piwik no script img

Raser und Poser nerven am SielwalleckMehr Fußball, bitte!

Jedes Wochenende fahren Vollidioten mit fetten Karren um die Wette und verstopfen damit das Sielwalleck. Und die Polizei schaut zu

Selbst am Donnerstagabend sind Prollkarren am Sielwalleck unterwegs. Foto: Allegra Schneider

Wäre der öffentliche Raum ein Kinderspiel, dann hieße es: „Der Boden ist Lava“. Wäre der Asphalt tatsächlich Lava, überbrückt nur von Zebrastreifen und Ampelübergängen: Würde sich irgendetwas an der Art ändern, wie sich Fußgänger*innen durch die Stadt bewegen? Sie haben ein Minimum an öffentlichem Raum, müssen ewig an Ampeln warten und sich über enge Gehwege quetschen, während Autos mehrspurige Asphaltpisten haben, um die Ozonwerte in die Höhe zu treiben.

Noch immer ist Raumaufteilung in Städten unserer Zeit ganz klar auf das Auto ausgelegt – kein Ort in Bremen verdeutlicht das so sehr wie die Kreuzung Sielwall­eck im Viertel. Die Aushandlung städtischen Raums ist dort bereits häufig Gegenstand von Konflikten gewesen.

In lauen Sommernächten wiederholte sich am Eck bis vor ein paar Jahren öfter ein betrunken-anarchisches Ritual: Nachdem Leute mit ein paar Bier am Osterdeich gesessen hatten und die Mücken anfingen zu nerven, gingen sie irgendwann in Richtung Viertel auf der Suche nach mehr Bier, Ein-Euro-Hotdogs und Kneipen. Praktischerweise gibt es davon reichlich am Sielwalleck. Auf allen Ecken der Kreuzung cornerte dann eng gedrängt Partyvolk – fraß, trank und feierte.

Und vielleicht war es gar kein bewusster Kampf um öffentlichen Raum, aber bis vor ein paar Jahren gab es spätabends regelmäßig öffentliche Fußballspiele am Eck. Irgendwann schoss jemand einen Fußball quer über die Straße, die Gegenseite schoss zurück und schon stürmte die auf dem Gehweg versammelte Mannschaft die Kreuzung, um sich in Zweikämpfen zu messen, Zielschießen auf offene Fenster zu veranstalten, den Ball hochzuhalten, kurzum: den Platz in Beschlag zu nehmen.

Fußball verboten

Die Polizei fand das weniger witzig: Nachdem es bei den friedlichen Fußballspielen immer wieder zu Verkehrsbehinderungen kam, griff sie zu rigorosen Mitteln: den Ball einkassieren. Das war tatsächlich ein ums andere Mal dann doch Anlass für regelrechte Ausschreitungen mit Verletzten auf beiden Seiten sowie Festnahmen und Anzeigen wegen Landfriedensbruchs. Dabei flogen nicht selten auch Flaschen auf Polizist*innen.

Unvergessen das Zitat des damaligen Polizeipräsidenten und heutigen BKA-Chefs Holger Münch: „Wenn wir das Fußballspiel nicht unterbinden, folgen Lagerfeuer und dann Vandalismus.“ Dazu gab es viel CDU-Aufregung über die vermeintlich linken und Randale-Fußballspieler*innen – obwohl die in Folge der Krawalle Festgenommenen eben nicht aus politischen Zusammenhängen bekannt waren.

Der Nissan mit den goldenen Radkappen driftet wie im Actionfilm am prall gefüllten Bürgersteig vorbei

Die Polizei begann, präventiv zu patrouillieren – zu besonders bedrohlichen Zeiten postierte sie gar ein paar Mannschaftswagen direkt in der Nähe der Kreuzung. Die Botschaft war klar: Fußballspielen verboten, der Raum gehört den Autos und Straßenbahnen. Etwaige Verstöße wurden schnell und unverzüglich geahndet.

Wer heute samstagabends am Sielwalleck mit einem Bier in der Hand cornert, kann das Ergebnis dieser restriktiven Exekutive bewundern: Fette Karren veranstalten Wettrennen. Nissans mit goldenen Radkappen driften mit quietschenden Reifen um die Ecke, aufgemotzte SUVs fahren im sogenannten Kavaliersstart an, um inmitten von Menschenmengen auf 80 zu beschleunigen. Ein Fahrradfahrer, der aus Richtung Osterdeich noch gerade bei Gelb rübergehuscht ist, wird fast von einem aggressiv anfahrenden CL-500 umgenietet. Die Reaktion des Mercedes-Fahrers, der fast einen Menschen totgefahren hätte: Er betätigt ausdauernd seine Hupe und pöbelt. Der Nissan mit den goldenen Radkappen, der mehrfach über die Kreuzung brettert, driftet wie im Actionfilm nur einen Meter am prall gefüllten Bürgersteig vorbei. Nicht auszudenken, was passiert, wenn mal jemand inmitten einer solchen Aktion auf die Straße torkelt oder der Fahrer beim Driften die Kontrolle über das schlingernde Auto verliert.

Prollkarren bleiben in Bremen unbehelligt

Die Bremer Polizei, die auch an diesem Wochenende wieder in der Nähe postiert ist, scheinen solche Dinge kaum zu interessieren. Dabei fühlen sich nach Angaben des Umweltbundesamtes 50 Prozent der Bevölkerung von Verkehrslärm gestört. Das sei auch in Bremen so, sagt Ralph Saxe, verkehrspolitischer Sprecher der mitregierenden Grünen. In den letzten Wochen seien mehrfach Personen mit Beschwerden über rücksichtslose Auto- und Motorradfahrer auf ihn zugekommen, man müsse sich dringend ordnungspolitisch darum kümmern, zumal sich die Probleme nicht auf das Eck beschränkten.

Die Innenbehörde weiß allerdings relativ wenig von Posern und Rasern. Für eine Bestandsaufnahme erbittet sie mehr Zeit zur Beantwortung. Generell sei Auto-Posertum in Städten wie Hamburg und Berlin ein größeres Problem als hier. „Aber wir nehmen Beschwerden wahr und die Polizei hat das auch auf dem Schirm“, sagt Nesrin Kök-Evcil, eine Sprecherin der Innenbehörde. Ob es ein zunehmendes Problem sei, könne man gegenwärtig nicht sagen. Die Anfrage bei der Polizei blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

Wie es anders ginge, zeigt Hamburgs Polizei, die auf Nachfrage stolz verkündet, dass ihre Kontrollgruppe „Auto-Poser“ ein Erfolgsmodell sei. Es gebe viel Zuspruch von der Bevölkerung, zudem sei die Verkehrslage sicherer und es würden illegale Rennen verhindert. Seit September 2017 kontrollierten neun für Kfz-Technik fortgebildete Beamt*innen elektrisch gesteuerte Auspuffklappen und ähnliche Dinge bei 1.761 Fahrzeugen. Sie beschlagnahmten 204 Prollkarren, erteilten 89 Verkehrsstrafanzeigen, führten 467 Mängelverfahren sowie 205 Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen unzulässigen Lärms. 35 Fahrer standen unter Drogeneinfluss. Nicht schlecht für neun Monate.

In Bremen bleiben die getunten Karren Woche für Woche unbehelligt. Vielleicht wird es mal wieder Zeit für ein Fußballspiel – schließlich sind die Straßen ja nicht aus Lava.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!