Räumung der Flüchtlingsschule in Berlin: „Entweder der Held oder der Arsch“
Hans Panhoff, grüner Baustadtrat, hatte die Räumung der von Flüchtlingen besetzten Schule in Kreuzberg beantragt. „Es war der Mut der Verzweiflung“, sagt er heute.
taz: Herr Panhoff, was ist das für ein Gefühl, Hassobjekt der linken Szene zu sein?
Hans Panhoff: Ich gehöre nicht zu den Leuten, die twittern oder auf Facebook unterwegs sind, insofern weiß ich nur vom Hörensagen, dass in den sozialen Netzwerken Stimmung gegen mich gemacht wird. Aber geliebt wurde ich von denen noch nie (lacht).
Vor Ihrem Wohnhaus in Kreuzberg wurden ein Auto und eine Mülltonne angezündet, im Hauseingang Parolen gesprüht. Haben Sie Angst?
Nicht wirklich. Ich bin ein bisschen vorsichtiger geworden. Es gibt Sachen, die ich jetzt vielleicht nicht mehr machen würde. Nachdem ich das Räumungsersuchen für die Gerhart-Hauptmann-Schule gestellt hatte, hatte ich eine Weile Polizeischutz und musste woanders schlafen. Aber ich bin eigentlich relativ ruhig geblieben. Aus meiner Sicht habe ich gemacht, was ich tun musste.
Ein ehemaliger Hausbesetzer ruft die Polizei. Was für eine Wandlung.
Rufen musste ich die nicht, die war ja schon da (lacht). Es ging darum, dass sie bleibt: Nach einem Jahr Verhandlungen war in der Gerhart-Hauptmann-Schule mit dem Umzug von mehr als 200 Bewohnern endlich der Durchbruch erreicht. Der Abzug der Polizei hätte bedeutet, dass das Haus wieder voll bezogen wird. Diese Vorstellung war mir ein Graus. Aber Tabubrüche kommen meistens von denen, von denen man es nicht vermutet. Im Übrigen habe ich auch in den 80er Jahren zu Hausbesetzerzeiten immer zu den Verhandlern gehört.
Sehen Sie da eine Analogie zur Schule?
In dem ehemals besetzten Haus, in dem ich immer noch wohne, befindet sich ein autonomes Archiv. Dadurch, dass wir unser besetztes Haus damals legalisiert haben, haben wir auch ein Stück Infrastruktur der linken Bewegung absichern können. Das gleiche Motiv habe ich auch bei der Schule.
56, wurde in Karlsruhe geboren. An der TU Berlin hat er Stadt- und Regionalplanung studiert. Seit 1996 ist er Mitglied bei den Grünen, seit 2011 Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg. Panhoff wohnt immer noch in dem Haus, das er 1981 in Kreuzberg mitbesetzt hat.
Sie meinen das geplante Flüchtlingszentrum?
Ja. Ich habe immer gesagt: Wir wollen in der Schule ein Flüchtlingszentrum einrichten und damit eine gesicherte Adresse für Leute schaffen, die sich in diesem Bereich politisch betätigen möchten. Dass Europa zur Festung ausgebaut wird, geht so nicht weiter. Wir müssen uns als Gesellschaft öffnen. Es ist wichtig, einen Ort zu schaffen, an dem so etwas vorangetrieben werden kann, und dafür braucht man eine Infrastruktur. Das ist, was mich eigentlich treibt.
Umso unverständlicher ist es doch, dass Sie die Presse aus der Ohlauer Straße ausgesperrt haben.
Der Andrang war genau in der Phase, in der wir mit den Leuten auf dem Dach ins Gespräch kommen wollten. Das Problem war, dass Menschen mit Presseausweisen kamen, die nicht als Journalisten in die Schule wollten, sondern als Unterstützer der autonomen Szene. Das hätte aus unserer Sicht alles gefährdet. Und wir hatten auch Angst, dass wieder Leute einziehen, wenn man die Tore aufmacht. Aber das ist nicht gut gelaufen, das gebe ich zu. Es ging nicht darum, die Presse zu unterdrücken, sondern das Haus dicht zu halten.
Der Räumungsantrag sei ein Alleingang gewesen, haben Sie stets betont.
Ich habe die Entscheidung nach einem Mehrparteiengespräch am Montagabend im Bezirksamt getroffen (am 30. Juni, die Red.). Das Einzige, worauf man sich bei dem Gespräch verständigen konnte, war: keine Räumung. Ansonsten gab es kein Konzept, keinen Plan. Nix.
Die Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann macht sich einen schlanken Fuß und Sie übernehmen die Verantwortung?
Ich habe Frau Herrmann überhaupt nicht gefragt. Ich habe mir gesagt: Entweder du bist der Held, oder du bist der Arsch (lacht).
Und was sind Sie jetzt?
Weder noch. In Wirklichkeit war es schlicht der Mut der Verzweiflung. Aber ich stelle fest, dass es eine ganze Menge Leute gibt, die sagen, das war richtig.
Ein Flüchtling hat Ihnen ins Gesicht gesagt: Wenn einer von uns zu Schaden kommt, bist du schuld. Wie geht man mit so einem Druck um?
Das war eine Behauptung. Wir haben nichts unternommen, was die Leute veranlasst hätte, aufs Dach steigen zu müssen. Meine einzige Forderung war, dass sie mit uns mal ernsthaft reden. Mehr habe ich nicht verlangt. Deswegen ist auch kein einziger Polizist in das Haus reingegangen. Hätte es eine Eskalation gegeben, die mir zu heiß geworden wäre, hätte ich alles immer noch abblasen können. Insofern war das durchaus ein kalkuliertes Risiko.
Aus grünen Parteikreisen ist viel Kritik gekommen. Ficht Sie das an?
Es gibt von den Grünen keinerlei Partei- oder Gremienbeschluss, in dem ich aufgefordert werde zurückzutreten. Einzelne haben zudem sehr deutlich gemacht, dass sie mich unterstützen. Für mich ist die Frage bei der ganzen Sache auch: Wie ist das eigentlich mit der Regierungsfähigkeit? Wenn man an bestimmten Punkten nicht zur Konsequenz bereit ist, wird es schwierig mit der Verantwortung. Die haben wir ja nun mal im Bezirk.
Haben Sie sich damit als der starke Mann im Bezirksamt profiliert?
Die Bewertung überlasse ich anderen. Aber eines ist mal klar: Als Baustadtrat in Friedrichshain-Kreuzberg, der ständig mit umkämpften Themen befasst ist, darf man nicht allzu zimperlich sein. Freudenbergareal, Dragonerareal, Mediaspree, Landwehrkanal-Mediation, Baumfällungen – das sind alles Bereiche oder Projekte, bei denen es viel Anspruch auf Bürgerbeteiligung gibt. Ich stehe oft in der Öffentlichkeit und muss an Recht und Gesetz gebundene Bezirksamtspositionen vertreten, wenn es darum geht, die Stadt zu gestalten – auch gegen Widerstände und Anmache.
Welchen Stellenwert hat die Gerhart-Hauptmann-Schule für Sie?
Angesichts der vielen Energie, die ich da reingesteckt habe, könnte man schon sagen, dass sie mir ans Herz gewachsen ist. Wir sind eine ausgeblutete Verwaltung, ich habe das Haus weitgehend alleine betreut. Ich spreche Englisch und Französisch, und ein bisschen interkulturelle Kompetenz gehört auch dazu.
Und die haben Sie?
Ich habe regelmäßigen Kontakt zu Afrikanern, auch in meinem privaten Umfeld. Ich esse mehrmals die Woche afrikanisch, war zweimal im Senegal. Ich kenne Temperament und Mentalität der Leute einigermaßen.
Sie haben die Schule im Juli 2013 vom früheren Bezirksbürgermeister Franz Schulz übernommen, der aus Krankheitsgründen zurückgetreten ist.
Vor seinem Rückzug aus der Politik hat Franz Schulz noch viele Dinge regeln können, aber die Schule nicht mehr. Im ersten Halbjahr 2013 ist die Schule bis zum letzten Matratzenplatz bezogen worden. Im Nachhinein ist man schlauer. Man hätte vielleicht viel früher Wachschutz installieren müssen.
Was würden Sie das nächste Mal noch anders machen?
Das nächste Mal? Wir müssen das jetzt erst mal zu Ende bringen.
Was ist der Stand?
Im Moment ist es immer noch so, dass die Leute in der Schule verteilt sind. Vereinbart ist, dass sie sich auf die 3. Etage, Südflügel, zurückzuziehen. Das ist noch nicht vollständig passiert und macht uns große Probleme, weil Gebäudesicherung und Brandschutz so schwer zu verwirklichen sind. Wir werden in den nächsten Tagen sehr klar miteinander sprechen müssen. Wir sind im Moment in einer fragilen Phase.
Die Schule wurde unter Flüchtlingen bis nach Italien als Anlaufstelle gehandelt. Wie wollen Sie verhindern, dass wieder Leute nachziehen?
Die Schule wurde in ganz Europa gehandelt. Wo man schlafen kann ohne Papiere, ohne Kontrolle, ohne Kosten, ohne alles. Es darf nicht sein, dass wir das in diesen alten Zustand zurückfallen lassen. Der ist nicht beherrschbar. Das war eine historische Sondersituation.
Was muss geschehen?
Ich denke, dass auch die Unterstützer und Berater in der Verantwortung sind, die Vereinbarung umzusetzen. Wenn das platzt, ist der ganze Kompromiss nichts wert. Das Gebäude hat viele Öffnungen und Zuschlüpfe, das haben wir auch in der Woche gemerkt, in der die Polizei das Haus abgeriegelt hatte. Wer reinwill, findet Mittel und Wege. Allerdings wollen die, die drin sind, auch nicht, dass neue Leute einziehen. Sie brauchen uns letztendlich auch, um das Haus abzusichern. Es ist wichtig, dass wir besser kooperieren. Man kann nicht immer nur vom Bezirk verlangen, dass er liefert.
Wer sind nun die Leute, die in der Schule bleiben können?
Wohnen tun dort rund 40 Afrikaner. Insgesamt haben 65 Leute einen Hausausweis bekommen, Helfer und Unterstützer eingeschlossen. Es gibt Leute mit einem ernst zu nehmenden politischen Anliegen, denen der Kampf um Bleiberecht am Herzen liegt. Dann gibt es eine ganze Menge, die unter gewissen Gesichtspunkten von Praktikabilität in der Schule sind, weil sie nichts anderes haben. Und dann gibt es welche, die sich nicht festlegen können.
Was soll das heißen?
Sie sind formal aus der Schule ausgezogen, leben in Wirklichkeit aber noch dort.
Finden Sie, dass der Senat fair mit den Flüchtlingen umspringt?
Ich bin mir sicher, dass die gesamte Handhabung des Papiers, das Integrationssenatorin Kolat ausgehandelt hat, wesentlich zugewandter passieren könnte, als es im Moment praktiziert wird. Aber da hat der Innensenator seinen Daumen drauf. Seine Devise ist: Keine wohlwollende Prüfung, nur Prüfung.
Wie ist die Stimmung im Bezirksamt?
Irgendwann wird das sicher mal aufgearbeitet. Im Moment sind alle ein bisschen durch.
Am 27. August entscheidet die Bezirksverordnetenversammlung über den Antrag von Piraten und Linken, Sie abzuwählen. Mit welchem Ausgang rechnen Sie?
Nach jetzigem Stand wird das abgelehnt.
Haben Sie sich mit Ihrem entschiedenen Durchgreifen für höhere Weihen empfohlen? Zum Beispiel als Stadtentwicklungs- oder Innensenator in einer möglichen rot-grünen Landesregierung?
So weit denke ich nicht. 2016 geht es erstmal darum, wieder aufgestellt zu werden. Denkbar ist sogar, dass sich dann manche Grüne ihr Mütchen an mir kühlen, die jetzt die Füße stillhalten.
Ihre Kritiker bei den Grünen warten also nur auf die richtige Gelegenheit?
Die sagen, sie hätten nie so entschieden wie ich. Aus dem Amt werden sie mich jetzt zwar nicht holen. Aber in zwei Jahren könnte es heißen: Der Panhoff hat zu viel Porzellan zerdeppert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation