Rainald Goetz und Penguin-Deal: Der Tod muss nicht schlimm sein
Rainald Goetz Roman „Johann Holtrop“ handelt vom Konzern Bertelsmann, der jetzt mit Penguin fusioniert. Was sagt Holtrop dazu?
Er hätte auch nach England gehen können, das wäre einfacher gewesen, sagte Rainald Goetz auf der Frankfurter Buchmesse. Nach England gehen hätte geheißen: andere Namen zu erfinden, das ganze Szenario, die Beschreibung der oberen Geschäftswelt in seinem jüngsten Roman „Johann Holtrop“ gerade bei den Medienunternehmen in eine Distanz zu verschieben. Juristisch wäre er da auf jeden Fall auf der sicheren Seite gewesen.
Entschieden hat er sich aber anders. Er wollte über deutsche Verhältnisse schreiben, über die deutsche Medien- und Geschäftswelt, von Deutschland aus, Architekturkritik inklusive: Ein „Neubau, so kaputt wie Deutschland in diesen Jahren, so hysterisch kalt und verblödet konzeptioniert, wie die Macher, die hier ihre Schreibtische hatten, sich die Welt vorstellten, weil sie selber so waren, gesteuert von Gier, der Gier, sich dauernd irgendeinen Vorteil zu verschaffen […], das Phantasma der totalen Herrschaft des KAPITALS über den Menschen.“ (Johann Holtrop, S. 11)
Das mit England hat ihm jetzt die Realität abgenommen. Gestern wehte es durch das Netz der Medien: Die Großverlage Bertelsmann und Pearson werden sich zusammentun, und ihre beiden Verlagshäuser Random House und Penguin (die mit den lustigen, oft blauen Taschenbüchern, die, egal, wie schonend man sie behandelt, immer schnell nach Strandurlaub und ähnlichen Leseexzessen aussehen) werden in Anteilen von 53:47 für Bertelsmann in das Konglomerat Penguin Random House (englisch sprechende Kinder werden ihr Vergnügen an dem Namen finden) aufgehen. Zwei Medienriesen gebären also ein Monster.
Denn wer hätte das gedacht: Der Kapitalismus macht einfach immer so weiter. Die Globalisierung ist nicht mehr aufzuhalten. Und jetzt ist nach der Phonoindustrie eben auch der Buchhandel dran; die Global Player tun sich zusammen, um den ins Rutschen geratenen Welthandel besser zu kontrollieren. Das auf den Markt gebrachte E-Book frisst Papier. Und es werden Einnahmen wegbrechen, denn die Codes sind zum Knacken da. Und um zu wachsen, muss zerstört werden, das ist schließlich eine Grundregel des Kapitals. Hätte man alles also ahnen können.
Codes sind zum Knacken
Und am Ende steht vielleicht ein gewaltiger Monopolist, der aber nicht „Amiga“ heißt (ja, das DDR-Schallplattenlabel) und auch nicht verstaatlicht werden kann, denn er arbeitet ja trans- oder besser übernational, und daneben sind unendlich viele unbedeutende Kleinstverlage. Vielleicht stirbt darüber sogar die ganze Kunst, hier im Speziellen die Literatur.
Deren Tod wurde ja eigentlich schon nach 1968 ausgerufen, wenn auch aus anderen Gründen. Der Tod muss aber gar nicht so schlimm sein – vielleicht birgt auch hier die Zerstörung die Möglichkeit für Neues.
Schauen wir aber noch einmal zurück ins gute Buch. Rainald Goetz hat mit „Johann Holtrop“ einen „Abriss der Gesellschaft“ der Gegenwart geliefert; die Figur Holtrop selbst ist deutlich dem ehemaligen Medienstar und Bertelsmann-Manager Thomas Middelhoff nachempfunden. Der sitzt derzeit – nein, leider nicht ein, sondern in London und hat mit diesem Deal, mit den Pinguinen im Zufallshaus nichts am Hut. Stattdessen gibt es Dohle, 44, Vorname Markus, geboren im schönen Jahr 1968, künftiger Chef des Verlags. Während Sambeth, 41, Vorname Frank, dekoriert mit Doktortitel, weiter in München sitzen wird und Rapport liefern muss. Denn die deutsche Dependance, die immer noch den englischen Namen vom Pinguinzufallshaus tragen wird, bleibt eigenständig.
Vielleicht überlegt sich Middelhoff (oder Sambeth) ja gerade auch Folgendes: „Irgendeine fundamental falsche Bewegung hatte ihn hierhergebracht. Er überlegte, wie es dazu gekommen war, dass kein einziger anderer Mensch mehr für ihn erreichbar war in diesem Moment. Er hatte zu viele Gesetze des Überlebens in der Gesellschaft zu oft missachtet. Er hatte sich als Einzelkämpfer […] gesehen, weil er frei sein wollte von den üblichen taktischen Bindungen, den Lügen und Seilschaften. Das hatte ihm keinen Erfolg gebracht. Er war auf den Chefposten […] berufen, dorthin abgeschoben worden, eine Stelle ohne Mandat und ohne Zukunft.“ (Johann Holtrop, S. 105.)
Das Spiel auf den oberen Ebenen geht also gnadenlos weiter, immerhin können wir uns dank Goetz inzwischen ungefähr vorstellen, wie das von innen aussieht. Also los, bewaffnen wir uns mit Geld. Und mit guten, alten Büchern. So lange es noch geht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt