Rainer Langhans vor Burschenschaften: Lebenshilfe als Martyrium
Im Bremer Hotel "Deutsche Eiche" dozierte Langhans über das Dschungelcamp, Rollenbilder der Frau und - natürlich - seinen Harem. Ein Martyrium in neunzig Minuten.
BREMEN taz | Die Studentenverbindung versprach Kontroverses. Der berühmte Linke Rainer Langhans werde bei ihnen, dem konservativen Verband Deutscher Studierender (VdSt) "kein Heimspiel haben" raunte ein VdST-Sprecher in der Bild-Zeitung. Das zog. Der Saal im Hotel "Deutsche Eiche" im Bremer Stadtteil Horn ist am Montagabend bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Verbindungsstudenten haben ihre Freundinnen mitgebracht, alle fein angezogen, manche Männer mit Zipfelband und Bund, auch die Alten Herren sind zum "Hanseatischen Gesprächsabend" erschienen.
"Erfahrungen einer Ikone der Kommune 1 und eines Überlebenden des Dschungelcamps" heißt der Abend und tatsächlich gehen die Verbindungsstudenten mit Langhans, wie immer im weiten weißen Baumwollhemd und ebensolcher Hose, so freundlich um, als sei er einer ihrer Alten Herren.
Und Langhans, der schon öfter bei Burschenschaften aufgetreten war, gibt die Sympathien zurück. Dass er "bei sogenannten rechten Leuten rede" werde ihm "von manchen Leuten angekreidet". Er sei deswegen auch "schon massiv bedroht worden", sagt er. Doch "unsere Kommunikationsrevolution hat gezeigt, dass wir alle miteinander reden sollten".
Also redet Langhans, fast neunzig Minuten lang.
"1968 war ein merkwürdiger Impuls. Mitte 1966 waren wir alle auf einen Schlag verrückt geworden. So einen Impuls hat es in der gesamten Menschheitsgeschichte noch nicht gegeben. Wir sahen: Wir lieben uns alle." Doch für wilde Eskapaden blieb keine Energie. "Es gab in der Kommune 1 keine Drogen, keine Musik und auch zuerst keinen Sex. Das haben wir nur den Journalisten erzählt, weil die sich nichts Geileres vorstellen konnten." Tatsächlich sei es um viel mehr gegangen. "Die Welt, wie sie bis heute ist, ist nicht wirklich", das hätten sie erkannt.
In einem Interview 1999 sagte Langhans: "Wir müssen die besseren Faschisten sein, denn der Faschist ist in meinen Augen jemand, der erstmal natürlich das Himmelreich auf Erden holen wollte, also der wirklich was Gutes wollte."
"Unter dem Gesichtspunkt ist Hitler selbstverständlich für uns alle ein großer Lehrer, das wird keiner dann ablehnen können."
"Wenn wir ihn von vornherein verteufeln, werden wir ihm nicht gerecht."
"Hitler ist ein verhinderter Spiritueller, und er hat das, was in die inneren Ebenen gehört, auf (die, Red.) äußeren Ebenen" (geholt, Red.).
Er preist nicht, er erkennt
Ein Zuhörer will wissen, warum Langhans "das anarchistische System wieder preist, das hat doch versagt". Aber Langhans preist nicht. Er erkennt. "Was ich sehe, geht viel weiter als der Anarchismus. Wir gehen in eine vergeistigte Situation über. In der die Liebe vorherrscht. Das wird ganz langsam passieren, viele Menschen werden es erst gar nicht merken."
Dass seine Ideen aktueller denn je seien, belege, dass man ihn ins "Dschungelcamp" geholt habe. "Die wollten mich plötzlich wieder." Es habe sich gelohnt für die TV-Macher, "eine Riesenquote" hätten sie durch ihn gehabt. Langhans weiß: "Ich bin ja keiner von diesen Unterschichtstypen, die sonst da rumlaufen."
Ein Student ist verwirrt. "Aber Rainer, Du hast doch gesagt, wir sollen die Grenzen überwinden. Und jetzt redest Du von Unterschicht. Was soll das denn sein, die Unterschicht?" Langhans erklärt es ihm: "Das sind krasse Materialisten, die primär körperlich unterwegs sind und wenig mit dem Geist zu tun haben", sagt er. Sie unterscheiden sich von den "Nicht-Unterschichtlern, die sich gepflegt unterhalten und angefangen haben, durch Bildung mit der geistigen Welt in Berührung zu kommen". Die Verbindungsstudenten sitzen mit gegelten Scheiteln in ihren Anzügen und schauen sich an, als habe er etwas Unanständiges gesagt.
Grandiose Sex-Erfahrung
Langhans spricht Themen für Burschen an. "Wir haben die Kleinfamilie abgelehnt, weil sie autoritäre Charaktere erzieht und die Mörder des Faschismus hervorgebracht hat", sagt er. Das provoziert. "In meiner Kleinfamilie führt die Mutter den Betrieb, mein Vater kommt aus Frankreich", sagt einer. Also "Multikulti" und "komplett aufgelöste Rollenbilder". Langhans nickt. "Ist das dann nicht okay?", will der Student wissen.
"Mein Ziel ist es auch, eine Familie zu gründen und meiner Partnerin treu zu sein. Ist dieses System wirklich überholt?", bohrt der Student nach. "Wenn man eine grandiose sexuelle Erfahrung macht, dann ist man so voller Liebe, das man alle lieben kann und will", sagt Dozent Langhans. Und: "Es ist sehr schwer, einem Menschen treu zu sein." "Aber das ist doch schrecklich. Da muss man doch etwas dagegen tun", sagt der Student.
"So ist der Lauf der Welt", antwortet Langhans.
Doch deshalb brauche sich niemand zu grämen. Die Abkehr vom bürgerlichen Ideal biete viel mehr, als das, was man zurücklässt. Er belegt dies an seinem "Harem", seiner derzeitigen Münchener Kommune mit fünf Frauen. Die Türken kämen und sagten: "Ey Alder, hast Du ein Glück, fünf Frauen, welche ist denn heute Abend dran?" Tatsächlich sei aber alles ganz anders. Sein Leben diene nicht ihm, es diene den Frauen. "Die wollen normalerweise einen Mann, in den sie hineinkriechen können, damit er ihnen gehört." Das halte sie davon ab, sich "endlich selbst zu erkunden, was wir Männer schon seit langem tun". Weil seine Mitkommunardinnen sich Langhans aber zu fünft teilen müssen, hätten sie viel Zeit und Energie, sich "auf den Weg in ihr Inneres" zu begeben.
Ein Bursche hat ihn nach seinem letzten Vortrag getroffen. "Weißt Du noch, was die Quintessenz unseres Gespräches war?" fragt er. "Es ist leicht, über das Wasser zu laufen, aber schwierig, ein Mensch zu sein." Heute möchte der Student mehr wissen. "Rainer, Du hast im Dschungelcamp das Sterben geübt. Welchen Sinn gibst Du dem Leben?" Er sei "zutiefst dankbar", sagt Langhans, dass er sich auf den inneren Weg machen konnte, denn sonst wäre er "nicht mehr in diesem Körper".
Horst Mahler, sein Freund
Am Ende fragt noch einer nach Horst Mahler, Langhans-Freund, Ex-Revolutionär und heute rechtsextremistischer Holocaust-Leugner. "Warum ist es dem so ergangen, während Sie hier so tiefenentspannt stehen?" Die Gründe liegen vermutlich in Mahlers Familie, erklärt Langhans. "Er hatte Super-Nazi-Eltern, die haben sich nach Hitlers Selbstmord auch umgebracht, weil sie nicht mehr weiterleben wollten. Das muss er bewältigen." Er habe sich Mahlers Rede bei einem NPD-Parteitag in Passau angehört. "Ich verstehe absolut, dass er das macht. Er sucht weiter nach dem richtigen Leben." Genau wie Langhans selbst.
Dann dankt ihm der Verbindungsvorsitzende und überreicht ihm grünen Tee und Kandiszucker und einen Krug mit dem Verbindungswappen. "Sie teilen doch so gern. Da können Sie in Ihrer Kommune alle gemeinsam daraus trinken." Und nun seien alle ins nahe Verbindungshaus eingeladen.
"Der ist doch geistig nicht mehr ganz da", meint hinterher eine Studierende, als sie die "Deutsche Eiche" verlässt. Eine andere Studentin widerspricht. Doch, das sei er wohl. Und deswegen sei er auch "selbst schuld, dass er so vorgeführt wird".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Analyse der US-Wahl
Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht