Rassismus: Expeditionen ins Fußballreich
In letzter Zeit häufen sich rassistische Vorfälle in Stadien. Um die harte Realität zu erleben, begleitet der Integrationsbeauftragte des Senats zwei türkische Vereine bei Spielen im Umland.
Aufgeschreckt schaut Günter Piening zur Seite. "Kämpfen, nicht diskutieren", brüllt wenige Meter entfernt einer aus dem Fanpulk des Berliner FC Dynamo mit wutverzerrtem, rotem Gesicht Richtung Spielfeld. Pienings Gesichtszüge sind eher fein, sein Teint ist blässlich. Schon zu Beginn der Partie war der Integrationsbeauftragte des Senats im Sportforum Hohenschönhausen aufgefallen - dadurch, dass er sich setzte. Beim BFC Dynamo stehen auch auf der Haupttribüne fast alle Fans.
Das hier ist nicht Pienings Welt. Daraus macht er später auch keinen Hehl: "Mit dem Kampfspiel und der organisierten Schreierei kann ich nicht viel anfangen." Aber als Integrationsbeauftragter komme er am Thema Fußball eben nicht vorbei.
Vielfach wurde Piening in den vergangenen Jahren von Berliner Migrantenclubs angesprochen, weil sie sich bei der Vergabe von Trainingsplätzen oder bei Sportgerichtsurteilen benachteiligt fühlten. Und immer wieder berichteten die Vereinsvertreter von fremdenfeindlichen Vorfällen bei ihren Auswärtsspielen. Die Verantwortlichen von Türkiyemspor etwa erzählten Piening, ihre Spieler ständen dabei stets unter einer ganz besonderen Anspannung.
Deswegen hatte sich der Integrationsbeauftragte im Herbst entschlossen, die beiden Oberligavereine Türkiyemspor und Berlin Ankaraspor Kulübü 07 bei ihren Fahrten nach Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern und eben zum BFC Dynamo zu begleiten. Letzterer hat viele rechtsradikale Fans. Zum einen wollte Piening dieses Touren als Zeichen der Solidarität mit den Betroffenen verstanden wissen; zum anderen wollte er sich einen eigenen Eindruck verschaffen.
Seine Fußballexpeditionen führten Piening im Oktober ins brandenburgische Rathenow, im März nach Hohenschönhausen und im April nach Rostock. Sehr lehrreich seien diese drei Reisen gewesen, resümiert der 57-Jährige zufrieden. Sein zuvor "holzschnittartiges Bild" von den Zuständen in den Stadien habe er durch eine recht differenzierte Einschätzung ersetzen können.
Der Besuch beim BFC Dynamo veranschaulichte ihm die Vielschichtigkeit der Probleme. Zur Überraschung von Piening wird der so verrufene BFC nicht nur von einem türkischstämmigen Trainer betreut; das Team wirbt auf seinen Trikots auch noch für einen türkischen Getränkehändler. Ganz klar ein Beispiel von fortgeschrittener Integration, befand Piening. Umso mehr verwunderte es ihn, dass der Verein nach wie vor aus rechten Kreisen gesponsert wird und die Clubführung ein Transparent am Stadionzaun zuließ, auf dem in altdeutscher Schrift stand: "Euer Hass macht uns stark." Der BFC Dynamo nehme dadurch bewusst eine aggressionsgeladene Atmosphäre in Kauf, so der Integrationsbeauftragte. Das seien unzumutbare Zustände für Vereine mit Migrationshintergrund.
In Rathenow stellte Piening erstaunt fest, wie multinational brandenburgische Teams inzwischen aufgestellt sind. Ihnen fehlt schlichtweg der deutsche Nachwuchs. Beim Gastspiel von Türkiyemspor erlebte er dort aber eine zuweilen aufgeheizte Stimmung. Inwieweit diese ausländerfeindlich motiviert war, ließ sich auch für den politischen Beobachter nicht klar ausmachen. "Der Fußball bringt schon eine angespannte Atmosphäre mit sich", weiß Piening. Emotionen, die von der sportlichen Auseinandersetzung erzeugt würden, und fremdenfeindliche Ressentiments könne man nicht so leicht unterscheiden. "Es lässt sich oft nur schwer sagen, wann etwas kippt."
Erkennen musste Piening aber, dass es den Vereinen in dieser Hinsicht an jeglichem Fingerspitzengefühl fehlt. In Rathenow mussten Türkiyemspor-Spieler durch einen schmalen Menschenkorridor in die Kabinen gehen. Eine leichte Handgreiflichkeit eines Fans der Gastgeber hätte dabei beinahe zur Eskalation geführt. Mit einer breiteren Absperrung wäre dies leicht zu verhindern gewesen.
In Rostock beim Reserveteam von Bundesligisten Hansa, erlebte Piening als Begleiter von Ankaraspor eine friedliche Begegnung. "Ein Wald-und-Wiesen-Spiel", wie Piening bemerkte.
Pannenbericht geplant
Nach diesen Expeditionen will Piening der Integrationsbeauftragten des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Gül Keskinler, einen Schwachstellenbericht schreiben. Denn außer von den Vereinen würde er sich auch vom DFB mehr Einsatz gegen Rassismus wünschen. Die Geschichte mit dem Spruchband beim BFC Dynamo und dem engen Korridor in Rathenow werden in dem Report gewiss vermerkt sein.
Bedenkt man, wie markant sich zuletzt Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus in Sachsens Stadien geäußert hatten, erscheinen die Bemühungen des Integrationsbeauftragten detailversessen. In Halle waren etwa Ende März "Juden Jena"-Sprechchöre zu hören. Piening aber gibt zu bedenken: "Wenn man etwas verbessern will, darf man nicht nur auf die großen Schlachtengemälde schauen."
Doch was kann die Politik tun, außer Vereine und Verbände an ihre gesellschaftspolitischen Pflichten zu erinnern? In Zeiten knapper Kassen vermeidet es auch Realpolitiker Piening, lauthals Geld für neue soziale Projekte einzufordern. Er verweist auf bestehende, vom Senat geförderte Programme, wie den "SportJugendClub Lichtenberg", wo rechte Jugendliche ein Demokratieverständnis entwickeln sollen.
Piening warnt davor, staatliche Stellen mit Erwartungen zu überfrachten. Wie viel man auch mit geringen Mitteln auf ehrenamtliche Weise erreichen könne, hätte Türkiyemspor unter Beweis gestellt. Der Club würde in Kreuzberg mit seinem sozialen Engagement eine "Scharnierfunktion zwischen der türkischen Community und der deutschen Gesellschaft" darstellen. Vom DFB wurde der Club in diesem Jahr für seine Arbeit mit dem erstmals vergebenen Integrationspreis ausgezeichnet.
Allerdings steht das von Piening gelobte Musterbeispiel nicht zuletzt aufgrund fehlender Unterstützung durch Senats- und Bezirkspolitiker auf wackligen Beinen. Weil der Club bis heute über keine angemessene Sportanlage verfügt, wird man bei einem möglichen Aufstieg in die Regionalliga in den Ludwig-Jahn-Sportpark in Prenzlauer Berg umziehen müssen - wegen der höheren Miete eine kostspielige Angelegenheit für den Club, die zudem unkalkulierbare finanzielle Risiken in sich birgt.
Bülent Göndogdu, der Trainer vom Ligakonkurrenten Ankarapor, ist sich sicher, dass der Senat Türkiyemspor im Krisenfall hängen lassen würde: "Die würde man nicht mit Steuergeldern retten - wie Union Berlin vor wenigen Jahren. Da hieße es: selbst schuld." Piening räumt ein, dass es an einer "Anerkennungskultur" gegenüber Migrantenvereinen fehle. Und die Stadionfrage sei eine der bedeutsamsten. Hier dürfe sich nicht das Gefühl der Ungleichbehandlung manifestieren. Dafür will sich Piening einsetzen. Seine Stadionreisen hätten ihm klargemacht, wie wichtig eine solche integrationspolitische Weichenstellung wäre.
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