Räumung für die A100: Letzter Akt im Pappel-Drama
Mit einem Großaufgebot räumt die Polizei ein Baumhaus der Autobahngegner in Neukölln. Der Besitzer des Grundstücks wird vor Ort enteignet, die Bäume werden gefällt.
Diesmal gibt es kein Pardon: Eine Hundertschaft Polizisten, zwei Teleskopbühnen, Männer mit Motorsägen und rot behelmte Profikletterer rücken den Baumbesetzern an der Neuköllnischen Allee auf den Pelz. Am frühen Montagabend ist das winzige Protestcamp in zehn Meter Höhe Geschichte: Erst werden die Seile gekappt, die die besetzte Pappel mit umstehenden Bäumen verbindet. Dann werden diese Bäume gefällt, schließlich die Besetzer, die sich teilweise angekettet haben, per Hebebühne herausgepflückt. Hinter dem rot-weißen Flatterband wird gepfiffen – rund 40 Unterstützer stehen in der Kälte und fast ebenso viel Presse.
Die Zwangsräumung der Baumhütte aus Paletten und Planen ist der letzte Akt des kleinen Dramas, das am Vormittag begonnen hat: Das „Aktionsbündnis A100 stoppen!“ und Robin Wood haben zur Kundgebung auf dem Grundstück gerufen, das der Bund für die Arbeiten an der Verlängerung der A100 nutzen will. Es liegt im Gewerbegebiet zwischen Sonnenallee und Neuköllner Hafen, direkt nebenan ist schon die künftige Trassenführung erkennbar. Alte Lagerhallen werden eingerissen, Zufahrtswege asphaltiert.
Auch auf dem umstrittenen Grundstück steht eine Halle. Die Robin-Wood-Leute haben sich davor mit einem Infotisch postiert. Auch José da Silva ist mit seinen beiden Anwälten da – einer vertritt den Portugiesen als Grundstückseigentümer, der andere als den Geschäftsführer der „Spanischen Quelle“, eines Großhandels für iberische Produkte. „Da drin lagern Lebensmittel und viele Flaschen Wein“, sagt er, „ich weiß nicht, wohin damit.“ Da Silva ersteigerte das Grundstück 2011, ohne zu wissen, dass es für die Autobahnbaustelle genutzt werden soll. „Der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung war das bekannt“, sagt Anwalt Michael Lahni. Da Silva wurde enteignet, acht Rechtsstreite hat er verloren, jetzt holt sich der Staat, was ihm gehört. Gegen die A100 hat da Silva übrigens nichts, wie er betont. Aber es gab für ihn keinen Grund, die Besetzer nicht zu tolerieren.
Auftritt Land Berlin in Gestalt von Senatsrat Michael Losch, Leiter der Enteignungsbehörde in der Stadtentwicklungsverwaltung. Im Lodenmantel stakst er durch den Matsch zu da Silva, sofort bildet sich eine Menschentraube. Nach einem Rededuell mit Anwalt Lahni verkündet er in Juristendeutsch die „vorzeitige Besitzeinweisung“, eine Art Vor-Enteignung, der der Eigentümer unter Protest zustimmt. Dann erklärt Losch, jeder, der sich nach einer Viertelstunde noch auf dem Gelände befinde, werde wegen Hausfriedensbruchs angezeigt: „Ich an Ihrer Stelle“, richtet er das Wort betont freundlich an die Aktivisten, „würde keine Vorstrafe riskieren.“
Es folgen Durchsagen aus Polizeilautsprechern. Dann verlassen die Anwesenden das Grundstück – die meisten freiwillig, dann die grünen Abgeordneten Harald Moritz und Dirk Behrendt nach Ansprache, dann die letzten drei Aktivisten am Arm von Polizisten. Jetzt sind die Motorsägen dran.
„Auch wenn wir das hier nicht verhindern konnten“, sagt Robin-Wood-Sprecherin Ute Bertrand, „halten wir damit die Debatte am Laufen, wie sinnvoll es ist, Millionen für Beton zu verballern, anstatt den öffentlichen Nahverkehr zu stärken.“ Hehre Worte, die im Feierabendstau der umliegenden Straßen verhallen. Dort nimmt vom letzten Akt des Pappel-Dramas niemand Notiz.
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