Queerfeindlichkeit in Russland: Erniedrigung per Gesetz
Ein russisches Gericht stufte „die LGBT-Bewegung“ als „extremistisch“ ein. Kurz darauf gibt es in Moskau Razzien der Polizei gegen queere Clubs.
D ie Polizisten kamen in Masken, mitten in der Nacht. Sie drehten die Musik ab, sie ließen keinen hinaus aus einem Club im Moskauer Zentrum. Alle sollten sich bis auf die Unterhose ausziehen, so erzählen die erschrockenen Partygänger, die sich noch zu sprechen trauen.
„Wir waren etwa 300 Leute, alle standen in Reihen da und warteten darauf, dass sie ihre Kleidung wiederbekommen. Die Polizisten fotografierten die Pässe ab. Ich dachte, ich komme für Jahre hinter Gitter“, sagte ein Augenzeuge nach einer Razzia in der Nacht auf Samstag in einem Moskauer Schwulenclub dem Telegram-Kanal „Vorsicht, Nachrichten“.
In vier Schwulenbars und mehreren Männersaunas der Hauptstadt wollen Polizisten Drogen gesucht haben. Währenddessen machte der älteste Schwulenclub in Sankt Petersburg zu, der Vermieter will den Mietvertrag nicht mehr verlängern. Und der russische Popstar Sergei Lasarew muss eine Ordnungsstrafe bezahlen, weil in einem mittlerweile von Youtube gelöschten Musikvideo zwei ineinander verschränkte Frauenhände zu sehen sind. Ein Hinweis auf lesbische Liebe?
Erst am vergangenen Donnerstag hatte der Oberste Gerichtshof Russlands die „internationale LGBT-Bewegung“ für „extremistisch“ erklärt. Was diese Bewegung sein soll und wen das Gericht überhaupt für schuldig hält, war auch nach der Verhandlung hinter verschlossenen Türen nicht deutlich geworden. Deutlich geworden ist der Schreck, den das groteske wie menschenverachtende Urteil auslöst. Nicht nur bei Queer-Personen in Russland, sondern auch bei Polizisten.
Im vorauseilenden Gehorsam rücken sie aus, um – ja was? Um einzuschüchtern? Um zu zeigen, wie kleinlich ihr Denken ist, wenn sie unter LGBT offenbar nur Gayprides und Gayclubs verstehen, die es zu zerstören gilt? Um das Spiel zu spielen: „Errate den Willen des Chefs“?
Die Entscheidung vom Donnerstag ist eine rein willkürliche. Das Gericht hat etwas verboten, bei dem niemandem klar ist, was das Verbotene ist und wer zu bestrafen ist. Niemand weiß, wie das Urteil durchzusetzen ist. Also tun die sogenannten Silowiki, Russlands Sicherheitsdienste, das, was sie immer tun: Sie schlagen zu, auch ohne zu verstehen, was sie da eigentlich durchzusetzen versuchen.
Sie wissen, dass sie damit ihr Ziel erreichen: eine von Angst durchsetzte Atmosphäre schüren. Nicht nur bei jenen, die bei einer LGBT-Party feiern wollen, sondern bei allen, die sich in irgendeiner Weise für sexuelle Minderheiten im Land einzusetzen bereit sind.
Die staatliche Erniedrigung ist nun Gesetz, so sehr, dass die Vertreter dieses Staates Menschen in Unterhosen aufstellen lassen, um ihnen zu zeigen, was sie von ihnen halten: nichts. Einfach so, weil die Menschen sind, wer sie sind. Und der Staat immer systematischer seine unmenschliche Art auslebt – weil er es kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland