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Ralf Leonhard über die Angst vor Neuwahlen in WienÖsterreich sagt Krise ab

Seit Tagen wird über vorgezogene Neuwahlen gemunkelt, weil die Koalitionsparteien SPÖ und ÖVP nicht mehr miteinander können. Die Schnittmenge ihrer politischen Vorstellungen ist so gering, dass kaum ein Auftritt eines Kabinettsmitglieds ohne Seitenhiebe gegen den Koali­tions­partner abläuft. Kanzler und Vize­kanzler gleichen einem Ehepaar, das sich nur wegen der gemeinsamen Kinder nicht trennen will. Und vor Neuwahlen haben beide Angst, weil seit mehr als einem Jahr die rechte FPÖ sämtliche Umfragen anführt.

SPÖ und ÖVP hätten gegenwärtig keine Mehrheit. Bei Neuwahlen könnte FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache zum lachenden Dritten werden. Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) hat jetzt die Initiative ergriffen und mit der impliziten Androhung von Neuwahlen die ÖVP an den Verhandlungstisch gezwungen. Kern, der noch kein Jahr im Amt ist, hat gute persönliche Werte und hofft, die Partei mitziehen zu können und die FPÖ in einem „Kanzlerduell“ zu überholen.

Die ÖVP grundelt bei 20 Prozent und hat keine realistischen Aussichten auf den ersten Platz. Dass Kern ein gemeinsames Programm vorschlug, das die Unterschriften aller Regierungsmitglieder tragen soll und bis zum Wahltermin Herbst 2018 umgesetzt werden müsse, sahen viele Kommentatoren als Manöver. Die ÖVP solle so unter Druck gesetzt werden, dass sie die Koalition platzen lässt.

Das Ergebnis der Verhandlungen spricht eine andere Sprache. Denn die ÖVP mit ihrem Sicherheitspaket und ihren unternehmerfreundlichen Wirtschaftsplänen hat sich durchgesetzt. Obwohl die sozialdemokratische Handschrift mit mehr sozialer Gerechtigkeit und weniger Überwachungsstaat kaum sichtbar ist, zeigen sich SPÖ-Leute zufrieden. Ob das neue Programm aber tragfähig genug ist, die spalterischen Kräfte in beiden Parteien in Schach zu halten, ist zweifelhaft. Vor allem in der ÖVP sind Sprengmeister am Werk, die eine Koalition mit der FPÖ anstreben.

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