: Rambos Egotrip
■ Eine therapeutische Reise durch die USA im Greyhound. Eine Buchbesprechung
Man muss sich als LeserIn auf den Egotrip, den der Lonely Rider Altmann im Greyhound von New York bis Big Sur an der Westküste unternimmt, schon einlassen. Sonst steigt man schnell aus dem Buch aus. Seine Reise durch die Staaten begreift der Ich-Erzähler selbst als „Therapie“. Der vielgereiste und hochdekorierte Auslandsreporter, unter den „Begegnungen mit den Inhabern vakuumverpackter Kleinhirne“ made in USA arg ächzend, setzt sein europäisches Großhirn dagegen: Gleich eingangs, auf den Seiten 15 bis 25, betreibt er aggressives Namedropping „Max Frisch fragte einst“, „Bert Brecht fällt mir ein“, „Norman Mailer notierte einmal begeistert“, „stoße ich auf eine deutsch-englische Ausgabe mit den Gedichten von Paul Celan“, sieht einen „Mann, den Albert Camus einen Helden des Absurden genannt hätte“. Altmann ist belesen.
Armer Altmann! Der Greyhoundtrip wird zum Horrortrip durch das „Monstrositätenkabinett“ Amerika. Die Städte, zum Kotzen! Zum Beispiel Atlanta: „ein Batzen Scheiße ins Gesicht empfindsamerer Gemüter“, oder „Las Vegas und ich, wir scheitern aneinander.“ Nicht nur Las Vegas und Altmann, ganz Amerika und Altmann scheitern aneinander. Denn Altmann ist „dünn“ und Amerika eine XXL-Gesellschaft, „in dem laut Statistik über eine Million Speckschwarten zu viel existieren“. Was sich beim ersten Mal noch lustig liest – im Flugzeug Richtung USA landet „mein Gesicht im Hintern eines Dicken“ –, hängt einem beim letzten Mal – in einem Las-Vegas-Hotel trifft er auf „hundert ballondicke Kugelmenschen“ – zum Hals heraus.
Fast ein Wunder, dass dennoch ein paar interessante Wesen seinen Weg kreuzen: die (unerreichbare) sexy Dolly am Greyhound-Schalter in Williamsburg; die schöne Vera mit der Bibel, eine flüchtige Busbekanntschaft; die fröhliche Hure in Nashville, die 140 Dollar für das „full menu“ verlangt. Oder der Amish-Mennonit im Busterminal von Memphis, die Voodoo-Priesterin in New Orleans und der leidenschaftliche Fernseh-Evangelist in Baton Rouge.
Altmann ist ein verbalradikaler Rambo. Einmal verspürt er beispielsweise das Bedürfnis, mit einer „handlichen Kettensäge“ seinem Busnachbarn, einem Walkman-Besitzer, und dessen „Lieblingssänger die Stimmbänder durchzutrennen“. Immerhin: Altmann quält uns nirgendwo mit drögen „Geländebeschreibungen“. Günter Ermlich ‚/B‘Andreas Altmann: „Im Land der Freien. Mit dem Greyhound durch Amerika“. Rowohlt Taschenbuch Verlag. Hamburg 1999, 188 Seiten, 12,90 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen