Rapper Muhabbet: "Die Kids haben es in ihrer Hand"

Mit orientalischem R&B wurde Muhabbet zum Star der deutschtürkischen Jugend. Ein Gespräch über Aggro-Rap, Rütli-Schüler und das Vorbild-Sein.

Murat Ersen aka Muhabbet Bild: Sony BMG/Cem Günes

Herr Ersen, was verstehen Sie unter "Integration"?

Muhabbet: Ich finde, das ist einfach ein hässliches Wort. Wir sind nun mal hier: hier geboren, hier aufgewachsen. Ich will hier bleiben und meine Kinder hier großziehen. Trotzdem besitze ich keinen deutschen Pass.

Warum nicht?

Ich müsste ihn beantragen. Das verstehe ich nicht. Wenn man hier geboren wird, dann muss man einen kriegen, finde ich. Aber irgendwann hole ich das nach.

Aus Köln-Böcklemünd stammt der 23-jährige Musiker Murat Ersen, der sich Muhabbet als Künstlernamen gewählt hat: Das türkische Wort bedeutet so viel wie "angeregtes, nettes Gespräch". Mit seinem sanftmütigem Schmusepop präsentiert sich der Sänger als Gegenmodell zu unflätigen Proll-Rappern wie Bushido und Sido. Unter deutschtürkischen Jugendlichen ist er ein Idol, seinen Stil nennt er RnBesk: eine Kreuzung aus RnB und Hiphop-Beats mit den Gesangsmustern und den Melodien der türkischen Arabesk-Musik, deren blumige Bildersprache er in seine deutschen Texte einfließen lässt. Vor wenigen Tagen ist sein neues Album "In deinen Straßen" (Plak Music) erschienen.

Viele würden Sie für ein Musterbeispiel gelungener Integration halten, denn Sie zeigen ungewöhnlich viel Engagement: für SOS-Kinderdörfer, die Unicef oder die "Schau hin!"-Kampagne der Bundesregierung. Warum machen Sie das?

Mir sind solche Engagements sehr wichtig - auch wegen mancher Ablehnung, die ich in den letzten 23 Jahren immer wieder erfahre habe.

Ablehnung? Sie genießen doch ungemeinen Erfolg!

Auch im Musikbusiness gibt es immer wieder Momente, wo mir deutlich gemacht wird, dass ich Türke bin und als Ausländer gesehen werde. Da gibt es Radiosender, die sagen: Selbst wenn Muhabbet auf Platz eins wäre - wir würden ihn nicht spielen.

Warum nicht? Weil Ihr Gesangsstil zu türkisch klingt?

Ja, es heißt dann: Wir spielen keine Türken. Also, das tut schon weh. Wenn jemandem meine Musik nicht gefällt, dann akzeptiere ich das. Aber nur aufgrund meiner Herkunft und meines Hintergrundes abgelehnt zu werden - das ist einfach böse.

Ihr Erfolg beruht darauf, dass Sie orientalischen Gesang mit der deutschen Sprache verbinden. Wie kamen Sie dazu?

Ich habe meine Tracks ja zunächst nur ins Internet gestellt und geschaut, ob da ein Feedback kommt. Ich erinnere mich noch genau, wie da die ersten drei E-Mails von Fans kamen, die meinten: hey, deine Musik gefällt uns. Aber bei den ersten Schritten ins kommerzielle Musikbusiness, ins Radio und in die Charts, da habe ich schon starke Vorbehalte gespürt. Man muss sich einfach klar machen, dass wir Deutschtürken in dieser Medienwelt einfach nicht existent sind.

Haben Sie auch Fans ohne Migrationshintergrund?

Der größte Teil sind türkische Mädels: Die nehmen dann ihre arabischen oder albanischen Freundinnen mit zum Konzert, und hören dann auf dem Schulhof laut auf ihrem Handy Muhabbet - und dann kommt halt die Janine vorbei und fragt, wer ist denn das? So zieht das gerade seine Kreise. Ich bin natürlich erst in meiner Community groß geworden. Aber es schwappt langsam über.

Für viele deutsch-türkische Jugendliche sind Sie jetzt ein Vorbild. Merken Sie das?

Ja. Aber wenn die Kids kommen und zu mir sagen, ich sei ihr Vorbild, dann frage ich zurück: warum? Viele sagen dann: Ich will auch auf die Bühne, Musik machen und so. Ich sage dann immer: Ein Vorbild kann man auch auf andere Weise sein. Indem man einer Frau in der U-Bahn hilft, ihren Kinderwagen die Treppe herunterzutragen, zum Beispiel. Es geht nicht nur um Glamour und Glanz, es geht um viel mehr: die Schule, den Abschluss, um Disziplin und darum, deinen eigenen inneren Schweinehund zu überwinden.

Rapper wie Bushido und Sido von Aggro Berlin zeigen der Gesellschaft lieber den Mittelfinger und provozieren mit frauenfeindlichen und gewaltverherrlichenden Sprüchen. Halten Sie diese Kollegen für falsche Vorbilder?

Ich kenne die Jungs persönlich und weiß, dass da viel Show dabei ist. Sie mögen zwar 37.000 Tattoos am Körper haben, aber das sind ganz entspannte, coole Jungs. Die sitzen nicht da und sagen sich: Ich schreib jetzt einen Text, damit sich alle gegenseitig abstechen. Und wenn man ihre Alben hört und auf die Texte achtet, in denen nicht gerade geflucht wird: Da steckt auch viel Herzblut drin. Natürlich finde ich es problematisch, wenn die Kids das zu ernst nehmen und zum Leitfaden in ihrem Leben machen. Aber das gilt auch für meine Fans: Man sollte sich immer einen gewissen Abstand zum Künstler bewahren.

Bushido und Sido rappen über "Nutten" und Gewalt und stilisieren sich zu Ghetto-Helden. Sie meinen nicht, dass das schlechte Vorbilder sind?

Ich möchte darüber kein Urteil fällen. Natürlich sage ich den Kids, dass dieser Gedanke, "wir werden hier in Deutschland überall unterdrückt und haben keine gleichen Chancen", einem nicht weiterhilft. Die Kids müssen begreifen, dass sie es selbst in der Hand haben. Aber ein Künstler hat da nur wenig Einfluss.

Meinen sie nicht, dass diese Aggro-Rapper eine negative Wirkung haben, weil sie das Stereotyp vom stets aggressiven Türken noch verstärken?

Sie spiegeln einfach eine Facette der Realität und der Welt, in der wir leben. Ich zeige eben eine andere Seite. Aber die Medien haben, glaube ich, das Gefühl, dass das eine besser ankommt. Sonst würde so ein Bushido ja nicht so gepuscht werden bis ans Limit.

Sind die Medien zu sehr auf Negatives fixiert?

Ich habe mal den Satz gelesen: Wie will man die Jugend denn noch mit Optimismus erreichen? Da habe ich mich gefragt: Was ist denn das für ein Satz? Menschen sind doch geschaffen, um Gefühle zu haben und Liebe zu empfinden. Und auf meinen Autogrammstunden treffe ich viele Menschen, die positiv gestimmt sind. Deshalb würde ich nicht sagen, dass das andere besser ankommt. Das ist höchstens so ein Film, den die Medien schieben.

Die meisten Eltern hätten Sie dafür als Schwiegersohn wohl lieber als so einen Bushido.

Kommt auf die Eltern an.

Empfinden Sie Ihr Schwiegersohn-Image als Last?

Ich weiß nicht, ob ich jetzt wirklich so ein Günther-Jauch-Typ bin, den alle so nett finden. Weil, ich bin ja Türke. Es gibt bestimmt viele deutsche Schwiegereltern, die deshalb sagen würden: Der Muhabbet, der kommt mir nicht ins Haus.

Wie sind Sie selbst aufgewachsen? Behütet?

Ich hatte jedenfalls noch nie ein Messer in der Hand und bin damit auf jemanden losgegangen. Aber ich wurde ständig von der Polizei abgecheckt - das ist die andere Seite. Ich war einer von wenigen Ausländern in der Klasse und hatte andere Schwierigkeiten: Mit eingewanderten Eltern, die kaum Deutsch sprechen und so.

Sie sind zu Gast an der Rütlischule gewesen. Wie war das?

Ich wollte mir unbedingt selbst ein Bild machen. Und es war nicht ansatzweise so, wie es im Fernsehen geschildert worden ist: Das ist eine ganz normale Hauptschule. Ich kann den Kids dort natürlich auch nicht viel sagen, außer: Hey, es liegt an euch. Und wenn ihr ohne Ranzen und Schreibblock in die Schule kommt, dann erzählt mir nicht, dass euer Lehrer ein Nazi ist. Es gibt einfach Kinder, die keinen Bock auf die Schule haben: Das ist auch eine Frage der Erziehung. Aber man kann es auch auf einer Hauptschule schaffen, einen Abschluss und eine vernünftige Ausbildung zu machen. Ich suche deshalb immer das Gespräch mit den Kids. Neulich ist mir nach dem Einkaufen ein Mädel bis an die Tür gefolgt und hat mich gefragt: Soll ich zurück in die Türkei? Die Bildung hier in Deutschland macht mich wahnsinnig. Da habe ich sie gefragt: Was willst du denn in der Türkei? Und nach einer halben Stunde Gespräch hatte ich sie so weit überzeugt, dass sie ihren Realschulabschluss packen kann.

Und da sagen Sie, Sie hätten keinen Einfluss?!

Auf Einzelne schon. Aber ich kann mich nicht vor die Rütlischule stellen und sagen: Ihr werdet jetzt Anwälte und Ärzte oder so. Das ist auch nicht meine Mission.

Lernt man besser Deutsch, wenn man wie Sie auf eine Schule geht, auf der es nur wenige türkische Mitschüler gibt?

Ich glaube, das spielt keine Rolle. Ich kenne auch Kids, die den ganzen Tag in der Moschee abhängen und sich nur mit türkischen Freunden umgeben, und die trotzdem astrein Deutsch sprechen. Ich hatte ein persönliches Interesse an der Sprache.

Sind Sie religiös? Gehen Sie in die Moschee oder fasten Sie an Ramadan?

Es gibt ein paar Sachen, die mir von Kindesbeinen an mitgegeben wurden - das Reinigungsritual etwa, wie man sich da wäscht und sauber macht, wenn man in die Moschee geht oder nach dem Geschlechtsverkehr. Sauberkeit und Glaube gehören im Islam ja zusammen. Und was im Koran alles vorgeschrieben wird, das ist alles sehr auf den Menschen ausgerichtet. Fünfmal am Tag beten etwa - das ist doch wie Yoga. Also, bis zu einem gewissen Grad bin ich schon religiös, ja. Aber ich würde mich da nicht festlegen: Ich bin auch am Buddhismus oder am Christentum interessiert, und was es da sonst noch alles so gibt.

Sie sprechen in Ihren Songs vom "Herrn", nicht von Gott oder von Allah. Warum?

Es gibt in meinen Augen nur einen Gott - und der ist identisch mit der inneren Vernunft, dem eigenen Gewissen. Wer kleine Kinder entführt oder Menschen tötet, der ist für mich einfach gottlos. Gewissenlos.

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