Q-Cells und die Region Bitterfeld: Auferstanden aus Ruinen

Q-Cells war eine Hoffnung für die vom Ende der DDR gebeutelte Region Bitterfeld. Zum Glück nicht die einzige, denn hier wuchsen tatsächlich blühende Landschaften.

Auch die Zulieferindustrie im „Solar Valley“ ist bedroht. Es produzieren aber auch Großfirmen anderer Industriezweige in Bitterfeld. Bild: dpa

BITTERFELD taz | Die Geschichte, wie Uwe Schmorl zu Q-Cells kam, ist legendär. Der kleine, kräftige Mann war gerade arbeitslos geworden – nach der Wende und dem Ende der Filmfabrik ORWO in Wolfen bei Bitterfeld zum zweiten Mal. Diesmal, zehn Jahre später, hatte die Glasfaserfabrik im Ort dichtgemacht, wo er untergekommen war. Eines schönen Tages im Jahr 2001 fuhr er mit dem Rad in Thalheim bei Bitterfeld an einem seltsamen Bauschild vorbei.

Schmorl, damals Mitte vierzig, fragte einen Kollegen, wo er anrufen sollte. Kurz darauf fuhr er nach Berlin, Kreuzberg, zum Vorstellungsgespräch. Da saßen sie dann alle, die Gründer von Q-Cells: Paul Grunow, Holger Feist, Anton Milner und Reiner Lemoine.

Schmorl dachte: „Die sind ja völlig bekloppt!“ Bis heute wundert er sich darüber, mit wie viel Elan diese Leute die Welt verbessern wollten. Dass sie so gar nicht seinem Klischee vom Wessi-Kapitalisten entsprachen. Dass sie auch gar nichts von ihm wissen wollten. Und dass sie ihn trotzdem nahmen.

Er hat sich nie aufgehört zu wundern, wie schnell er dann vom Anlagenaufbauer zum Schichtleiter und schließlich zum Produktionsleiter aufstieg. Und dass er schließlich wegen seines „natural leadership“, wie Anton Milner das nannte, in den Aufsichtsrat sollte, als Vertreter der Arbeitnehmer.

In den Top Ten der weltweiten Modulhersteller finden sich jetzt je nach Kriterien – verkaufte Leistung in Megawatt, Umsatz, Gewinn – noch die deutschen Firmen Q-Cells und Solarworld. Und das nur auf den hinteren Rängen. Vorne sind vier chinesischen Produzenten: Suntech, JA Solar, Yingli und Trina. Hinzu kommt die US-Firma First Solar als einziger Nicht-Chinese unter den Top Five.

In Deutschland arbeiten laut einer aktuellen Studie des Umweltministeriums gut 100.000 Menschen in der Photovoltaikbranche, die meisten davon in etwa 15.000 Installateur- und Wartungsfirmen. Etwa 350 Unternehmer waren laut dem Bundesverband Solarwirtschaft 2011 Hersteller von Solaranlagen oder Zulieferer.

Jobkönige sind Wechselrichter-Weltmarktführer SMA aus Kassel mit mehr als 5.300 Mitarbeitern weltweit, Solarworld mit 3.300, Q-Cells mit 2.300 und First Solar aus den USA mit 6.400 weltweit, davon 1.400 in Deutschland. (rem)

Kurzärmliges Auftreten

Schmorl – der gelernte Schlosser, der, wenn er keinen Arbeitskittel tragen muss, gern kurzärmlig auftritt und dessen Augen heute noch glitzern, wenn er von der Q-Cells-Gründerzeit spricht – ist ein Mensch, an dem man die Geschichte der Firma gut erzählen kann. Und auch die Bedeutung der nun abgestürzten Sonnenkönige für eine gebeutelte Region. Einer, der wendig geworden ist durch das, was er erlebt hat. Und kampflustig.

Bis zur Wende galt Bitterfeld wegen seiner Chemiewerke, wegen seines Braunkohlentagebaus und wegen seiner Filmfabrik im benachbarten Wolfen als schmutzigste Stadt Europas. Alles stank, alles ätzte. Monika Maron beschreibt die Gegend in ihrem berühmten Roman „Flugasche“ Anfang der Achtziger als „Synonym für eine marode Wirtschaft“.

Nach der Wende wurden auf einen Schlag 50.000 Leute arbeitslos. Die Region, in der bis heute keine Stadtfahrt ohne den Ausblick auf Schornsteine, Fabrikhallen und hochgebockte Rohrsysteme auskommt, muss gewirkt haben wie eine Geisterstadt. Ein ganzer Landstrich war vom Untergang bedroht.

Bis in die Gegenwart haben sich viele Biografien hier nicht von diesem Einschnitt erholt. Wer heute – wie Monika Maron für ihren Folgeroman „Bitterfelder Bogen“ von 2009 – hierher fährt, der kann nur noch ahnen, was die Q-Cells-Ansiedlung damals bedeutet haben muss. Das große Aufatmen oder auch: Auferstanden aus Ruinen, die zweite.

Nicht bitter, nicht depressiv

Denn heute blühen hier tatsächlich Landschaften: Gruben wurden zugeschüttet, geflutet und zu großen Seen gemacht, an denen stilvolle Hotels Touristen locken. Braunkohlebagger, Maschinenhäuser und Schaltzentralen wurden zu Museen und Industriedenkmälern verwandelt.

Selbst jetzt, da Q-Cells pleitegeht und das gesamte „Solar Valley“, die Firmen, die sich um die Solarschmiede herum angesiedelt haben, in Gefahr ist, ist die Stimmung in Bitterfeld gelassen. An einem Markttag kann man das am Peking-Imbiss, vorm „Krempeltempel“ oder am Stand mit den günstigen Handtüchernheraus finden. Die Leute sind nicht so bitter, so depressiv, wie immer wieder behauptet wird. Gerade wird einmal wieder in den Medien der Solidarpakt diskutiert, das verfolgen viele hier und können sich doch darüber nur amüsieren.

Sie wissen, dass viele Firmen in Bitterfeld und Wolfen heute aus dem Westen kommen und auch im Westen ihre Steuern zahlen. „Die Leute hier erinnern auch noch, wie schwer es nach der Wende war, von der Treuhand Grund und Boden, Maschinen und Gebäude zu kaufen“, sagt Oberbürgermeisterin Petra Wust – und erklärt dann, wie den Firmen aus dem Westen die Infrastruktur vor Ort für ein paar Mark hinterhergeworfen wurde.

Wust, die im gerade zum Rathaus umfunktionierten, imposanten Industriegebäude 041 residiert, tritt selbtstbewusst auf. Auch sie hat daran maßgeblich mitgewirkt, dass Q-Cells nach Bitterfeld kam. Sie weiß, was die rund 2.000 Arbeitsplätze, die jetzt wegfallen könnten, für die Region bedeuten würden.

Fast 400 Betriebe mit 14.000 Jobs

Sie weiß aber auch: Inzwischen gibt es hier mehr als 14.000 Arbeitsplätze in fast 400 Betrieben – unter anderem produziert Bayer in Bitterfeld fast alle Aspirin-Tabletten für den europäischen Markt. Die Stadt schrumpft inzwischen nicht mehr als andere kleine Städte in ganz Deutschland auch, und selbst die Arbeitslosenquote mit knapp 14 Prozent könnte schlechter sein.

„Das Ende von Q-Cells wäre eine Katastrophe“, sagt sie, „aber wir würden es verkraften.“ Auf die Frage, ob manche wie sie, also Ostdeutsche ihrer Generation, zäh genug geworden sind, muss die Frau mit dem kräftigen Händedruck laut lachen. Uwe Schmorl, die gute Seele von Q-Cells, den dort alle „Schmorli“ nennen, sagt im Moment der Pleite nichts.

Aber man kann sich gut vorstellen, was er sagen würde – und dass auch er es vielleicht versuchen würde mit einem beherzten Lachen. Als Q-Cells 2009 in die Krise geriet und der letzte Gründer Anton Milner den Betrieb verließ, da dachte auch Uwe Schmorl kurz daran, etwas Neues anzufangen. Bis dahin war goldene Zeit, Q-Cells konnte gar nicht so viel produzieren, wie es Nachfrage gab.

Weiter kämpfen, auch wenn´s knallhart wird

2007 war Q-Cells der zweitgrößte Zellhersteller weltweit und 7,6 Milliarden Euro wert. Die Menschen wurden quasi im Hunderterpack eingestellt. „Im Grunde habe ich erst nach der Wirtschaftskrise und dem Auftauchen der chinesischen Konkurrenz gelernt, was freie Marktwirtschaft bedeutet“, sagt er.

Uwe Schmorl bereut es nicht, dabeigeblieben zu sein. „Ich hänge an Q-Cells, die Firma macht mich glücklich, sie ist meine Droge“, schmunzelt er. Er wird weiter kämpfen, auch wenn’s knallhart wird, wenn’s weh tun und Kraft kosten wird, wie er solche Dinge auszudrücken pflegt. Er wird kämpfen: für sich, für seinen Traum – und für seine Leute. Bis zuletzt.

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