RTL-Doku "Erwachsen auf Probe": Nicht mit meiner Tochter
Für die taz schauen junge Eltern die erste Folge der Dokureihe "Erwachsen auf Probe". Dabei schneiden RTL und Expertin Katja Kessler schlechter ab als die überforderten Teenies.
"Das Gute an Kindern ist, dass sie dir gehören - das Schlechte, dass sie nie wieder gehen", erklärt Katja Kessler in die Kamera. In der RTL-Serie "Erwachsen auf Probe", die am Mittwoch startete und wo Kessler als Erziehungsexpertin auftritt, ist das anders: Schon nach wenigen Tagen verlassen die Kinder die Obhut ihrer jugendlichen Probeeltern, um von älteren Kindern abgelöst zu werden. In sieben Serienteilen betreuen vier Teenagerpaare zwischen 16 und 19 Jahren in eigenen, von RTL bereitgestellten Häusern Babys, Kleinkinder, Schulkinder und schließlich beinahe Gleichaltrige.
Im Vorfeld hatte sich heftiger Widerstand gegen die Ausstrahlung formiert: Der Kinderschutzbund sprach von "Kindeswohlgefährdung", die Familienministerin forderte die Absetzung, und kurz vor dem Sendestart scheiterte eine Verbotsklage gegen die Ausstrahlung. Am Mittwoch sahen dann 3,3 Millionen Zuschauer die erste Folge von "Erwachsen auf Probe", darunter eine Gruppe Leipziger Eltern.
Conrad, Vater eines Zweijährigen, hat sich die Sendung schockierender vorgestellt: "Man weiß ja noch, wie man mit 16 war und welch massiven Einschnitt ein Kind damals bedeutet hätte." Ihn überraschte, wie reflektiert einige der Jugendlichen ihre Lage betrachteten, obwohl sie in eine "völlig unrealistische Situation" geworfen wurden: "Im normalen Leben haben werdende Eltern Zeit, sich vorzubereiten, und können sich im sozialen Umfeld Informationen und Hilfe holen. Die Teenies trugen einen Tag lang ein Babybauchimitat, dann hüteten sie kurz ein Plastikbaby, dann echte Kinder." Dazu kamen erster eigener Haushalt und Job. Ihre Kontakte waren auf ebenso Überforderte und Katja Kessler beschränkt, die nicht wie eine Expertin wirke.
Den Ärger über Kessler teilen auch die anderen. Perfekt gestylt stöckelt sie in die Häuser der Teeniepaare, um deren Reife zu bewerten. Als sich einer der Jugendlichen im Schlaf auf sein Testbaby aus Plastik legt, lässt sie ihn nachsitzen - er und seine Freundin bekommen ihr echtes Baby einen Tag später. Die vierfache Mutter und Ex-Bild-Kolumnistin schrieb ein "Mami-Buch", das sich unter anderem mit Sexysein trotz Bauch befasst. Die Ratschläge der studierten Zahnärztin wirken auf die zusehenden Eltern nicht besonders hilfreich. "Ihren Job hätte jeder machen können", findet Jérôme, Vater eines einjährigen Sohnes.
Kritisch sieht Ines, Mutter einer Zweieinhalbjährigen, die Versicherung, die Eltern könnten ihre Kinder stets über Monitore beobachten und jederzeit eingreifen: "Als Mutter sollte ich nicht erst eingreifen, wenn es zu spät ist, sondern eine Situation schaffen, die nicht eskaliert, damit ich beruhigt den Raum verlassen kann." Dazu gehöre, dass die Kinder die neue Bezugsperson kennen lernen. "Zwei Stunden reichen dazu nicht."
Jakob hat eine neunjährige Tochter, und für ihn stellt sich wie bei allen Reality-Formaten die Frage: "Welche Situationen werden gezeigt und welche nicht?" Das Ziel der Sendung sei offensichtlich "zu demonstrieren, dass es nicht klappt". Er hätte gerne erfahren, warum Eltern ihre Kinder für die Serie zur Verfügung stellten - keiner der Anwesenden kann sich das für das eigene Kind vorstellen. "Wie präsent die Eltern wirklich waren, ist für den Zuschauer nicht erkennbar", stellt Jakob fest. Die Elternrollen sind auf kurze Auftritte beschränkt, etwa wenn eine Mutter die neue Unterkunft ihres Kindes mit der Bemerkung verlässt, sie fühle sich dabei nicht wohl.
Problematisch sieht die Leipziger Elternrunde vor allem die Eigendarstellung als soziales Experiment, das Teenagern zu einer reiferen Lebensplanung verhelfen soll. Mit der Begleitung durch "erfahrene Erzieher" hatte der Sender im Laufe der Diskussion das Format immer wieder gerechtfertigt. Zu sehen sind diese kaum. "Ich habe die Erzieherinnen nicht wahrgenommen, niemand kommentierte oder leitete an", stellt Ines fest. "Stattdessen spricht Katja Kessler davon, dass Kinder ihren Eltern gehören - das ist Blödsinn."
Conrad fühlt sich stark an eine andere RTL-Sendung erinnert, "Deutschland sucht den Superstar": "Die Kandidaten müssen Engagement zeigen, durchhalten, und dann wird öffentlich beurteilt, wer versagt und wer noch eine Chance verdient hat."
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