piwik no script img

Rainer Schüttler in Wimbledon-ViertelfinaleWeiße Wolke der Hoffnung

Rainer Schüttler steht völlig unvermutet im Viertelfinale von Wimbledon. Jetzt träumt der 32-Jährige Tennisprofi von der Olympiateilnahme.

Rainer Schüttler freut sich still über den Einzug ins Viertelfinale. Bild: Reuters

WIMBLEDON taz Gleich hinter dem schmiedeeisernen Tor mit den berühmten Buchstaben AELTC geht es linker Hand zu einem Refugium, das fast so exklusiv ist wie der Club selbst. Es heißt "Last 8 Club". Zutritt haben alle, die beim berühmtesten Tennisturnier der Welt das Viertelfinale im Einzel oder das Halbfinale im Doppel erreichen; die Mitgliedschaft gilt auf Lebenszeit. Es werden Erfrischungen, Tee und Gebäck serviert, man kann es sich gut gehen lassen und von alten Zeiten schwärmen. "Irgendwann", sagt Rainer Schüttler, "werde ich dahin gehen und stolz auf das sein, was ich geleistet habe. Wenn ich 50 oder 60 bin, dann kann ich kommen und kucken, wie die Jungen spielen."

Aber im Moment geht es erst noch mal darum, wie die Älteren spielen. Als das Turnier begann, hatte Schüttler zwar das Gefühl, er sei ganz gut in Form, aber angesichts einer deprimierenden Serie von Niederlagen bei Grand-Slam-Turnieren seit 2005 wäre er zufrieden gewesen, wenn ihm einer einen Sieg in der ersten Runde garantiert hätte. Aus diesem einen sind vier geworden, so viele wie nie mehr seit seinem größten Erfolg, dem Einzug ins Finale bei den Australian Open 2003. So, als habe es die ganze Zeit dazwischen, den Abstieg in die Niederungen der Weltrangliste nie gegeben, steht er auf einmal wieder mitten im Geschehen und spielt fast so gut wie anno 2003.

Wie ist das möglich? "Irgendwann musste das einfach passieren", sagt er. Seit September vergangenen Jahres sei er endlich wieder gesund, könne so intensiv wie gewohnt arbeiten, und im Training habe er schon länger das Gefühl gehabt, das Niveau früherer Tage wieder zu erreichen. Was fehlte, war die Umsetzung im Spiel. "Sicher kannst du trainieren, wenn du in der ersten Runde verloren hast, aber die Matchpraxis ist durch nichts zu ersetzen." So wie eine Niederlage oft zur nächsten führt, haben Siege einen ähnlich zwingenden Effekt. Hirn und Hände erinnern sich; so war das also, das muss ich tun. Nach dem Sieg gegen Tipsarevic genoss er auf dem Rasen liegend ein paar kostbare Momente purer Zufriedenheit, mit Blick auf ein einziges kleines Wölkchen am blauen Himmel. Und die Aussichten sind weiterhin nicht schlecht. Statt sich, wie ursprünglich geplant, in dieser Woche auf den Weg zum Challengerturnier nach Córdoba in Spanien machen zu müssen - für manche ATP-Turniere war seine Weltranglisten-Position in den vergangenen zwei Jahren zu schlecht -, sieht er nun mit Spannung dem Auftritt im Viertelfinale entgegen.

Und da hätte es ihn kaum besser treffen können, wie der Blick auf die anderen drei Begegnungen zeigt. Federer spielt gegen Ancic, Nadal gegen Murray und Safin gegen Lopez. Schüttlers Gegner aber ist der kleine Franzose Arnaud Clément.

Bei dieser Konstellation haben die Götter des Tennis offensichtlich einen milden Moment erwischt. Schüttler und Clément sind die Ältesten, die übrig geblieben sind (32 und 30), sie sind die mit der niedrigsten Weltranglisten-Position (97 und 117). Schüttler spielte im Finale der Australian Open 2003 und verlor gegen Andre Agassi, Clément hatte das Gleiche zwei Jahre zuvor erlebt. In der ersten Runde der Australian Open dieses Jahres gewann der ehemalige deutsche Finalist gegen den ehemaligen aus Frankreich; es war Schüttlers vierter Sieg im fünften Spiel gegen Clément und der erste nach zweieinhalb Jahren bei einem Grand-Slam-Turnier. Jeder, der im Januar in Melbourne behauptet hätte, die beiden würden sich ein halbes Jahr später im Viertelfinale von Wimbledon wieder sehen, der wäre als Fantast bezeichnet worden. Als Schüttler damals erzählte, sein Ziel für dieses Jahr sei es, sich für die Olympia zu qualifizieren, da fragte man sich: Bitte, wie soll das denn gehen? Doch auf einmal steht am heiteren Himmel eine Hoffnung in Gestalt eines kleinen weißen Wölkchens.

Zu den Nominierungskriterien, die der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) für die Tennisspieler festgelegt hatte, gehört das Erreichen des Viertelfinales bei einem Grand-Slam-Turnier. Auf der vor zwei Wochen an den Internationalen Tennis Verband (ITF) vom DOSB geschickte Vorschlagsliste stand der Name Schüttler logischerweise nicht drauf. Aber das kann sich noch ändern.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
  • S
    Sam

    In der Headline hat sich ein "Reiner" statt eines korrekten "Rainer" eingeschlichen - sonst ein wunderbarer Artikel. Guter Einstieg!

     

    D. Red: Danke für den Hinweis!