RTL-Pionier Meiser über Privatfernsehen: "Teilweise entsetzlicher Schrott"
Vom ersten Sendetag an arbeitet Hans Meiser für RTL. Zum 25. Geburtstag des Privat-TVs spricht er über chaotische Anfänge bei RTL und verrät, warum er nie ins "Dschungelcamp" einziehen würde.
taz: Herr Meiser, wann gehen Sie ins "Dschungelcamp"?
Hans Meiser: Das können Sie vergessen.
Aber gefragt wurden Sie doch bestimmt schon? Immerhin sind Sie seit 2006 nicht mehr regelmäßig im Fernsehen zu sehen.
Nein. Ich wurde nie gefragt, die Macher wissen, dass ich ihnen die Tür vor der Nase zuschlagen würde.
Ihr Kollege Björn-Hergen Schimpf, wie Sie RTL-Mann der ersten Stunde, war in der dritten Staffel dabei.
Warum auch nicht? Ist doch in Ordnung. Das muss jeder für sich selbst entscheiden.
Warum schließen Sie eine Teilnahme für sich aus?
Zum Beispiel weil ich im Fernsehen nicht gerne scheiße aussehe. In den Vorstellungsfilmchen sind das alles so gestylte Typen und kaum sind die einen Tag im Camp, sehen alle aus, als wären sie unter die Straßenwalze gekommen. Das aufklärerische Fernsehen hat die Leute wirklich entehrt.
Aber Sie gucken es sich trotzdem an?
Wir haben gestern Abend zehn Minuten gesehen, aber wirklich nur zehn Minuten.
Fühlen Sie sich von "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!" gut unterhalten?
Es ist wie alle Shows bei RTL professionell gemacht, das ja, aber ich bin kaum noch in der Lage, mich in Illusionen fallen zu lassen, was eigentlich sehr traurig ist. Als ich neulich mit meinem Sohn in "Madagascar II" war, wusste ich immer schon vorher, was passieren würde, und konnte das auch nicht für mich behalten, womit ich den Zorn der Umsitzenden auf mich zog. Aber unabhängig davon habe ich den Eindruck, dass das "Dschungelcamp" sich allmählich abnutzt, totläuft. Das ist wie bei "Big Brother". Von unserem früheren Büro aus konnten wir den Container sehen, vor dem jeden Tag Hunderte von Fans standen, heute friert da freiwillig kein Mensch mehr.
In diesen Tagen feiert RTL seinen 25. Geburtstag. Sie sind dem Sender sogar schon länger verbunden, waren vorher beim RTL-Hörfunk. Wie kam es zum Wechsel?
Dr. Thoma hat mich gezwungen.
Wie hat der damalige RTL-Chef das angestellt?
Ich kam von einer Reportagereise aus dem Iran zurück, Nachtflug über Paris nach Luxemburg, bin nachmittags um fünf ins Studio gefahren, todmüde und unrasiert, da sagte Thoma zu mir: "Wissen S was, wir müssen die Nachrichten neu machen, mit dem Mann, der das gerade macht, funktioniert das nicht. Ich brauche Sie." Eine Bitte, die ich ihm nicht abschlagen konnte. Dabei wollte ich eigentlich nie wieder Nachrichten machen, das hatte ich jahrhundertelang beim Hörfunk gemacht. Und außerdem war mir als gelerntem Hörfunkmann Fernsehen grundsätzlich suspekt - dieser absurde Aufwand, all diese Menschen im Studio! Beim Hörfunk braucht man nur ein Mikrofon.
Wann haben Sie aufgehört, Ihren Radiozeiten nachzutrauern?
Ich trauere dem Hörfunk heute immer noch nach. Hörfunk ist das spontanere Medium, da muss der Einzelne weitaus mehr können, weil er auf sich alleine gestellt ist und sich nicht auf die schlechte Regie oder Kamera rausreden kann. Andererseits hat mir Fernsehen aber auch sehr schnell sehr viel Spaß gemacht, weil man ein viel direkteres Feedback bekommt als beim Hörfunk. Dass man um drei Nackenwirbel wächst, wenn man auf der Straße angesprochen wird, gibt sich allerdings schnell wieder.
Wie sehr haben Sie sich damals als Pionier gefühlt?
Gar nicht. Dafür hatten wir überhaupt keine Zeit. Weil wir chronisch unterbesetzt waren, das ganze Programm wurde von nur 25 Leuten gemacht, haben wir damals von morgens um neun bis abends um zehn gearbeitet. An den Wochenenden musste der "Starmoderator" mit einem Volontär die 20-minütige Nachrichtensendung zusammenbasteln, sodass wir oft einfach nicht mehr dazu kamen, die Beiträge zu vertonen und ich sie dann live im Studio gesprochen habe.
Improvisation war also alles.
Ja, natürlich. Wir sendeten anfangs ja aus einer Fabrikhalle, die wir angemietet hatten, und nie aus einer Garage, wie immer wieder behauptet wird. Die hatte nur ein dünnes Blechdach. Und wenn der Wind ungünstig stand und die Aeroflot zweimal in der Woche nach ihrem Tankstopp in Luxemburg gen Lima startete, verstand man im Studio sein eigenes Wort nicht mehr - und die Zuschauer schon gar nicht. Also haben wir jedes Mal, wenn wir das Geräusch kommen hörten, möglichst schnell gesprochen, um einen Beitrag abzupfeifen, bevor das Ding über uns hinwegflog.
Und heute? Fühlen Sie sich wenigstens heute als Veteran?
Das interessiert doch keinen. Fernsehmacher neigen da zu maßloser Selbstüberschätzung. Neulich saß ich in Köln im Restaurant und hörte von einem Nebentisch immer nur laut "Wenn ich im Sender bin, wenn ich im Sender bin" - von einer Praktikantin, wie sich später herausstellte. Bei solch einer Wichtigtuerei könnte ich brechen.
Sie haben mal gesagt, dass RTL Ihnen "unheimlich viel zu verdanken" habe - aber auch umgekehrt. Was überwiegt?
Ach, wissen Sie, ich hatte im Mathe-Abi eine Fünf, ich weiß nur, dass es so was gibt wie Gleichungen und dass die aufgehen müssen, und diese Gleichung geht schlichtweg auf. Wir haben dem Sender ermöglicht, Fernsehen zu machen, und er hat unseren Einsatz honoriert - wenn auch anfangs nicht finanziell. Die Bezahlung war katastrophal. Ich habe einmal neun Wochen durchgearbeitet, und als ich einen Tag freihaben wollte, weil ich einfach nicht mehr konnte, hat der damalige Chefredakteur das "Arbeitsverweigerung" genannt. Da habe ich meinen Job bei den Nachrichten gekündigt.
Ihrer Karriere hat das keinen Abbruch getan. Richtig berühmt wurden sie ab 1992 durch "Hans Meiser", den ersten deutschen Daily-Talk. Die FAZ schrieb, dass man in Ihrer Sendung "mehr über die deutsche Wirklichkeit lernt als in gut gemeinten Sozialreportagen".
So war es ja auch. Wir waren zum Beispiel die Ersten, die einen "Sozialschmarotzer" in der Sendung hatten oder Scientology-Mitglieder. Das war ein absolutes Novum damals im deutschen Fernsehen.
Und fand schnell Nachahmer, das Nachmittagsprogramm war plötzlich voll von Formaten, in denen Normalos ihren Alltag ausbreiteten.
Daran mussten sich die Zuschauer erst mal gewöhnen. In den ersten Wochen waren die Quoten katastrophal, dann schossen sie über Nacht in die Höhe - auf bis zu fünf Millionen Zuschauer pro Sendung. Diesen Erfolg verdanke ich vor allem der gewissenhaften Vorbereitung meiner Redaktion, die mir für jede Sendung ein 40- bis 60-seitiges Dossier zusammenstellte. Ich wusste alle Antworten meiner Gäste vorher und auch, wie es in deren Treppenhaus riecht.
Wurden Sie jemals überrascht?
Ja, einmal, von Frank Elstner, der mich für eine Sendung veräppelt hat, und dann hat auch mal ein Kameramann während der Livesendung ins Studio gekotzt und zwei Ponys haben sich erleichtert, aber ansonsten waren wir immer gut gewappnet.
Je größer der Konkurrenzkampf unter den Daily-Talks wurde, desto niveauloser wurden die Themen - auch bei "Hans Meiser". Warum haben Sie das mitgemacht?
Stimmt. Wir hatten später auch Themen wie "Ich bin dick und liebe mich trotzdem". Damit haben wir nicht unbedingt gepunktet, aber ich bin der Meinung, dass eine Talkshow wie meine - natürlich ein bisschen moderner gestaltet - auch heute noch funktionieren würde.
Das war nicht meine Frage. Ich wollte wissen, warum Sie sich haben verbiegen lassen.
Heute ist meine Produktionsfirma ein kleiner Laden, der sich auf wenige Formate konzentriert. Damals haben wir unheimlich viel gemacht.
Das mag ja sein. Aber "Hans Meiser" war das Flagschiff, und zudem waren Sie persönlich an der Entstehung jeder Sendung beteiligt.
Das ist … ich weiß es auch nicht. So eine Sendung macht ja nicht einer allein. Da ruft der Sender an und sagt, hört mal, die Quote war in den letzten Wochen nicht besonders toll, gebt doch mal ein bisschen mehr Gas.
Ihre Antwort enttäuscht mich ein bisschen, diese Fremdgesteuertheit passt nicht zum Bild des kritischen Geistes, das Sie in diesem Gespräch vermitteln.
Mag sein, dass ich dieser Entwicklung zu wenig offensiv entgegengetreten bin.
2006 wurde mit "Notruf" Ihre letzte regelmäßige Sendung eingestellt. Was machen Sie heute?
Wir produzieren hier bei "creatv" Formate für Sender wie den MDR und RTL, aber auch für Firmen. Gerade verhandeln wir mit einem kleineren Privatsender über ein Talkformat, das es so im deutschen Fernsehen noch nicht gab. Damit tingele ich jetzt seit acht Jahren durch die Sender. Das ist keine Seltenheit, Entscheider und Ausdenker im Fernsehen reden häufig aneinander vorbei.
Zum Abschluss, Herr Meiser, was hat das Privatfernsehen gebracht - im Guten wie im Schlechten?
Im Guten natürlich Vielfalt, die auch das Programm der ehemaligen Monopolisten ARD und ZDF besser gemacht hat, etwa im Nachrichtenbereich, im Schlechten, dass teilweise entsetzlicher Schrott läuft - mit Moderatoren, die noch nicht mal vom Teleprompter ablesen können, und Sendern wie Astro TV, für mich die schamloseste, größte Publikumsverarschung aller Zeiten. Wie in diesen Sendungen mit den Sorgen einsamer Menschen Geld gescheffelt wird, ist einfach widerlich.
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