Putin-Gegner Michail Chodorkowski: Vom Straflager direkt nach Berlin
Angela Merkel hatte sich mehrfach für Chodorkowski stark gemacht. Kaum wurde der von Präsident Putin begnadigt, flog er im Privatjet nach Deutschland aus.
MOSKAU taz | Der freigelassene frühere Oligarch und Putin-Herausforderer Michail Chodorkowski ist überraschend in Berlin-Schönefeld gelandet, wo er von Mitarbeitern der Bundespolizei und Exbundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher in Empfang genommen wurde. In Berlin wolle er seine kranke Mutter besuchen, hatte die russische Agentur RIA Nowosti vor der Ausreise Chodorkowskis aus Russland gemeldet.
Marina Chodorkorkowskaja hält sich zurzeit in Moskau auf, soll aber schon am Samstag in Berlin eintreffen. Bis zum 11. Dezember war die 80-Jährige in einer Berliner Klinik behandelt worden.
Beobachter vermuteten schon früh, dass die Ausreise Chodorkowskis Teil einer Vereinbarung mit dem Kreml ist und der Deal über Bundeskanzlerin Angela Merkel abgewickelt wurde. Ihr Name fiel bereits am Donnerstag, unmittelbar nachdem Präsident Putin die Begnadigung angekündigt hatte.
Tatsächlich bestätigte das Auswärtige Amt in Berlin am Abend, dass die deutsche Botschaft in Moskau an den Vorbereitungen beteiligt war. Merkels Regierungssprecher sagte, dass sich die Kanzlerin mehrfach für den Inhaftierten eingesetzt habe. Ablauf und Prozedere der Ausreise erinnern an das Schicksal des sowjetischen Dissidenten und Literaturnobelpreisträgers Alexander Solschenizyn, der 1974 nach langer Lagerhaft nach Deutschland abgeschoben wurde.
Den sowjetischen Methoden verhaftet
Chodorkowsi erreichte Berlin an Bord einer Privatmaschine. Das Flugzeug habe die Unternehmensgruppe OPO Bettermann aus Menden im Sauerland auf Wunsch des ehemaligen Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher zur Verfügung gestellt, teilte eine PR-Agentur mit. Das Unternehmen ist in Geschäften mit Russland engagiert. Das Auswärtige Amt erklärte, dass Genscher mit Unterstützung von Bundeskanzlerin Merkel die Ausreise organisiert habe. Chodorkowsi selbst bedankte sich bei dem ehemaligen Bundesaußenminister. Er sagte: „Ich denke besonders an diejenigen, die weiter in Haft sitzen.“
Die Abwicklung des Casus Chodorkowski zeigt einmal mehr, wie Ex-KGBler Wladimir Putin sowjetischem Stil und Methoden verhaftet bleibt. Wie vor 39 Jahren konnte es auch diesmal dem Kreml nicht schnell genug gehen. Am Donnerstag kündigte Wladimir Putin quasi im Vorbeigehen die Begnadigung des seit zehn Jahren einsitzenden Exölmilliardärs an und sorgte damit weltweit für eine Sensation. Am nächsten Morgen erschien der unterschriebene Gnadenerlass bereits auf der Website des Kreml und trat mit sofortiger Wirkung in Kraft.
In der Strafkolonie im karelischen Segescha an der Grenze zu Finnland blieb dem Begnadigten kaum noch Zeit, seine Sachen zu packen und sich den letzten Lohn auszahlen zu lassen, schrieb die Iswestija. Am Mittag verließ dann Putins persönlicher Häftling die Strafkolonie in Begleitung seines Anwalts.
Geheimdienstler kamen zu Besuch
Der 20. Dezember ist nun nicht nur für den 50-jährigen Chodorkowski ein Feiertag. Auch Wladimir Putin begeht ihn regelmäßig im Kreis von Gleichgesinnten. Die „Tschekisten“ – Russlands Geheimdienstler – feiern an diesem Tag nämlich den Ehrentag ihrer Berufsgemeinschaft. Dass Freilassung und tschekistischer Ehrentag zusammenfallen, mag ein Zufall sein. Daran will in Russland jedoch niemand mehr recht glauben.
Chodorkowski sagte in Berlin, er habe kein Schuldeingeständnis unterschrieben. „Die Frage hat sich nicht gestellt“, sagte er. „Ich habe mich am 12. November an den Präsidenten gewandt mit der Bitte um Gnade angesichts familiärer Umstände und freue mich über die positive Entscheidung“, sagte er.
Laut Kommersant war Chodorkowski vor Kurzem von Geheimdienstlern in der Strafkolonie besucht worden. Vermutlich hätten die Gesandten den Häftling durch Androhung eines weiteren Verfahrens dazu bewogen, der Begnadigung zuzustimmen, mutmaßt das Blatt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen