Rachewestern als Tragikkomödie: Eine Frau wie John Wayne
Spiel mit dem politisch Unkorrekten: „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ von Martin McDonagh ist für sieben Oskars nominiert.
![Eine Frau im Overall steht an einer Straße, im Hintergrund rote Werbetafeln mit schwarzer Aufschrift Eine Frau im Overall steht an einer Straße, im Hintergrund rote Werbetafeln mit schwarzer Aufschrift](https://taz.de/picture/2520156/14/three-billboards.jpeg)
Schon das Filmplakat hat etwas Ikonografisches: Frances McDormand im ausgeblichenen Overall, mit ungeschminktem Gesicht, die Haare mit einem Kopftuch bedeckt, wie sie an einer verlassenen Straße steht. Man muss den Film gar nicht gesehen haben, um zu erfassen, warum er so gut „in den Moment“ zu passen scheint: Da ist eine Frau, die sich nicht mehr kleidet und frisiert, um anderen zu gefallen. Wut und Trotz gehen von ihrer Haltung aus, ihr Overall signalisiert dabei eine Art Proletentum: die diffuse Stimmung von „Frauen wehren sich“ und „Politik von unten“ zusammengefasst. Weshalb es auch kein Wunder ist, dass „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ mit sieben Oscarnominierungen und etlichen bereits gewonnenen Branchenpreisen zu den Favoriten des Jahres zählt.
Zugleich könnte das auch ein Missverständnis sein. Denn bei genauerer Betrachtung merkt man, dass der Film des britisch-irischen Autors und Regisseurs Martin McDonagh sich weit weniger auf Aktuelles bezieht, als es den Anschein macht. McDormand verkörpert Mildred, eine Mutter, deren jugendliche Tochter wenige Monate vor Einsetzen der Filmhandlung vergewaltigt und ermordet wurde. Die Ermittlungen sind im Sande verlaufen, von den Tätern gibt es keine Spur. Mildred will das nicht hinnehmen.
Drei verlotterte Anzeigetafeln an einer wenig befahrenen Ausfallstraße am Rande des fiktiven Ebbing, Missouri, bringen sie auf eine Idee: Sie kratzt ihr letztes Geld zusammen und lässt sie mit Plakaten bekleben, die schwarz auf feuerrotem Grund die Untätigkeit der Polizei angreifen und dabei den lokalen Polizeichef, Chief Willoughby, persönlich benennen.
Die Plakate lösen eine Kette von Ereignissen aus, die Mildred selbst nicht vorhersehen konnte und immer weniger im Griff hat. Denn das ist der „Kniff“ dieses Films, an dem die Handschrift von Martin McDonagh („Brügge sehen … und sterben?“) deutlich erkennbar wird: Statt die Geschichte der wütenden Mutter einer ermordeten Tochter als „Whodunit“ zu erzählen, macht McDonagh daraus eine als Rachewestern verkleidete Tragikomödie, die in ihrer Mischung aus Sprach- und anderer Gewalt an Tarantino erinnert und doch ganz anders ist.
Mit Pointen und Bluttaten traktiert
Mildreds Plakate erzürnen weniger den angesprochenen Polizeichef Willoughby, der (gespielt von Woody Harrelson) erstens ein guter Kerl ist, und zweitens andere Sorgen hat. Dafür erhitzt sich dessen Untergebener Dixon (Sam Rockwell), ein frustrierter, ressentimentgeladener kleiner Mann, dem man nachsagt, einen schwarzen Insassen gefoltert zu haben. Nun fühlt er sich berufen, seinen Chef vor Mildreds Vorwürfen zu verteidigen und scheut dabei vor keinem Mittel zurück.
Beinahe schon im Takt einer Screwball-Comedy mixt McDonagh Pointen und Bluttaten: Mildred traktiert ihre Umgebung zunächst mit scharfen Worten, aber als die nicht mehr helfen, greift sie zum Molotowcocktail. Überhaupt betritt sie Szene um Szene mit der gefühlten Breitbeinigkeit einer John-Wayne-Figur, immer gefasst auf ein Duell, immer quasi mit Waffe im Anschlag, auch wenn sie mit leeren Händen dasteht.
Dabei hat sie in der sich abzeichnenden Spirale der Gewalt nicht immer das letzte Wort. Vielmehr verschafft der theatererfahrene McDonagh fast jeder seiner Figuren Gelegenheit zum Reden, durchzogen von Flüchen, endlosen Variationen auf „Fuck“ und Schlagfertigkeiten wie diese: „Wenn wir jeden Polizisten mit rassistischen Tendenzen entlassen würden, blieben vielleicht drei übrig – und die hätten was gegen Schwule“, so Chief Willoughby.
Dieses Spiel mit den Mitteln des politisch Unkorrekten, in der Sprache genau wie in den Gewaltszenen, haben dem Film auch Feinde eingebracht. Tatsächlich behandelt er die wenigen Figuren, die nicht weiß sind, eher als Beiwerk. Am meisten irritiert in diesem Kontext der von Sam Rockwell gespielte Dixon, den das Drehbuch vom rassistischen Cop zum „doch auch anständigen“ Menschen läutert.
Oder nicht? Im vielleicht besten Auftritt seiner Karriere gelingt es Rockwell, diesen Dixon nicht als „eigentlich ganz sympathisch“ zu spielen, sondern ihn als jemand zu zeigen, der permanent Wut verspürt, weil er sich in jeder Hinsicht unterlegen fühlt. Rockwell streicht den Widerling in Dixon heraus, dessen Dummheit, Erbärmlichkeit und Schwäche. Aber als sich herausstellt, dass Dixon seinerseits ein Misshandelter ist, setzt Rockwell weniger auf das Mitgefühl des Zuschauers, als dass er ihm das Hingucken abverlangt.
„Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“. Regie: Martin McDonagh. Mit Frances McDormand, Woody Harrelson u. a. USA 2017, 116 Min.
Es ist die Nähe zu Dixon, die schließlich klarmacht, dass Mildred in ihrem ebenfalls fast blinden Rachebedürfnis nicht die Posterfrau für den heutigen Moment ist – und „Three Billboards“ weniger von der Revolte gegen patriarchale Verhältnisse erzählt, sondern mehr von biblischen Dingen wie Schuld, Vergeltung und Vergebung.
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