RECHTSBERATUNG DURCH NICHTANWÄLTE DARF NICHT LÄNGER ILLEGAL SEIN: Instrument der Disziplinierung
Flüchtlinge brauchen Schutz. Doch der Weg zu Asyl oder zumindest Abschiebeschutz ist in Deutschland eine Wissenschaft für sich. So müssen die Flüchtlinge ein Verfahren durchlaufen, bei dem ihrem Reiseweg mehr Bedeutung zukommt als ihrem Verfolgungsschicksal. Und das alles in fremder Sprache und mit äußerst knapp bemessenen Fristen. Die Beratungsarbeit von Wohlfahrtsverbänden, Flüchtlingsräten und engagierten Einzelpersonen ist für die Betroffenen hier von großer Hilfe.
Streng genommen ist diese Rechtsberatung allerdings illegal. Denn in Deutschland ist eine derartige Beratungstätigkeit nur zugelassenen Rechtsanwälten erlaubt. Dies bestimmt das 1935 eingeführte Rechtsberatungsgesetz, gegen das jetzt der pensionierte Richter Helmut Kramer mit einer Verfassungsbeschwerde vorgeht. Zwar wird er die Vorschrift wohl kaum in Gänze beseitigen können. Schließlich hat Karlsruhe die Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes schon mehrfach bestätigt – zuletzt im Dezember 1999. Kramer könnte aber erreichen, dass Nichtanwälte künftig zumindest „unentgeltliche“ Rechtsberatung ausüben dürfen. Denn ein so weit gehendes Verbot verlangt auch der Verbraucherschutz nicht. Niemand wird bei kostenlosem Engagement von Privatpersonen Perfektion erwarten, und wer auf Nummer sicher gehen will, kann ja durchaus einen Anwalt nehmen. Andererseits sind Anwälte in die Feinheiten spezieller Rechtsgebiete oft nicht so gut eingearbeitet wie Menschen, die sich – studiert oder nicht – regelmäßig und intensiv damit befassen.
Vor allem aber reißen sich Anwälte auch überhaupt nicht um die Arbeit, die ihnen private Initiativgruppen heute abnehmen. Asylfälle etwa sind beratungsintensiv und bringen nur geringe Gebühren. Oft gewährt der Staat nicht einmal Prozesskostenhilfe, auch wenn Flüchtlinge mittellos sind. Rechtsanwaltskammern oder einzelne Anwälte klagen deshalb so gut wie nie gegen Asylhelfer und ähnliche engagierte Gruppen. Gefahr droht eher von Seiten der Behörden. Einerseits müssen zwar auch staatliche Stellen die Arbeit der Flüchtlingshelfer akzeptieren, weil sie einfach nötig ist. Andererseits können sie aber immer mit dem Rechtsberatungsgesetz drohen, wenn eine Initiative sich nicht kooperativ genug zeigt. In anderen Bereichen, etwa bei der Beratung von Totalverweigerern, ist eine Beanstandung noch schneller zu erwarten. Anders als 1935 schließt das Rechtsberatungsgesetz also nicht mehr ganze Gruppen aus dieser Tätigkeit aus, aber es hat immer noch eine disziplinierende Wirkung gegenüber politisch unbequemen Aktivisten. Schon deshalb ist Kramers Beschwerde Erfolg zu wünschen. CHRISTIAN RATH
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