Rassistischer Mordanschlag von 2020: Stilles Gedenken in Hanau
Am vierten Jahrestag versammeln sich Opferfamilien und Überlebende auf dem Hanauer Hauptfriedhof. Reden der Offiziellen waren unerwünscht.
![Zwei Frauen liegen sich in den Armen und trösten sich. Im Hintergrund weitere Trauergäste. Zwei Frauen liegen sich in den Armen und trösten sich. Im Hintergrund weitere Trauergäste.](https://taz.de/picture/6834683/14/34702204-1.jpeg)
„Tot sind wir erst, wenn wir vergessen sind“, steht auf dem Grabstein von Ferhat Unvar, auf dem das fröhliche Foto des jungen Mannes mit der schwarzen Kappe zu sehen ist. Bei der Demonstration am vergangenen Samstag trugen Tausende die Fotos und Namen der neun Ermordeten auf Plakaten durch die Innenstadt von Hanau. Am vierten Jahrestag versammeln sich nun Opferfamilien und Überlebende auf dem islamischen Teil des Hanauer Hauptfriedhofs. Vor dem offiziellen Beginn kommen die ersten Angehörigen, legen Blumen nieder, umarmen sich, trösten sich gegenseitig, sprechen stille Gebete. In den vier Jahren seit den Morden haben sie die Erinnerung an die Opfer wachgehalten, immer wieder laut und unüberhörbar Aufklärung und politische Konsequenzen eingefordert.
Neben Ferhat Unvar liegen hier auch Hamza Kurtović und Said Nesar Hashemi. An die übrigen sechs Opfer des rassistischen Mordschützen erinnern blumengeschmückte Grabplatten. Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Sedat Gürbüz, Vili-Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Gökhan Gültekin haben in der Türkei, in Rumänien, Bulgarien oder auf Friedhöfen in Hanaus Umgebung ihre letzte Ruhestätte gefunden. In ihrer Trauer stehen ihre Angehörigen zusammen.
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Auf Arabisch und auf Deutsch
Pünktlich um 10 Uhr beginnt die Trauerfeier. „Von Allah kommen wir und zu ihm kehren wir zurück“, ruft Imam Bozkurt in arabischer und deutscher Sprache. Imame aus den Nachbarstädten Hanaus lesen Suren aus dem Koran. „Sucht Hilfe in der Geduld und Standhaftigkeit!“, wendet sich Bozkurt an die Familien der Opfer, die „in jungen Jahren Opfer von Hass und entfesselter Hetze“ geworden seien. Nicht die Toten seien verloren, versichert der Geistliche, „sondern die, die nicht dafür gesorgt haben, die Kinder zu beschützen, die das Vertrauen der Angehörigen nicht haben wiedergewinnen können“, sagt Bozkurt und nimmt so die Kritik auf.
VertreterInnen der Opferfamilien hatten rund um den Jahrestag erneut beklagt, dass sie selbst für die Aufklärung von Fehlern und Versäumnisse hätten sorgen müssen und dass die dafür politisch Verantwortlichen keine Verantwortung übernommen hätten.
Die Feier endet mit einem Gebet. „Mache alle Länder zu Ländern des Friedens!“, betet der Imam. Ausdrücklich nennt er die Ukraine, den Nahen Osten und Gaza. Israel erwähnt er nicht.
Die Angehörigen hatten ein stilles Gedenken gewünscht und sich Reden der Offiziellen verbeten. So warten am anderen Ende des Friedhofs die VertreterInnen von Stadt, Land und Bund, darunter mehrere MinisterInnen, Abgeordnete und Verantwortliche der Stadt. Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminski, Bundesinnenministerin Nancy Faeser und der stellvertretende hessische Ministerpräsident Kaweh Mansoori, alle SPD, legen Kränze nieder.
Im Anschluss gibt es kurze Statements. Angesichts von Vertreibungsfantasien und des Erstarkens rechter Kräfte sei das Gedenken an die rassistischen Morde von Hanau wichtig, sagt Bundesinnenministerin Faeser: „Umso wichtiger ist es, sich dagegenzustellen“. Das Erstarken der AfD und das „Gerede von Vertreibung und Remigration“ nennt OB Kaminski menschenverachtend. Die zahlreichen Demonstrationen gegen rechts lobt er als den Protest von „Verfassungspatrioten“.
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