Racial Profiling auf St. Pauli: In der Zelle erhängt
Eine Initiative erinnert an Jaja Diabi, der sich vor einem Jahr in U-Haft das Leben nahm. Er sei Opfer rassistischer Strukturen von Justiz und Polizei geworden
Der 21-Jährige hatte sich in der Nacht zum 19. Februar 2016 in seiner Zelle erhängt, nachdem er mit 1,65 Gramm Marihuana auf St. Pauli festgenommen und einen Monat eingesperrt worden war. Eine so geringe Menge gilt normalerweise als Eigenbedarf. Bei Diabi aber ging der Haftrichter wegen seiner Fluchtgeschichte und weil er bereits vorher mit Marihuana erwischt worden war, von Fluchtgefahr aus.
Für die AktivistInnen zeigt sich hier der Rassismus der Justiz: Fluchtgefahr besteht nach Einschätzung der Behörden, wenn die beschuldigte Person Familie oder andere Verbindungen ins Ausland hat – bei Geflüchteten ist das naturgemäß der Fall. Auch der Hamburger Strafverteidiger Benjamin Tachau hatte gegenüber der taz kritisiert, dass die Haftbegründung der Fluchtgefahr exzessiv auf Ausländer angewendet werde. Zudem drohten Geflüchteten zum Teil hohe Strafen, wenn sie mit einer geringen Menge Drogen erwischt würden. Da sie meistens keine Arbeitserlaubnis hätten, ginge die Staatsanwaltschaft auch bei geringen Mengen von gewerbsmäßigem Handel aus.
Laut der AnwohnerInneninitiative Balduintreppe, die sich mit Racial Profiling auf St. Pauli beschäftigt, ist das „Feindbild Dealer“ ein grundlegendes Problem in der Debatte um Drogenkriminalität auf St. Pauli. Man müsse sich verdeutlichen, worum es eigentlich gehe, sagte deren Sprecher Hermann W.: „Für die Menschen, die auf der Straße Marihuana verkaufen, geht es um Arbeit und Geld.“ Auch für die Polizei und die Justiz könne es nicht wirklich um Drogen gehen, denn jedem müsse klar sein, dass die Verfolgung der Kleindealer dem Drogenhandel nichts anhaben könne.
Das bestätigen die Zahlen, die aus regelmäßigen Senatsanfragen der Linkspartei hervorgehen: Vom 1. bis zum 30. November 2016 führte die Task Force Drogen allein auf St. Pauli 40 Schwerpunkteinsätze durch. Gegen dreizehn Personen wurden Haftbefehle ausgesprochen. Die Menge der beschlagnahmten Drogen ist offenbar so gering, dass die Polizei sie nicht einmal dokumentiert.
Für die AktivistInnen ist klar, dass es bei der Repression gegen die mutmaßlichen Kleindealer nicht um die Bekämpfung der Drogenkriminalität geht, sondern um Rassismus. Die rassistische Struktur der Gesellschaft und ihrer Institutionen habe letztlich zum Tod Diabis geführt, der in einer Reihe stehe mit Laya Condé, Achidi John, Oury Jalloh und anderen schwarzen Menschen, die in den letzten Jahren in Polizeigewahrsam starben. „Sie sind Opfer einer verfehlten Drogenpolitik, die auf der Stelle tritt und über Leichen geht“, sagte der Initiativen-Sprecher.
Die Debatte über rassistische Polizeigewalt war hochgekocht, nachdem ein Polizist Anfang Februar in St. Georg einen Ghanaer angeschossen hatte. Die Polizei sprach von Notwehr, der Abgeordnete der Linksfraktion Martin Dolzer bezweifelte das und berief sich auf Augenzeugen, die den Vorfall als „rassistisch motivierten Hinrichtungsversuch“ einstuften. Der Polizeipräsident Ralf Martin Meyer zeigte Dolzer daraufhin wegen übler Nachrede an.
Hermann W., Anwohnerinitiative
Am Donnerstag stand der Vorfall auf der Tagesordnung des Innenausschusses, der die Debatte aber vertagte. Vergangene Woche hatten 180 Menschen in St. Georg gegen rassistische Polizeigewalt demonstriert. Am Dienstag gingen erneut 100 Menschen nach der Festnahme eines Somaliers in St. Georg auf die Straße, der in einem Wettbüro für Ärger gesorgt haben soll.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“