Radfahren gegen den Blues: Sich selbst zur Ruhe bringen
Gegen schlechte Laune in schwierigen Zeiten empfiehlt unsere Kolumnistin: Radfahren. Täglich. Nebenbei rettet man damit ein klein wenig die Welt.
D as neue Jahr wird stürmisch und läutet eine neue Epoche ein. Ereignisse, die wir uns jetzt nicht einmal vorstellen können, werden eintreten. Das habe ich nicht aus der taz. Obwohl man bei deren Lektüre ja auch gelegentlich auf die Idee kommt, dass Dinge, die man nie für möglich gehalten hätte, auf einmal Realität sind. Sowas wie die Forderung einer US-Norderweiterung etwa.
Nein, die Umsturztendenzen des neuen Jahres habe ich mir in Astrologiepodcasts erzählen lassen. Das ist so eine Jahresendangewohnheit von mir: Altes Jahr Revue passieren lassen, Wohnung aufräumen, ins neue Jahr reindenken und dabei Podcasts hören. Weil es in der Welt so stürmisch werden soll, empfahlen die Podcaster, sich selbst zur Ruhe zu bringen.
Ruhe täte mir tatsächlich gut. Schließlich kommt man ja selbst im Minikosmos Verkehrspolitik kaum hinterher. Ende November war ich noch auf dem Mobilitätskongress der Bundestags-Grünen. Durch die Veranstaltung führte deren Verkehrspolitischer Sprecher, Stefan Gelbhaar. Er meinte, der Kongress sei zu einer Zeit geplant gewesen, als noch niemand etwas von den Neuwahlen wusste. Er selbst wusste auf der Bühne stehend noch nicht, dass die Neuwahlen ohne ihn stattfinden werden.
Die Grünen machten nach anonymen, teilweise via Alibis bereits widerlegten Vorwürfen kurzen Prozess mit Gelbhaar. In meinem Umfeld grübelt jetzt der ein und die andere beunruhigt, wen man im Februar eigentlich wählen soll, wenn man sich Verkehrswende wünscht und zugleich mit so einer Form von „Mensch bleiben“ nicht identifizieren kann.
Vielleicht kommen wir der Verkehrswende dieses Jahr näher?
Wie sich selbst zur Ruhe bringen, wenn Züge Unpünktlichkeitsrekorde einfahren und zugleich Fahrpreise erhöht werden, wenn Anwohnerparken inflationsbereinigt immer billiger wird und die Law und Order Partei CDU standhaft das Mobilitätsgesetz in Berlin nicht anwendet?
„Wenn du niedergeschlagen bist, wenn dir die Tage immer dunkler vorkommen, wenn es dir fast sinnlos erscheint, überhaupt noch zu hoffen, dann setz dich einfach aufs Fahrrad, um die Straße herunterzujagen, ohne Gedanken an irgendetwas außer deinem wilden Ritt.“ Das schrieb Arthur Conan Doyle schon lange vor der Erfindung von Astrologiepodcasts, Cancel Culture und CDU.
Am Wochenende habe ich es ausprobiert. Schlafen war eh nicht, also stieg ich um 5.00 Uhr aufs Rad. Es war dunkel und kalt, die Luft klar, auf der Spree reflektierte das Licht der Sterne, ein Vogel zwitscherte. Ich radelte am Wasser entlang, dann kreuz und quer durch die Stadt.
Schließlich kam ich im noch immer dunklen Grunewald an, fuhr auf den Drachenberg. Oben kreischten Krähen, Wind blies. Der Himmel wurde rot, schließlich ging die Sonne auf. Es war wie im Film. Wie im kitschig schönen Happy End eines Films. Und ich dachte: Vielleicht bringt dieses Jahr ja auch Ereignisse zu Tage, die wir uns wirklich gar nicht vorstellen können: einen großen Schritt zu einer echten Verkehrswende zum Beispiel. Bis dahin empfehle ich: Radfahren. Täglich. Es hilft gegen den Blues. Und rettet nebenbei ein klein wenig Welt.
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