Radikale Entmietungspraktiken: Winter ohne Heizung
In der Habersaathstraße will ein Vermieter den Bewohner:innen die Heizung abdrehen, um sie zum Auszug zu bewegen. Das Bezirksamt prüft den Fall.

In seiner Wohnung hat Sven Müller schon seit fast zwei Jahren keinen Strom und kein warmes Wasser, nun soll ab November auch noch die Heizung abgestellt werden. „Das wird für mich gesundheitlich immer gefährlicher, weil ich Asthmatiker bin“, sagt der 56-Jährige.
Müller wohnt in einem Plattenbaukomplex in der Habersaathstraße in Berlin-Mitte. Seit Jahren will die Eigentümerin, Arcadia Real Estates, die Häuser abreißen und durch luxuriöse Neubauten ersetzen. Die verbliebenden Bewohner:innen des Hauses versucht die Eigentümerin mit rechtlich fragwürdigen Praktiken aus dem Haus zu drängen. Nun soll ab dem 1. November die Fernwärmeversorgung eingestellt werden.
Bereits Ende September informierte die Versorgerin Berliner Energie und Wärme die Bewohner:innen des Komplexes darüber mit einem Aushang in den Hauseingängen. „Diese Nachricht ist für Sie möglicherweise mit großen Belastungen verbunden. Niemand soll in seinem Zuhause frieren müssen“, heißt es in dem Aushang. Demnach läuft der bestehende Vertrag zum 31. Oktober aus; die Eigentümerin habe ihn nicht verlängert. Man bedauere die Maßnahme, habe aber jedoch „keinen Handlungsspielraum“. Ein Sprecher des Unternehmens bestätigte den Schritt gegenüber der taz.
Derzeit leben in den vier Aufgängen der Habersaathstraße 44 – 46 noch fünf Mietparteien mit gültigen Mietverträgen. Nach einer erfolgreichen Besetzungsaktion im Winter 2021 leben zudem noch rund 50 ehemals wohnungslose Bewohner:innen ohne Mietvertrag in dem Haus. Zudem sind in dem Aufgang 48 immer noch dutzende Geflüchtete aus der Ukraine untergebracht.
Wahrscheinlich rechtswidrig
Gegenüber dem Tagesspiegel behauptete der Geschäftsführer der Arcadia, Andreas Pichotta, den Altmieter:innen Ersatzwohnungen in Reinickendorf angeboten zu haben. Falls sie bleiben wollten, könnten die verbliebenen Mietparteien auch elektrische Radiatoren nutzen und die Stromkosten mit der Miete verrechnen.
Für Bestandsmieter Daniel Diekmann, der seit Jahren für den Erhalt des Gebäudes kämpft, kommt eine Annahme des Angebots nicht infrage. „Ich möchte wissen, wo meine Vorauszahlungen geblieben sind, ich hab meine Miete bezahlt“, sagt Diekmann. Er bezweifelt, seine Wohnung mit einem Radiator heizen zu können, wenn die umliegenden Wohnungen kalt seien.
Sebastian Bartels, Geschäftsführer vom Berliner Mieterverein, hält das Vorgehen für eindeutig rechtswidrig: „Eine Beheizung muss laut Wohnungsaufsichtsgesetz gewährleistet sein, und damit ist auf keinen Fall nur ein Radiator gemeint.“ Bartels wertet den Schritt als einen „gravierenden Verstoß“. Hinzu käme, dass Mieter:innen auch durch das Zivilrecht Ansprüche auf Fernwärmeversorgung hätten, wenn diese im Mietvertrag festgelegt sei.
Auf taz-Anfrage teilt das Bezirksamt mit, den Fall bereits zu überprüfen. „Sollte sich herausstellen, dass die Wohnungen von Mietern nicht mit Wärme versorgt sein sollten, wird der Vermieter aufgefordert werden, diesen Mangel zu beheben, und es wird unter Umständen eine Ersatzvornahme eingeleitet.“ Was eine „Ersatzvornahme“ sein könnte, ließ die Sprecherin noch offen, womöglich könnte der Bezirk den Vertrag vorerst übernehmen, oder die Wohnungsaufsicht gibt sich mit den Radiatoren zufrieden.
Seit zwei Jahren kein Strom
Unklar ist, wie sich die Situation für die ehemals obdachlosen Bewohner:innen ohne Mietvertrag, zu denen auch Sven Müller gehört, entwickeln wird. Die rechtlichen Ansprüche auf eine Fernwärmeversorgung sind hier deutlich unklarer.
Die Eigentümerin hat bereits eine Abrissgenehmigung für das Haus, kann aber nicht abreißen, solange die Bestandsmieter:innen nicht ausziehen. Mehrere Räumungsklagen scheiterten. Laut einem gerichtlichen Vergleich aus dem November 2024 muss die Eigentümerin die Bewohner:innen ohne Mietvertrag dulden.
Im Gegenzug für die Abrissgenehmigung versprach Eigentümer Pichotta, eine Geflüchteten- und Obdachlosenunterkunft in Berlin-Wedding zu errichten. Doch das Grundstück in der Papierstraße liegt weiterhin brach.
In seinen Anstrengungen, das Haus leer zuziehen, ist Pichotta nicht gerade zimperlich. Ende Juli ließ er die Wohnung eines zuvor ausgezogenen Altmieters von Bauarbeitern demolieren, berichtete der Tagesspiegel. Unter anderem wurden das komplette Bad und die Fenster zerstört. Wasser lief ungehindert in die Wohnungen darunter.
Bereits vor zwei Jahren stellten die Eigentümer:innen den Bewohner:innen ohne Mietvertrag die Stromversorgung ab. Auch die Warmwasserversorgung wurde seitdem im gesamten Haus eingestellt.
„Ich werde notgedrungen einen Gasherd kaufen müssen, aber die Flaschen sind ja auch nicht billig“, sagt Sven Müller. Bevor er in die Habersaathstraße zog, lebte der gelernte Konditor in einem Wohnheim. Dort sei er aber mehrmals von Zimmergenossen mit einem Messer bedroht worden. Aussicht auf eine Alternative hat Müller bislang nicht. „Mit meiner Schufa kriege ich keine Wohnung mehr in Berlin.“
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