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„Radioaktiver Tee schmeckt besser!“

Die türkische Regierung treibt den Bau von Atomkraftwerken an Standorten an,die erdbebengefährdet sind. Ein Dokumentarfilmteam hat recherchiert

Anti-Atom-Proteste sind oft lokal initiiert. Hier 2011 in Istanbul Foto: Murad Sezer/reuters

Von Christian Bergmann

Es war kurz vor den Gezi-Protesten im Mai 2013. Mir sprang beim Lesen der Nachrichten eine Meldung ins Auge: Premierminister Recep Tayyip Erdoğan werde gemeinsam mit seinem japanischen Amtskollegen Abe einen Staatsvertrag zum Bau eines AKW in Sinop unterzeichnen. War das ein Witz? Wie konnte es sein, dass knapp zwei Jahre nach der Katastrophe in Fukushima Japan damit beauftragt wurde, ein Atomkraftwerk in einem stark erdbebengefährdeten Schwellenland wie der Türkei zu bauen?

Also beschloss ich im September 2015, mit dem türkischen Dokumentarfilmregisseur Can Candan („Mauern“, 2000; „Mein Kind“, 2013) und einem Team einen Film über die atomaren Bestrebungen der Türkei zu produzieren: „Nuclear alla Turca“. Es ist die Geschichte einer bizarren Liaison zwischen Politik und Atomwirtschaft.

Bereits 1953 schloss die Türkei als weltweit erstes Land eine Vereinbarung mit den USA über ein Atomenergieabkommen ab. Und stieg damit – begleitet von massiver US-Propaganda – ins atomare Zeitalter ein. Allerdings wurde in der Türkei die Bestrebung zur zivilen Nutzung von Atomkraft flankiert von der Entscheidung, im Rahmen der Nato US-Atomwaffen im Land stationieren zu lassen.

Veranstaltung im taz Café

Während Massenverhaftungen und Schauprozesse die türkischen Schlagzeilen bestimmen, treibt Ankara atomare Pläne an Parlament und Bevölkerung vorbei voran. Über den „Traum von der Atomkraft“ diskutieren im taz Café Claudia Roth (Grüne), Can Candan, Regisseur des Dokfilms „Nuclear alla Turca“, Filiz Yavuz, Autorin, Christian Bergmann, Produzent „Nuclear alla Turca“. 7. 11. 2017, 19.30 Uhr.

Das hatte weitreichende Folgen: Bereits 1961 wurde der erste Kernforschungsreaktor der Türkei in einem Vorort von Istanbul in Betrieb genommen. Die Regierung begab sich zudem auf die Suche nach Uranvorkommen im Land. 1962 spielten die in der Türkei stationierten atomaren Jupiterraketen eine Schlüsselrolle in der Kuba-Krise zwischen der UdSSR und den USA, die die Welt fast in einen atomaren Weltkrieg gestürzt hätte. Die UdSSR stand damals kurz davor, die in der Türkei stationierten US-Atombomben anzugreifen.

Es gab auch bereits mehrere Unfälle im Zusammenhang mit atomarem Müll: 1999 flog eine illegale Mülldeponie am Stadtrand von Istanbul mit radioaktiv verseuchtem medizinischem Material auf. 2012 entdeckte man in einer Fabrikanlage in der Nähe von Izmir eine illegale Atommülldeponie. Und Ende 2015 wurde bekannt, dass ein hochradioaktives Schiff, ebenfalls in der Nähe von Izmir, von türkischen Werftarbeitern auseinandergenommen wurde.

Unbeeindruckt von diesen Vorfällen hielten bisher stets alle türkische Regierungen an ihren Atomplänen fest. Selbst die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986 hinderte die Politiker in Ankara nicht daran, die Risiken atomarer Strahlung herunterzuspielen. Sie behaupteten damals, der Reaktorunfall in der ehemaligen Sowjetunion habe keine negativen Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung.

„Ein wenig Strahlung ist gut für dich!“, sagte Industrie- und Handelsminister Cahit Aral damals. „Radioaktiver Tee schmeckt besser!“, ließ Premierminister Turgut Özal wissen. Und Staatspräsident Kenan Evren behauptete: „Strahlung ist gut für die Knochen!“

„Strahlung ist gut für die Knochen!“

Staatspräsident Kenan Evren 1986

Die Reaktion auf die Katastrophe von Fukushima 2011 sah kaum anders aus. Der damalige Premier Erdoğan behauptete: „Der Propangestank in eurer Küche ist genauso gefährlich wie atomare Strahlung!“ PR-Clips wie „Neue Energie für eine erstarkende Türkei“ sollen die türkische Öffentlichkeit heute davon überzeugen, dass der Energiehunger des Schwellenlandes nur durch Atomkraftwerke gestillt werden kann. Kernenergie sei schließlich die einzig verlässliche Stromquelle. Der amtierende Energieminister Berat Albayrak, Schwiegersohn und engster Berater des Staatspräsidenten, lässt keine Gelegenheit ungenutzt, das zu unterstreichen.

Bis 2023 – pünktlich zum hundertjährigen Bestehen der Republik – sollen in Sinop sowohl an der Schwarzmeerküste (beteiligte Firmen: Mitsubishi/Areva), als auch in Akkuyu an der Mittelmeerküste (beteiligte Firmen: Rosatom/Cengiz Holding) zwei AKW gebaut werden. Der Bau des letztgenannten soll im Frühjahr 2018 beginnen.

Foto: privat

Christian Bergmann

Jahrgang 1988, ist Produzent des Dokfilms in Arbeit „Nuclear alla Turca“. Er lebt in Berlin.

Die Türkei befindet sich somit energiepolitisch vor einer Entscheidung. Entweder setzt das Land wie Japan auf das teure Auslaufmodell Atomkraft oder aber auf erneuerbare Energien- wie zum Beispiel Deutschland. Letzteres würde für die Türkei wohl wirtschaftlich günstiger und risikoärmer werden: Dem Land fehlt es ja weder an Sonne noch an Wind.

Allerdings: Trotz einer jährlichen Sonnenzeit in der Türkei von 2.737 Stunden gibt es hier nur Solaranlagen mit einer Leistung von 860 Megawatt. In Deutschland, wo im Jahr nur 1.600 Stunden lang die Sonne scheint, sind es 40.000 Megawatt. Oder: Obwohl in Deutschland 60 Prozent weniger die Sonne scheint, wird hier das 40-Fache an Sonnenenergie produziert.

Die türkische Regierung wirbt im gesamten Land mit überdimensionalen Plakaten für die geplanten AKW. Seit der Veröffentlichung der Vorhaben sind nicht nur Ökologen und Umweltaktivisten alarmiert, auch die Internationale Atomenergie-Organisation ist es. Aber auch die Bevölkerung ist eher atomkritisch orientiert: Laut einer Meinungsumfrage von Greenpeace waren kurz nach der Fukushima-Katastrophe 2011 rund 64 Prozent der Befragten gegen den Einstieg in die Kernenergie. Der Widerstand gegen die AKW-Pläne besteht zumeist aus lokal initiierten Protestbewegungen der Anwohner.

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