■ Querspalte: Kohls mildes Lächeln
Sein Studentenausweis ist fast so alt wie das Grundgesetz. 1957 trug sich der damals junge Mann in die Seminarlisten der Universität Freiburg ein. Ohne Hast vertiefte er sich in die Wissenschaft. Mit Humboldt praktizierte er Studieren als reine Bildung von Persönlichkeit: zweckfrei. Nicht auf ein zeitliches Fixum gerichtet. Der ewige Student, 80 Semester hat er nun auf dem unbeschwerten Buckel.
Das Immatrikulationsamt war rigoros. Es unterbrach jäh den Bildungsprozeß. 40 Jahre nach Aufnahme in die Akademie verweigerten Bürokraten dem Mann die Rückmeldung. Er betriebe ein Scheinstudium, habe es nur auf die sozialen Vorteile abgesehen. Die Funktionäre der Regelstudienzeit exmatrikulierten den Wißbegierigen. Ein Richter aber lehnte nun ab, was jedem Bildungsbürger zuwider sein müßte: den Reifungsprozeß der Persönlichkeit mit äußeren Vorgaben zu stören. Er hob die Exmatrikulation auf. Das Universitätsgesetz, entschied er, schreibe nicht vor, daß ein Studium mit dem Ziel aufgenommen werde, es abzuschließen.
Wie würde der Dicke, bekannt für seinen Jähzorn, reagieren? Würde der Kanzler toben über das Urteil, auch ein 40jähriges Studium ohne jeden Abschluß sei kein Grund, den Säumigen auszuschließen? Kohls Bildungsminister schließlich führt gerade en bloc Eingangs- und Zwischenprüfungen ein, die genau das verhindern sollen: das Studium ohne Abschluß.
Hinter den verspiegelten Scheiben des Kanzleramts aber sehen wir Kohls mildes Lächeln. Er hat begriffen, was der juristische Segen der Entdeckung der Langsamkeit für ihn bedeutet. Die Erlösung von der quälenden Frage, wann das Amt niederzulegen sei.
Schluß mit dem Gezerre um Nachfolger. Wie abwegig der Vergleich mit Adenauer! Auch der mit Bismarck. Abtreten, von Bord gehen, das wäre wie eine Exmatrikulation. Das Ende der Gechichte. Die Kanzlerschaft, so transferierte Kohl den Freiburger Spruch nach Bonn, habe er eben nicht mit dem Ziel aufgenommen, das Regieren auch abzuschließen. Christian Füller
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