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Putziger WiderstandKOMMENTAR VON BETTINA GAUS

Ursula von der Leyen zieht Aggressionen auf sich. Eine Frau, die es bis zur Ärztin und Ministerin gebracht hat und außerdem sieben Kinder großzieht, ist eine Provokation. Für alle überforderten Mütter, für alle Väter, die meinen, ihre Berufstätigkeit rechtfertige geringes Engagement in der Familie, und für alle, die meinen, Kinder und Karriere ließen sich nicht vereinbaren. Wenn eines der Kinder von Ursula von der Leyen auf die schiefe Bahn geriete: hei, was für ein Spaß!

Sage niemand, all das habe mit dem Unions-internen Konflikt um bessere Betreuungsangebote für Kleinkinder nichts zu tun. Das Irrationale spielt auch in der Politik eine große Rolle. Wie einige der Einwände beweisen, die gegen die Pläne der Familienministerin vorgebracht werden. Besonders putzig ist das Argument, außerfamiliäre Betreuung dürfe nicht zum alleinigen Leitbild werden, und die Wahlfreiheit der Eltern für ein Lebensmodell müsse erhalten bleiben. Gegenwärtig liegt die Betreuungsquote für Kleinkinder in Westdeutschland gerade mal bei 10 Prozent. Wo es keine Krippenplätze gibt, da gibt es auch keine Wahlfreiheit. Nicht umgekehrt. So einfach ist das.

Der Einwand, der Schuldenberg erlaube keine zusätzlichen Ausgaben, ist auch nur vordergründig rational. Das ist eine Frage der Prioritäten. Wenn die Politik gar nichts mehr steuern könnte, wären Abgeordnete und Kabinett überflüssig. Dann genügte es, wenn Beamte die bestehenden Verordnungen und Gesetze exekutierten. Es gibt allerdings in der Union auch rationale Motive für Widerstand gegen die Ministerin. Sie sind nur nicht besonders ehrenwert.

Das Angebot der staatlich subventionierten Kinderbetreuung richtet sich vor allem an eine Gruppe, die es im verlogenen Sprachgebrauch der offiziellen Politik gar nicht gibt: an die erwerbstätige, urbane Unterschicht, die sich weder Au-pair-Mädchen noch Tagesmütter leisten kann. Das ist nicht gerade die Stammwählerschaft der Union. Gut möglich, dass viele Eltern das Angebot dankend annehmen und dann trotzdem nicht CDU oder CSU wählen.

Manchen in der Union reicht das offenbar, um Sturm gegen einen vernünftigen Vorschlag zu laufen.

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