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Rassismus der Wohlversorgten

Die öffentliche Hand lässt es sich etwas kosten, Flüchtlinge in Sammelunterkünften unterzubringen, mit einem Arbeitsverbot zu belegen und mit Sachleistungen zu versorgen. Ein Konzept, das für andere Sozialhilfeempfänger Vorbild werden könnte

Lebenswelten – Flüchtlinge in Deutschland: Sozialpolitik als Abschreckung. Wo Menschen mit den Mitteln der Gesetzgebung zum Objekt gemacht werden, da bleibt das Bekenntnis zur Menschenwürde ein leeres Wort. Über den Alltag von Flüchtlingen vor der Verabschiedung eines neuen Zuwanderungsgesetzes

von BERND MESOVIC

Alle Menschen sind frei und an Würde und Rechten gleich geboren, so die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Kein ernst zu nehmender Politiker würde heute wagen, dies in Frage zu stellen. Wenn es jedoch darum geht, durch die Schaffung menschenwürdiger Lebensumstände die allen Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft innewohnende und unveräußerliche Würde zu sichern, fühlen sich wenige zur selbstkritischen Betrachtung des deutschen Umgangs etwa mit Flüchtlingen aufgerufen.

Wo Menschen mit den Mitteln der Gesetzgebung zum Objekt gemacht werden, da bleibt das Bekenntnis zur Menschenwürde ein leeres Wort. Politiker haben sich in den vergangenen Jahren vielfach – auch im Bundestag – dazu bekannt, durch die restriktive Ausgestaltung der Lebensumstände für Asylsuchende und andere Flüchtlinge in Deutschland andere von der Inanspruchnahme des Grundrechts auf Asyl abschrecken zu wollen. Die mit der Einführung und mehrfachen Novellierung des Asylbewerberleistungsgesetzes einhergehenden Debatten zeigen die Selbstverständlichkeit, mit der dieses Abschreckungskonzept von einer großen Mehrheit des Bundestages inzwischen vertreten wird, ohne dass hier besondere Gewissensprobleme aufträten. Generalprävention mit sozialpolitischen Mitteln könnte man das nennen: die hier auf Zeit Lebenden so schlecht zu stellen, dass andere vom Kommen abgeschreckt werden. Der Zweck heiligt die Mittel, so das Credo.

Die öffentliche Hand lässt es sich etwas kosten, Flüchtlinge in Sammelunterkünften unterzubringen, mit einem Arbeitsverbot zu belegen und mit Sachleistungen zu versorgen. Dass diese Art des Umgangs mit Flüchtlingen eine sehr teure Variante ist, leugnet niemand mehr.

Als Mittel staatlicher Abschreckungspolitik herhalten zu müssen, das bedeutet für Flüchtlinge in Deutschland, in einem umfassenden Gespinst aus Bevormundung, Entmündigung und täglicher Erniedrigung gefangen zu sein. In vielen Regionen zwangsversorgt mit Sachleistungen, abgespeist mit minderwertigen Lebensmittelpaketen wird denjenigen, die man durch ein Arbeitsverbot hindert, zu ihrem Lebensunterhalt selbst beizutragen, der Rest an Selbstbestimmung genommen: die alltägliche Sorge für sich selbst und für die Familie. In Gemeinschaftsunterkünften isoliert von ihrer Umwelt, durch die so genannte Residenzpflicht auf ein kleines Territorium beschränkt und durch das minimale Taschengeld ohnehin daran gehindert, Freundinnen, Freunde oder Verwandte zu besuchen oder am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen – so leben die meisten. Verelendung und Isolation von Flüchtlingen sind keine zwangsläufige Folge ihres Flüchtlingsschicksals. Sie sind der vom Gesetzgeber gewünschte und insbesondere durch das Asylbewerberleistungsgesetz organisierte Regelfall.

Man kann darüber streiten, wann beim gesetzgeberischen Umgang mit Flüchtlingen die Grenze zum Menschenunwürdigen überschritten wurde. Immerhin gab es Versuche, die soziale Lage von Flüchtlingen in Deutschland zu verschlechtern, schon lange vor dem Asylbewerberleistungsgesetz: Gemeinschaftsunterkünfte und langjährige Arbeitsverbote sind bereits aus den 80er-Jahren bekannt. Die Verabschiedung des Asylbewerberleistungsgesetzes im Jahre 1993 jedoch war ein entscheidender Schritt und ein sozialpolitischer Paradigmenwechsel. Hatte sich bis dahin jede Leistungskürzung gegenüber Flüchtlingen vor dem Hintergrund des Bundessozialhilfegesetzes, seinerzeit das unumstrittene einheitliche Existenzminimum, zu rechtfertigen, so brach das Parlament erstmals mit den Grundsätzen der Sozialhilfe als eines letzten einheitlichen Netzes der sozialen Sicherung. Seit dem Inkrafttreten des Asylbewerberleistungsgesetzes gibt es zweierlei Existenzminima für Deutsche und für Flüchtlinge, die sich mit unterschiedlicher Bedürftigkeit nicht begründen lassen. Mit zusammengeklaubten Argumenten wurde die Konstruktion einer „Menschenwürde mit Rabatt“ begründet. So hieß es etwa, Flüchtlinge hätten keinen Bedarf an integrativen Leistungen, da sie vor der Entscheidung über ihren Status nicht in diese Gesellschaft integriert werden sollten.

Dass das ehemals einheitliche unterste Netz der sozialen Sicherung, die Sozialhilfe, zum Zweck der Abschreckung von Flüchtlingen demontiert wurde, hat Rückwirkungen auch für die Einheimischen. Deren Existenzminimum steht ebenfalls zur Diskussion. Und der Klassenkampf von oben hat ohnehin seine Anhänger, Sachleistungen statt Geldleistungen, verordnete Abfütterung statt Selbstbestimmung, Zuteilung statt Bedarfsdeckung – für diese Elemente, die im Asylbewerberleistungsgesetz bereits umgesetzt sind, können sich nicht wenige begeistern. Sachleistungen, die Versorgung durch Suppenküche oder Kleiderkammer, entwickeln sich von der ergänzenden Hilfe für diejenigen, die durch die Maschen gefallen sind, immer mehr auch zum Inventar der Sozialhilfe. Nichts gegen Suppenküche und Kleiderkammer, aber alles gegen ihre staatliche Instrumentalisierung als Abschreckungsmittel. Denn in einer Gesellschaft, die vom Geld regiert wird, sind Sachleistungen keinesfalls Äquivalent für Geldleistungen, sondern allenfalls Surrogat. Geld sei geprägte Freiheit, hat der ehemalige Bundesverfassungsrichter Kirchhof einmal formuliert und damit ebenso illusionslos wie emphatisch den Freiheitsbegriff des Eigentums auf den Punkt gebracht. Sachleistungen enthalten demgemäß ein Element von Unfreiheit.

Wenn Bundeswirtschaftsminister Werner Müller (parteilos) beim Thema der Reform der Arbeitslosenhilfe davon sprach, dass in den Vereinigten Staaten Arbeitslose oftmals lediglich Sachleistungen erhalten, und die Idee auch für Deutschland interessant fand, dann propagierte er ein Stück Unfreiheit auch für InländerInnen: „Wer dort zusätzlich das attraktivste aller Güter, nämlich Geld, haben will, muss Arbeit finden.“ Geld nur für den, der Arbeit findet, ansonsten Sachleistungen – das zur Abschreckung von Flüchtlingen erfundene Instrumentarium wird zum Mittel des Klassenkampfes von oben. Dem einen die Dispositionsfreiheit der Kreditkarte und die universale Mobilität des Geldes – dem andern die Sachleistung und die Reduktion auf die Befriedigung der körperlichen Grundbedürfnisse. Es ist der Fluch der bösen Tat: Es mag sich mancher deutsche Arme durch die Schlechterstellung von Flüchtlingen privilegiert gefühlt haben. Indes: Auch sein Existenzminimum wird weiter zur Disposition gestellt.

Allerdings ist das Ressentiment der Armen gegen noch Ärmere vielleicht das geringere Problem. Denn dass das Asylbewerberleistungsgesetz in der Öffentlichkeit kein Thema mehr ist und die weitgehende Entrechtung von Flüchtlingen in so genannten bürgerlichen Kreisen breite Zustimmung findet, hängt wohl eher damit zusammen, dass es in ganz Europa längst einen Extremismus der Wohlanständigen und Wohlversorgten gibt, einen vorwiegend ökonomisch geprägten Rassismus, der die subtilere Ausgrenzung der gewalttätigen allemal vorzieht. Sein Rassemerkmal, so der österreichische Schriftsteller Karl Markus Gauss, ist das Geld. „Wer es hat, der ist kein Fremder, wem es abgeht, wird zum Fremden, und wäre er auch von hier.“

So greifen denn auch möglicherweise Strategien zu kurz, die die Ideologien der Ungleichheit erst dann bekämpfen, wenn sie zur materiellen Gewalt auf der Straße werden. Mit dem Asylbewerberleistungsgesetz hat der Gesetzgeber dem Ruf der Straße Bahn gebrochen. Das Gesetz ist nicht nur der sozialpolitische Sündenfall, es beschädigt die politische Kultur.

Der Autor ist Mitarbeiter von Pro Asyl

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