Rainald Grebes Regiedebüt in Berlin: Stadtrundfahrt mit Promis
Hier der Bowie, da der Juhnke: Rainald Grebes Debüt „Westberlin“ an der Schaubühne im Stil eines Wikipedia-Stadtführers.
Als Rainald Grebe dann doch noch persönlich die Szene betritt, impft er die Luft so gründlich mit seinem beträchtlichen Bühnencharisma, dass es tatsächlich vorübergehend so scheint, als würde der ganze Abend doch noch an Schwung gewinnen. Die medialen Erwartungen waren recht hoch gewesen an das erste Theaterstück des Kabarettisten, den man vermutlich als eine Art Seismografen deutscher Befindlichkeiten an die Schaubühne geholt hatte.
Der Titel der Produktion „Westberlin“ ist dabei programmatisch für die Lage der Schaubühne: Westberlinerischer als in hinterer Ku’ Damm-Lage geht es schließlich kaum. Nun galt ja die Schreibweise von Westberlin ohne Bindestrich zu Mauerzeiten als verpönt. So schrieb man es in der DDR oder höchstens noch in der „Wahrheit“, dem Organ der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins.
Für Grebes Westberliner Abend allerdings hat das Weglassen des Bindestrichs (wie man nach der Premiere konstatieren kann) keinerlei programmatische Bedeutung. Es sieht einfach nur besser aus. Ebenso wenig ist „Westberlin“ ein Theaterstück: Rainald Grebe ist sehr fleißig gewesen, hat gesammelt, was zu kriegen war – und teilt die Früchte seiner ausgiebigen Recherchen großzügig mit dem Publikum.
Im Bemühen um echte Westberliner Authentizität hat er „Zeitzeugen“ mitgebracht, sieben Menschen (die älteste 84 Jahre alt), die ihr Leben noch zu Mauerzeiten in Westberlin verbracht haben und deren Aufgabe es ist, ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Das ist im Prinzip sympathisch, aber oft ganz schön langweilig und frei von Präsentationsqualitäten.
Witz und Esprit zu versprühen ist dann die Aufgabe der echten Schaubühnen-DarstellerInnen, die Grebe geholt hat, damit das Ganze mehr nach Profitheater aussieht. Es mühen sich alle, und wahrscheinlich hat man bei der Probenarbeit auch viel Spaß gehabt, weil man ständig in unterschiedliche Typen und Klamotten schlüpfen konnte: mal hier Conferencier, mal da Berliner Kodderschnauze, mal Kellnerin, mal Stricherin; hier der Bowie, da der Juhnke. Und so weiter.
Riesengroßer Kostümreigen
Es ist ein riesengroßer Kostümreigen, eine einmalige Gelegenheit, den Fundus des Hauses so gründlich auszulüften wie sicher seit Jahrzehnten nicht mehr. Das ist allerdings fast schon das Beste, was sich über diese Produktion sagen lässt, die über eine Nummernrevue nicht hinauskommt und deren einzelne Nummern ohne dramaturgische Ideen und inneren Zusammenhang irgendwie zusammengeschoben wurden.
Manchmal möchte man fast beginnen, sich fremdzuschämen für so fantasiefreie Einfälle wie den einer Busrundfahrt, bei der ein Schauspieler den Stadtführer geben muss und die authentischen Westberliner ohne viel Erfolg versuchen, so zu tun, als säßen sie in einem Bus. Peinlich anbiedernd gerät Grebes Hommage an den Nimbus des Hauses, verkörpert in Peter Steins legendärer „Sommergäste“-Inszenierung. Die mal eben anzudeuten mit ein paar struppigen Birkenstämmen, einer Drehbühne und Menschen in weißen Kostümen wäre ja noch okay.
Grebe aber ist nicht in der Lage, es beim Zeigen, bei Andeutungen zu belassen: Alles wird auserklärt und plattgeredet; jede Figur, die auf die Bühne kommt, kriegt zur Sicherheit ein lautstarkes verbales Label verpasst: „Christiane F.!“, „Lieselotte Pulver!“, „Wolfgang Neuss!“.
Es mag ja traurig sein, dass die jungen Leute nicht mehr wissen, wer Wolfgang Neuss war (was Grebe vorab im Tagesspiegel-Interview zu Recht beklagt hatte); aber im Publikum werden schon noch einige sitzen, die sich erinnern.
Im Stil eines Wikipedia-Stadtführers die Infos klein-klein zu verklickern, bis auch der dümmste Tourist alles verstanden hat, hat weder mit Theater noch mit Kabarett viel zu tun. Am schlimmsten von allem aber ist, dass der Abend kein Ende nimmt: Immer wenn man denkt: „Das war’s jetzt aber mal“, geht es dann doch noch weiter; zweieinhalb Stunden lang. Eine Pause ist, vielleicht in weiser Voraussicht, nicht vorgesehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!