piwik no script img

Ralph Giordanos Bücher jetzt öffentlichDie Bibliothek eines Mahners

Seit heute zeigt die KZ-Gedenkstätte Neuengamme die Bücher des in Hamburg geborenen Publizisten und Holocaust-Überlebenden Ralph Giordano.

Trügerisches Idyll: Aus dem Fenster der Giordano-Bibliothek blickt man auf das Haus des einstigen Lagerkommandanten Max Pauly Foto: Miguel Ferraz

Hamburg taz | Wenn am heutigen Freitag die Ralph-Giordano-Bibliothek in der früheren SS-Waffenmeisterei der KZ-Gedenkstätte Neuengamme eröffnet wird, ist das ein so erfreulicher wie ambivalenter Vorgang. Erfreulich, weil endlich ein Ort gefunden ist, an dem die 3.300 Bücher des 2014 verstorbenen Hamburger Journalisten öffentlich zugänglich sein werden. Ambivalent, weil die Bücher des in Hamburg-Barmbek von der Gestapo Gefolterten, Überlebenden und zeitlebens Mahnenden an einem Ort der Täter stehen.

Allerdings steht das Gebäude nicht unkommentiert auf dem Lagergelände: Die einstigen SS-Garagen, in deren Anbau besagte Waffenmeisterei lag, zeigen eine Dauerausstellung über die Lager-SS – ein exzellent präsentierter Counterpart zur Hauptausstellung in einer einstigen Häftlingsunterkunft.

Der Ort ist also erklärt und kommentiert. Und um den Tätern auch symbolisch nicht das letzte Wort zu überlassen, ist es ein kluger Widerhaken, genau hier Bücher von Opfern aufzustellen. Und es sind nicht irgendwelche Bücher: Sehr systematisch kann man anhand von Giordanos Bibliothek dessen Recherchen zum Judentum, zum Holocaust und dem milden Umgang der Deutschen mit den NS-Tätern nach 1945 nachzeichnen, von Giordano kritisiert in seinem Buch „Die zweite Schuld“.

Viele Bücher gelten auch Giordanos Lebensthema „Israel“ samt Nahost-Konflikt; überraschend viele dem Armenier-Genozid, lange vor der großen öffentlichen Debatte. Seine – durchaus umstrittene – Kritik an Islam und Islamismus sowie seinen Protest gegen den Bau der großen Kölner Moschee spiegeln Bücher zum Islam.

Mehr als ein auratischer Erinnerungsort

Wenig überraschend auch die Bände über Krankheit und Trauer, sind doch zwei seiner drei Ehefrauen an Krebs gestorben. Verwundert ist man, in den Regalen des 40-Quadratmeter-Raums größere Bestände über Eisenbahnen und Tiere vorzufinden, und man spürt: Hier scheint auch der Privatmensch Giordano auf – mit seinen teils randständigen Interessen, aber auch mit seinem durch die Nazis „eingeprügelten“ Jüdischsein, wie er selbst es einmal formulierte. Seit 1945 lebte er, so sah er es, aus der Verpflichtung des Überlebenden heraus.

Symbol hierfür mag ein siebenarmiger jüdischer Leuchter auf einem der Regale sein – ein Versuch, Privatsphäre in den sachlich kargen Raum zu bringen. Zudem gibt es natürlich ein gerahmtes Foto Giordanos als Urheber dieser Bibliothek.

Trotzdem, eine eindimensional auratische Ehrfurchtsstätte ist dies nicht geworden: Gerade will man sich beim Blick aus dem Fenster an einem niedlichen weißen Holzhäuschen erfreuen, da sagt Gedenkstätten-Bibliothekarin Carola Kieras: „Das war das Haus des für seine Brutalität bekannten Lagerkommandanten Max Pauly. Im Sommer lud er seine fünf Kinder dorthin ein, die Gefangenen in Sichtweite.“ Vorbei ist es mit dem vermeintlichen Idyll, freigelegt die darunter liegende Schicht aus Brutalität und Leiden.

Verfolgungstrauma ein Leben lang

Warum aber kommt der Nachlass Giordanos, der nie in Neuengamme inhaftiert war, ausgerechnet hierher? „Als wir angefragt wurden, haben wir sofort ja gesagt“, sagt Gedenkstätten-Leiter Detlef Garbe. „Andere Institutionen hatten abgesagt, und es kann ja nicht sein, dass diese Bücher keinen Ort finden.“ Auch Bibliothekarin Kieras sagt: „Es ist unsere Pflicht, uns mit den Opfern zu befassen – zumal Neuengamme inzwischen nicht mehr nur für einstige Häftlinge zuständig ist, sondern auch für andere NS-Verfolgte in Hamburg.“

Hierfür war Giordano, der sich Anfang 1945 samt Familie in einem Keller versteckte, damit seine jüdische Mutter nicht deportiert wurde, wichtige Symbolfigur: Ein Leben lang hat Giordano, dessen autobiografischer Roman „Die Bertinis“ ihn 1982 berühmt machte, unter dem Verfolgungstrauma gelitten.

Entschieden hat er bezeugt, dass die Deutschen den Nationalsozialismus unter Hitler verinnerlicht hatten. „Die Verschmelzung war bis auf Reste total“, hat er einmal gesagt. Und empört registriert, wie milde die Deutschen später die Täter straften. Und nach den fremdenfeindlichen Anschlägen Anfang der 1990er-Jahre schrieb er einen Brief an Helmut Kohl und warf dem Staat eine verheerende Schwäche gegenüber rechtsextremen Gewalttätern vor.

Bibliothekarin ist Enkelin eines Widerstandskämpfers

Bibliothekarin Kieras hat noch eine weitere, sehr persönliche Motivation, sich für Giordanos Nachlass einzusetzen: Sie ist Enkelin des Widerstandskämpfers Georg Kieras, der im Vorstand der damals illegalen SPD und von 1935 bis 1938 inhaftiert war. Später wurde er als Soldat in die „Strafdivision 999“ für sehr gefährliche Kriegseinsätze gesteckt. Kieras überlebte. Nun engagiert sich seine Enkelin, um der NS-Opfer zu gedenken.

Wenn es ums Erinnern geht, besteht auch eine direkte Verbindung zwischen Giordano und Neuengamme: 2004 habe sich Giordano für die Erinnerung an das Kriegsgefangenenlager Sandbostel bei Bremervörde eingesetzt, sagt Garbe. „Dorthin hat die SS, als sie Neuengamme im April 1945 räumte, um Spuren zu beseitigen, 9.000 kranke Häftlinge des KZ Neuengamme und seiner Außenlager gebracht. 3.000 von ihnen starben innerhalb von nur drei Wochen“, sagt der Gedenkstätten-Leiter. „Da die Sandbosteler von einem Gedenkort 2004 nicht viel hören wollten, hat sich Gior­dano mit anderen Überlebenden engagiert, um dieser Forderung Gewicht zu verleihen.“

Konkrete Berührungspunkte existieren auch zwischen Gior­dano und dem einstigen Neuengammer Häftling Fritz Bringmann, dessen Bücher – derzeit gelagert in der regulären Neuengammer Bibliothek – bald mit in den Giordano-Raum ziehen sollen. Bringmann hat vor allem Bücher zur politischen Theorie des Nationalsozialismus und zu den NS-belasteten Schleswig-Holsteiner Nachkriegsregierungen gesammelt. Außerdem waren beide in der KPD.

Allerdings, sagt Garbe, „wären sich Bringmann und Giordano sicher nicht immer einig, wenn sie jetzt hier am Tisch säßen“. Denn während Bringmann stets Mitglied der kommunistischen Partei blieb, schied Giordano 1957 aus und verfasste das Buch „Die Partei hat immer recht“, in dem er sich mit der zermürbenden Bürokratie von KPD und SED auseinandersetzt.

Lebensgefährtin will Giordano umbetten

Trotzdem, sagt Garbe, „wären beide sicher einverstanden, ihre Bücher an diesem Ort zu sehen“. Zumal beide vehement für Aufarbeitung und Gedenken kämpften – Bringmann als Generalsekretär der „Amicale Internationale“ für die Errichtung der Gedenkstätte Neuengamme, das nach dem Krieg lange als Gefängnis genutzt wurde, und Giordano als mahnender Journalist und Autor.

Bleibt die Frage, warum Gior­danos Bücher in Hamburg gezeigt werden und nicht in Köln, wo er die längste Zeit lebte. Tatsächlich hat er dies nicht selbst verfügt, sondern seine Bücher einer Erbengemeinschaft vermacht. Aber seine letzte Lebensgefährtin Marina Jakob nahm das nicht hin. Sie sorgte dafür, dass ihr nicht nur die Hälfte von Giordanos Büchern gehörte, sondern alle. Und da mehrere Hamburger Institutionen den Nachlass aus Kapazitätsgründen nicht nehmen wollten, hat sie in Neuengamme angefragt.

Zudem möchte sie Giordano, derzeit auf dem Kölner Südfriedhof begraben, umbetten und auf Hamburgs jüdischem Friedhof bestatten lassen. „Giordano hat dem Notar zwar mündlich mitgeteilt, dass er in Köln bestattet werden wolle“, sagt Jakob, „aber das hat er gesagt, damit die Beerdigungsgäste es leichter hätten. Im Herzen ist er Hamburger geblieben.“

Außerdem beträgt die Liegezeit auf dem Kölner Friedhof – wie allgemein üblich – 30 Jahre, und Marina Jakob vermutet, dass ihr Mit-Erbe das Grab dann auflösen wird. „Auf einem jüdischen Friedhof“, sagt sie, „bestünde Giordanos Grab auf ewig.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Mit Interesse & großem Respekt gelesen.

    Passt scho.

     

    (Mit Bedauern aber auch - daß dem schmunzelnd geschätzen

    Wutkopp -;) - das hier angerissene nachträgliche femalegetunte -

    Gezergel um Person&Nachlaß - nicht erspart geblieben ist!

    Aber warum sollte es ihm besser gehen als z.B.

    Tucho. Obwohl der ja mal so treffend formuliert hat.

    "Es kann ja nicht sein. Daß Tante Minchen über den

    Nachlaß von Goethe befindet!"

    &

    Andererseits aber - wurde er - ob dieser etwas flotten späten Liasion -

    Auch a weng kritisch "beäugt"!)

     

    Anyway. Danke.