn das Kind auch so klein wird – vor allem, wenn es „ein Junge sein sollte“ (well, go home!). Und die Humangenetikerin versucht nach dreiunddreißig Jahren noch einmal herauszufinden, warum ich so bin, wie ich bin. Spoiler: Sie schafft es nicht. Ich habe keine vererbbare Kleinwuchsform. Zumindest keine, die man feststellen könnte. Ich bin klein, der Mann ist mittel, das Kind wird irgendwie. Hauptsache, es wird.
Mir tut es leid, andere enttäuschen zu müssen, aber ich kann auf die Frage „Wie geht es dir?“ nichts anderes antworten als „Gut, wie immer!“. Vermutlich habe ich die unkomplizierteste Schwangerschaft der Welt, aber irgendwann muss man ja mal Glück haben.
Ich sehe die Enttäuschung in den Augen, wenn ich erzähle, dass ich nicht fünf Monate durchkotzen musste und auch sonst keine Veränderungen spüre, außer, dass da jemand abends in meinem Bauch ordentlich Party macht.
Wenn es mir schon nicht schlecht geht, scheinen die Leute zu denken, sie müssten mir wenigstens ein paar Horrorgeschichten erzählen – so als Ausgleich. „Ach, sei froh, bei meiner Freundin Rita ist im fünften Monat folgendes schreckliches Szenario passiert …“ und dann folgt ein schreckliches Szenario, das ich nicht so genau kennen wollte.
Echte Freunde
Wenn das alles zu viel wird, freue ich mich auf das Schwangerschaftsyoga. Schwangerschaftsyoga hat nichts mit eigentlichem Yoga zu tun – zumindest nicht das, das ich mache. Wir atmen einfach. Eineinhalb Stunden lang. Dabei spüren wir unseren Körper, den Bauch, den Boden. Ich spüre in der Zeit mehr als in der ganzen Woche davor. Spüren ist toll. Es lenkt ab. In dieser Zeit baue ich den Panzer wieder auf, der durch die ganzen Sprüche Schicht für Schicht bröckelt.
Entspannt unter Wasser
Ich habe mich mit mir selbst darauf geeinigt, dass ich das mit dem Kind schon schaukele. Wenn mein kleiner Körper schwanger werden kann, kann er auch ein Kind kriegen. Alles andere, von dem viele Leute dachten, es wäre unmöglich für mich, hat er schon geschafft.
Es gibt sie übrigens. Die guten Menschen. Die sagen, dass man nicht zögern soll, nach Hilfe zu fragen. Oder jetzt schon anbieten, das Baby zu beschäftigen, wenn man mal duschen möchte. Die Tipps geben für einen Kinderwagen, den zwei sehr unterschiedlich große Menschen ohne Probleme schieben können. Und die die Frage nach einer Wickelkommode abwinken mit: „Dann machst du das halt auf dem Boden, wenn du nicht an die Fläche heranreichst.“
Die wissen, dass Besserwisserei nicht weiterhilft, sondern dich in den Arm nehmen und dann ein großes Stück Schokoladentorte aus dem Nichts zaubern. Und das sind die einzigen Menschen, mit denen wir alle, ob schwanger oder nicht und ob groß oder klein, befreundet sein sollten.
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