Radtourismus und 9-Euro-Ticket: Das wird richtig eng
Das 9-Euro-Ticket gefährdet den Radtourismus in Kombination mit Regionalzügen. Die DB empfiehlt sogar, das eigene Velo zu Hause zu lassen.
Die DB hat am Montag mit dem Verkauf der vom Bund massiv subventionierten Fahrkarten begonnen – online, am Automaten und in Reisezentren. Wie DB-Regio-Chef Jörg Sandvoß bei einem Pressegespräch am Mittag sagte, waren allein seit dem Morgen 200.000 Tickets abgesetzt worden.
Bei anderen Verkehrsbetrieben wie der BVG konnten die KundInnen die billigen Monatskarten für Juni, Juli und August bereits Ende vergangener Woche erwerben. Bis einschließlich Sonntag wurden 130.000 Stück bei der BVG gekauft. Für die vielen Abo-KundInnen – allein bei der BVG 870.000 – erübrigt sich das: Ihre Monatskarte fungiert als 9-Euro-Ticket und kostet auch nur so viel. Bei monatlicher Abbuchung wird diese auf 9 Euro reduziert, bei Einmalzahlung wird die Differenz erstattet.
Sandvoß sagte, das Ticket habe „einen Nerv getroffen“, der „unglaubliche Niedrigpreis“ und die „enorme Einfachheit“ würden für massive Nachfrage sorgen. Gleichzeitig sprach der Bahn-Manager von einem „Riesenexperiment ohne Blaupause“, das nun unter Hochdruck und mit extrem kurzer Vorbereitung durchgeführt werde.
Tatsächlich macht das Ticket die Nutzung von Regionalzügen und ÖPNV so günstig, dass bei intensiver Nutzung die Kosten einer einzelnen Fahrt auf Centbeträge fallen. Ob das im städtischen Alltagsverkehr zu einem spürbaren Anstieg der Fahrgastzahlen führt, bleibt abzuwarten. Viele VerkehrsexpertInnen gehen aber davon aus, dass an Wochenenden, Feiertagen und insgesamt während der Sommerferien viele Menschen die Möglichkeit eines billigen Ausflugs nutzen wollen.
Schon jetzt kann es aber auf den Strecken an die Ostsee oder die Müritz bei schönem Wetter zu chaotischen Szenen kommen. Gerade RadtouristInnen, die etwa mit dem RE 5 gen Norden reisen wollen, wissen oft nicht, ob sie am Ende tatsächlich in den gewünschten Zug kommen – und ob dieser einigermaßen pünktlich losfahren kann. Besonders heftig ist die Situation im Rückreiseverkehr.
Alles soll rollen
Zwar betonte Sandvoß, bei der DB werde ab dem 1. Juni „buchstäblich alles rollen, was wir an Zügen und Personal haben“. Auch eine Reserve von rund 50 Bahnen mit insgesamt 60.000 Sitzplätzen werde aktiviert. Die Zahl bezieht sich allerdings auf die gesamte Bundesrepublik. Konkret sollen im Bereich der DB Regio Nordost an den Wochenenden der RE 3 nach Prenzlau und der RE 5 nach Neustrelitz bis Rostock bzw. Stralsund verlängert werden. Auch zwischen Stralsund und Angermünde sowie Rostock und Neustrelitz wird es dann „zusätzliche Leistungen mit Anschluss nach Berlin“ geben. Angaben über die Zahl zusätzlicher Waggons gab es nicht.
Immerhin: Einschränkungen der Fahrradmitnahme, die zwischenzeitlich auch diskutiert wurden, wird es nicht geben. Der ADFC-Bundesverband hatte noch in der vergangenen Woche davor gewarnt, Bundesgeschäftsführerin Ann-Kathrin Schneider bezeichnete das Szenario als „Katastrophe für den wirtschaftlich bedeutenden Fahrradtourismus“ in dessen Hauptsaison. Immerhin haben im Jahr 2021 gemäß der ADFC-Radreiseanalyse 5,3 Millionen Menschen die Bahn für die Anreise zu klimafreundlichen Tagesausflügen auf dem Rad oder Radreisen genutzt. Faktisch könnte der erwartete Andrang – ohne einen wirklichen Ausbau des Angebots – durchaus ähnlich desaströse Folgen haben.
Klar ist seit Montag auch, welche Verstärkungen es im Berliner S-Bahn-Verkehr geben wird. Dabei handelt es sich meist um eine leichte Ausdehnung zum Abend hin: Laut einer Mitteilung der Bahn wird auf der S 1 von Montag bis Samstag der 10-Minuten-Takt zwischen Zehlendorf und Wannsee ab 21.30 Uhr um 40 Minuten verlängert, für die S 7 gilt dasselbe zwischen Westkreuz und Potsdam. Auf den Linien S 1, S 3 und S 5 fahren von Montag bis Freitag Verstärkerzüge eine Stunde länger (bis 20 Uhr, aber nicht in den Sommerferien), und auf der S 2 werden sonntags Vollzüge mit acht statt vier Wagen eingesetzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind